Название | Solo für Schneidermann |
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Автор произведения | Joshua Cohen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783731761006 |
Enigma. Freundschaft. Schuld waren drei Wörter, die Schneidermann in einen Spiralblock gekritzelt hatte, als er am 2. April 1954 ein Wörterbuch las, weil Schneidermann, er wollte die Sprache lernen.
Emigrant. SIEHE Immigrant. Erster Mai 5714.
Zugegeben, ich sollte Schneidermann nie zur Gänze kennenlernen, aber ich erkannte, dass ein partielles Nichtkennen Schneidermanns an sich ein absolutes, totales und umfassendes Kennen Schneidermanns war, und das wollte ich Ihnen erklären (nicht ganz einfach),
denn seine Meinung wurde bald darauf meine, sollte bald darauf meine werden, bewusst oder eher nicht: wenn er beispielsweise Hochachtung vor Soundso hatte (seinen Klang mochte, seinen Anschlag, seine ganze Einstellung zur Musik),
dann hatte auch ich Hochachtung vor Soundso, auch wenn ich ihn zuvor anders eingeschätzt hatte, und wenn ich Hochachtung vor Soundso hatte (meinetwegen seiner Interpretation meiner Interpretation wegen),
dann hielt Schneidermann auf der Stelle nichts mehr von Soundso, ungeachtet meiner Proteste, die in der Regel nur eine meinen ursprünglichen Absichten diametral entgegengesetzte Wirkung hatten (wenn ich ihn etwa zu Soundsos Solosonate umstimmen wollte, für die der mein Vorbild gefleddert hatte),
und ich Schneidermann nur einladen wollte, ihm die Möglichkeit einräumen wollte, Soundso, den armen, armen, armen Soundso,
ich zum Beispiel revidierte meine Meinung oft grundlegend, um Schneidermanns zu revidieren, dabei merkte er das natürlich und verhielt sich genauso oder passte seine entsprechend an,
damit ich oder er selbst einen Rückzieher machen konnte, einen x-beliebigen Sowieso niedriger einschätzen konnte als am Anfang, ihn gering achten oder sogar verachten konnte bis zu dem ganz offenkundig naheliegenden Punkt, an dem Schneidermann Soundsos absolute Bedeutungslosigkeit plötzlich als reine – vorsätzliche – Genialität betrachten konnte, ungeachtet oder unbeschadet etwaiger früherer Einschätzungen, die nur gegolten hatten, um irgendwann geduldig gekippt werden zu können,
ins diametral Entgegengesetzte, absolute Gegenteil umgewandelt werden zu können – aber so ist die Kunst, wie, sagen wir, in meinem Fall,
im Fall meiner Kindheit, weniger eine richtige Kindheit als eine Wunderkindheit, die nur durch Verheißungen eines anhaltenderen, höheren Ruhms zu retten war:
etwa so: Hier, Junge, spiel die Geige hier, und vielleicht wirst du es im Leben dann zu irgendwas bringen, aus dem Ghetto rauskommen und draußen bleiben, übe Klavier, und vielleicht machst du am Ende ja was aus dir, du weißt schon, verdienst all die Anerkennung und erntest die Zustimmung, die einer überambitionierten Jugend gebührt, die nur zur Reife gelangt, wenn du lange genug lebst, aus ihr herauswachsen kannst, zu Beschämung und Bedauern vordringst, und dann, weißt du, erst dann wirst du es erkennen,
als ich mich ihm beispielsweise vorstellte, Schneidermann, noch in Budapest am Konservatorium, als ich da zum ersten Mal und ohne Anklopfen sein spartanisches Atelier betrat und meine Geige aus ihrem Sargkoffer nahm, als ich da zum ersten Mal und ohne irgendeine Einleitung, die, wie mir schon damals klar war, bei einem Genie wie Schneidermann auch völlig überflüssig gewesen wäre, meine Geige auf die vier Töne stimmte, die ich immer im Kopf hatte, G, D, A und E, und ihm ein damals populäres Wunderkind-/Virtuosenstück vorspielte, das so viele Obertöne hatte, dass es fast schon Papst Gregors Nachtigallen unter Helium nachahmte,
das ich wahrscheinlich nicht und schon gar nicht für ihn, Schneidermann, hätte spielen sollen, und dann auch noch bei meinem ersten und einzigen Vorspielen, aber ich hab’s halt gemacht, wenn auch nur auf Anraten meines – falschen, wahren – Vaters,
begleitet nur vom Basso ostinato meines Ehrgeizes.
Ich war jung. Mehr wusste ich nicht.
Schneidermann zu mir: Du bist wertlos, nur so ein Ghettoanwärter mit Technik und verbissenen Eltern (ich übersetze halb aus dem Deutschen und halb aus dem Jiddischen, in das Schneidermann versehentlich ausrutschte).
Schneidermann zu mir: Deine Technik ist unglaublich, und ebenbürtig ist ihr nur die Tiefe des Ausdrucks, die in deinem Alter kaum je anzutreffen ist. In kaum einem Alter. Jemals.
Schneidermann zu mir: Gib die Geige auf und ergreif einen anständigen Beruf.
Schneidermann zu mir: Du bist der größte Geiger, den ich seit Szigeti gehört habe,
da können Sie Ihren Lieblingsvirtuosen einfügen,
Schneidermann zu mir: das größte Potenzial, das mir je untergekommen ist, das Größte, was ich je gehört habe, schon geschliffen, vollendet, bereit zu Walhalla-Ruhm, und Sie können mir glauben, dass diese Meinungen (die einzige Meinung) meine Lebensrettung wurden,
Sie können mir glauben, dass diese Meinungen mein Tod waren,
diese täglich und stündlich geäußerten Meinungen, nach Takten bearbeitet, nach Noten bearbeitet, nach dem Bogenstrich, diese Meinungen wurden in vollkommener Umkehrung einer Meinung hinzugefügt oder von ihr abgezogen, in einer Harmonie absoluter Gegenteile, nur durch ein Zupfen an einem Ohr mit langem Läppchen,
ein Zupfen an einem beliebigen ananasläppigen Ohr,
einem beliebigen Ohr und selbst einem von mir, während Schneidermann, er begleitete mich auf einem todesröchelnden Flügel, spielte mit Münze auf dem Handgelenk, wie um mich nachzuäffen, und dann spielte ich mit Buch unterm Arm in einen Spiegel, damit meine musikalischen Schwächen (denn ich hatte deutlich weniger technische Schwächen, aber egal), alle meine musikalischen Schwächen und deren hatte ich viele in jenen Tagen, aber egal, ihre Million konnte sich widerspiegeln und in nacktem, schonungslosem Wohlwollen widerhallen, durch Haltungsmängel und unbeholfene Ellenbogenwinkel, zu locker oder zu verspannt, notgeil-pubertär-verspannt, in zu mechanischem moto perpetuo, zu expressionistisch, gefühlsbetont, von der Verführung verführt, unbeleckt von oder allzu beschäftigt mit der Phrase als kleinstem Gebilde musikalischen Denkens, Phrasenabhängigkeit, unfähig, in einem Kontext zu interpretieren, der außerhalb meines sturen Ehrgeizes lag, unfähig, mich auf jegliche Einfälle zu verlassen, die mir nicht mein eigenes Ego nahegelegt hatte, und obwohl ich sicher bin, dass ich großartig klang, schon damals auf EUROPÄISCHEM, also INTERNATIONALEM Niveau, schon vollkommen für den Rest der Welt, war Schneidermann der Einzige, der wusste, der lauschte, der hörte – schließlich begriff ich, dass er der Einzige war, der das je tun würde, der das überhaupt konnte bei unseren dreimal wöchentlich stattfindenden Privatstunden in dem düster-spartanischen Atelier im verrottenden Konservatorium der verfallenden Hauptstadt eines toten Landes in der mittelosen Mitte der europäischen Leere.
Da ich ein Frühaufsteher war,
war ich immer Schneidermanns Liebling,
im Konservatorium hatte ich keine Freunde,
Musik war mein Leben.
Aber der Tod meines Potenzials als Mensch. Als humanem Wesen.
Frieda traf ich immer im grünsten Park, mein Zeit-management hatte für mich immer größte Bedeutung. Ich hatte immer ein Gabelbein in der Tasche, Mozarts Musik verursacht bekanntlich keinen Durchfall, wie mein Vermieter mir einmal erklärte, als er die Rohrleitungen erneuern ließ, derweil Frieda, sie war schon durchnässt, wartete und spannte mich ein, ihr bei der Suche nach ihrem Regenschirm zu helfen.
Da ich jeden Morgen früh aufwachte, jedenfalls vor Ziggi,
übte ich,
fuhr am Nachmittag zur Stunde bei Schneidermann ins Konservatorium,
dann zum Üben ins Zimmer zurück,
dann zu Schneidermanns Haus zur Fortsetzung des Unterrichts.
Leben.
Schneidermann zu mir: Es wäre mir eine Ehre, dich zu unterrichten.
Schneidermann zu mir: Lieber lass ich mir eine Geigensaite um den Penis binden und das andere Ende an die Türklinke des Ateliers, und dann bitte ich dich höflich, zu gehen und die Tür hinter dir zuzuknallen.
Lieber lass