Wundersame Geschichten II. Detlev Stäcker

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Название Wundersame Geschichten II
Автор произведения Detlev Stäcker
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783899692396



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der Könige. Die letzte, etwas abgelegene Grabstelle KV15 dort, die des Pharao Sethos II. aus der 19. Dynastie, brachte, wie es bei längeren Museumsbesuchen zumeist vorkommt, nichts aufregend Neues. Die ersten Zeichen der Ermüdung machten sich bemerkbar, insbesondere bei Amy, die mit ihrem Handstock bisher brav mitgehalten hatte.

      »Ich glaube, wir sollten uns auf den Rückweg machen, Mr Graham. Sie haben uns einen außerordentlichen Morgen beschert, der uns sicherlich lange beschäftigen wird«, sagte der Oberst.

      »Es war mir ein besonderes Vergnügen. Vielleicht können wir heute Nachmittag einen kurzen Abstecher ins Tal der Königinnen machen, wo ich Ihnen ein paar interessante Einzelheiten zeigen kann.«

      Amy hatte sich nach Blackie umgedreht, der ihr plötzlich nicht mehr bei Fuß folgte.

      Blackie war vom Wege ab etwa dreißig Meter weit bergan gestiegen und stand wie erstarrt zwischen zwei Felsblöcken, die offenbar von den dahinter aufsteigenden Klippen heruntergestürzt waren. Er scharrte erst mit der rechten Pfote im Geröll, hob seinen Fang, als wenn er den Wind in verschiedenen Richtungen prüfen wolle und setzte sich dann auf seine Keulen und ließ zweimal kurz nacheinander seinen Klagegesang hören. Dann sah er zu Amy hin. Auf ihre Aufforderung, zu kommen, reagierte er nicht, sondern heulte noch einmal kurz auf.

      Nun waren auch die Männer aufmerksam geworden.

      »Ich kann mir nicht helfen, Mr Graham. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Blackie meint, genau an der Stelle eine Grabstelle mit Toten gefunden zu haben«, erklärte Amy.

      Graham sah sie überrascht und ratlos an.

      »Also, liebe Miss Burgess, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir die ganze Gegend hier nach weiteren Grabstellen fast umgepflügt haben. Und wir haben inzwischen ziemlich neuartiges Gerät für diese Untersuchungen.«

      Graham sah mit einem Ausdruck des Zweifels zu Blackie hin, der keine Anstalten machte, seinen Platz zwischen den Steinblöcken aufzugeben.

      »Ich gebe ja zu, dass wir auch in den letzten Jahren laufend etwas Neues gefunden haben. Denken Sie nur an KV5 und dass wir immer noch nicht wissen, wo die Gräber verschiedener Pharaonen oder ihrer Konsorten aus der fraglichen Periode der ägyptischen Geschichte sind, nach denen wir ja bereits gesucht haben. Aber hier? Vielleicht doch eher in einem der weniger untersuchten Nebentälern.«

      »Wir können Ihnen da nicht raten, Mr Graham. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sich der Hund zum Beispiel damals in den Resten des Augustinerklosters bei Ramsgate genau so verhalten hat. Und die Untersuchung hat ihm recht gegeben. Natürlich können Sie hier und jetzt nichts unternehmen. Bewahren Sie es eventuell als eine Anregung für Ihre Untersuchungen auf.«

      Amy verließ den Weg, stieg mit ihrem Stock etwas mühsam die Steigung hinauf und nahm den Hund am Halsband. Er folgte ihr willig.

       Als die Grahams und Burgess’ abends im Winter Palace Hotel beim Dinner saßen, galt das Gespräch den Erlebnissen des Tages und kam bald auf Blackies Verhalten in der Nähe der Grabstätte KV15.

      »Ich habe mir die Sache überlegt«, begann Ernest Graham etwas unschlüssig. »Obwohl ich mir nicht denken kann, dass trotz der von Ihnen betonten Indizien große Aussichten bestehen, an dieser Stelle etwas zu finden, werde ich eine Untersuchung einleiten. Ich will Ihnen gerne erläutern, was mich zögern lässt. Es gibt aus der ganzen Grabungsgeschichte im Tal der Könige keinen Hinweis auf weitere Gräber am Ende dieses Seitentals, auch keine Hinweise aus Papyri oder antiken Inschriften. Wir haben gerade in der Gegend zuletzt vor vier Jahren eine ziemlich eingehende Untersuchung erfolglos abgeschlossen. Und jetzt kommen Sie und Ihr Hund Blackie und halten es für möglich, dass Ihr Hund uns trotz unserer modernen Suchgeräte eines Besseren belehrt!«

      Er machte eine Geste etwas komischer Verzweiflung.

      »Andererseits sind wir ja schon häufiger eines Besseren belehrt worden. Und in unserer Wissenschaft gibt es zugegebenerweise viele Unsicherheiten. Und die bisherigen Erfahrungen mit Ihrem Hund machen einen neugierig. Sie müssen mir nachsehen, dass ich Ihre Berichte von Blackies Entdeckungen in England habe nachprüfen lassen, besonders den über seinen Fund im St. Augustin Kloster in Ramsgate. Ob ich meine Absicht, dort zu graben, verwirklichen kann, ist jedoch noch ungewiss. Sie müssen verstehen, dass ich eine neue teure Recherche nicht allein entscheide. Was glauben Sie wohl, was meine Peers im Genehmigungsausschuss sagen, wenn ich die Untersuchung mit der einfachen Begründung beantrage, dass sich der Hund von Freunden aus England an einer bestimmten Stelle in der Nähe von KV15 auffällig benahm. Sie würden mich auslachen, und ausgelacht werden hat nicht nur die Ablehnung eines solchen Antrags zur Folge, sondern ist gelegentlich sogar der Tod für einen Wissenschaftler.«

      Nun musste er selbst lachen.

      »Ich muss diesen nächsten Schritt also wirklich sehr gut vorbereiten. Ich gebe Ihnen allerdings gern zu, dass ich selbst inzwischen gespannt bin. Man bekommt nicht oft in seinem Leben eine so merkwürdige Chance, auch wenn ich einen Erfolg, wenn Sie mich heute auf Ehre und Gewissen fragen, nicht einmal auf eins zu hundert einschätzen würde. Zu oft waren unsere Bemühungen erfolglos.«

      Er hob sein Weinglas und prostete der Runde zu.

      »Ich habe mich jedenfalls entschieden. Wenn etwas daraus werden sollte, werden Sie das während Ihres Besuchs hier nicht mehr mitbekommen. Sie sind dann längst wieder in England. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen zu gegebener Zeit Nachricht geben werde.«

       Am nächsten Morgen in der Frühe machte sich die Alexandria auf zur Weiterfahrt nach Assuan. Vater und Tochter Burgess saßen mit ihrem morgendlichen Tee auf der Aussichtsterrasse und beobachteten das Ablegen und danach das Leben und Treiben an den beiden Nilufern.

      Die Alexandria machte ihren ersten Stopp beim Ort Esna, wo sie den Tempel des Gottes Chnum und seiner Konsortin Neith und ihres Sohnes besichtigten.

      Der zweite, viel interessantere Aufenthalt war etliche Meilen weiter südlich am Ort Idfu, der früher Edfu hieß, in dem eines der Wunderwerke des ägyptischen Tempelbaus zu besichtigen war: der mit Recht als einer der schönsten und am besten erhaltenen Tempel des ganzen Landes gepriesene Tempel des Horus, des Gottes der Sonne und des Lichtes. Die Reliefs in den hohen rötlichen Sandsteinmauern waren mit das Schönste und die Säulenreihen im Innenhof nach Karnak das Eindrucksvollste, was die Burgess auf ihrer Reise zu sehen bekamen. Lange bewunderten sie das große steinerne Standbild des Falken, des Sinnbildes des Gottes, neben dem Tor im Innenhof.

      Die nächste Station dieser Reise, der Doppeltempel des Krokodilgottes Sobek mit dem des Osiris am Ufer des Nils, ganz in der Nähe des Ortes Kom Ombo, war ebenfalls den Aufenthalt wert.

      Ganz besonders gespannt aber waren die Burgess’ auf den letzten Zwischenstopp vor ihrer Ankunft in Assuan im Örtchen El Kays. Unterstützt von Ernest Graham hatten sie Kapitän Achmed Nasseri in Luxor ihren Wunsch vorgetragen und hatten bei ihm sofort Gehör gefunden.

      »Sie meinen wegen des Tempels des Anubis, nicht wahr? Ich habe mir das fast denken können, als ich Sie mit Ihrem Hund an Bord kommen sah. Was für ein Prachtexemplar. Das reine Ebenbild von Anubis in der Hundegestalt! Wir gehen auf solche Sonderwünsche gern ein, wenn die Landebedingungen nicht zu schwierig sind. Die Alexandria bedient eben nicht den Massentourismus, sondern mehr die Reisenden mit eigenen Reisevorstellungen, wie Sie es bei der Planung ja sicher gemerkt haben – auch im Preis natürlich!«

      Er lachte und fuhr fort: »El Kays liegt auf beiden Seiten des Nils mit der Insel im Strom dazwischen. Ich weiß nicht, wie sie im alten Ägypten hieß. Ich erinnere mich an den Namen, den die Griechen ihr gaben: Cynopolis, die Hundestadt. Ah, das wissen Sie? Ich habe dort schon früher angelegt und kenne den Landeplatz an der Insel, auf dem sich der Tempel und der Hundefriedhof befinden. Ich habe mich da einmal umgesehen, muss aber gestehen, dass diese Tempelanlage nicht mehr viel hermacht. Sie ist einfach zu alt. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt noch Leute gibt, die sich um einen Anubiskult bemühen. Dass dieser Gott der Unterwelt aus den Vorstellungen des Volkes besonders hier im oberen Ägypten bislang nicht verschwunden ist, obwohl sich die meisten inzwischen zum Islam und viele auch zum koptischen Christentum bekennen, kann ich aus vielen Beobachtungen bezeugen. Also,