.

Читать онлайн.
Название
Автор произведения
Жанр
Серия
Издательство
Год выпуска
isbn



Скачать книгу

Natur eines Kindes, das nichts anderes verlangt, als beherrscht zu werden. Sie sorgte für ihn, wie man für einen Mantel sorgt: sie hielt ihn sauber, bürstete ihn, verwahrte ihn und ging gut mit ihm um; und da sich Herr von Bargeton gut behandelt, gebürstet und gepflegt fühlte, hatte er für seine Frau eine hündische Liebe gewonnen. Es ist so leicht, ein Glück zu geben, das nichts kostet! Frau von Bargeton kannte kein anderes Vergnügen ihres Mannes als eine gute Tafel und ließ ihm also ausgezeichnete Mahlzeiten vorsetzen; sie hatte Mitleid mit ihm; niemals hatte sie sich über ihn beklagt, und manche Leute, die ihren schweigenden Stolz nicht verstanden, schrieben Herrn von Bargeton verborgene Vorzüge zu. Sie hatte ihn überdies an militärische Disziplin gewöhnt, und der Gehorsam dieses Mannes gegen die Wünsche seiner Frau war unbedingt. Sie sagte zu ihm: »Mach' Herrn Soundso oder Frau Soundso einen Besuch«, und er ging hin wie ein Soldat auf seinen Posten. Er stand unbeweglich vor ihr und präsentierte.

      Es stand gerade jetzt in Frage, diesen Stummen zum Deputierten zu ernennen. Lucien besuchte das Haus noch nicht lange genug, um dahintergekommen zu sein, was hinter diesem unglaublichen Charakter steckte. Herr von Bargeton, der in seinem Lehnstuhl lag und alles zu sehen und alles zu verstehen schien, der mit einer solchen Würde zu schweigen verstand, machte ihm einen höchst imponierenden Eindruck. Anstatt ihn als Prellstein zu nehmen, machte Lucien infolge der Neigung, die phantasievolle Menschen dazu bringt, alles vergrößert zu sehen und allen Gestalten eine Seele zu leihen, aus diesem Edelmanne eine furchtbare Sphinx und hielt es für notwendig, ihm zu schmeicheln.

      »Ich bin der erste«, sagte er und grüßte etwas ehrerbietiger, als es der Wackere von anderen gewohnt war. »Das ist ganz natürlich«, antwortete Herr von Bargeton. Lucien nahm diese Bemerkung als spitzes Wort eines eifersüchtigen Gatten, wurde rot, sah in den Spiegel und suchte sich eine stramme Haltung zu geben.

      »Sie wohnen in Houmeau«, sagte Herr von Bargeton; »die Leute, die weit entfernt wohnen, kommen immer früher als die, die in der Nähe wohnen.«

      »Woher kommt das wohl?« fragte Lucien und nahm eine recht freundliche Miene an.

      »Ich weiß nicht«, antwortete Herr von Bargeton, der in seine Starrheit zurückgefallen war.

      »Sie wollen nur nicht danach suchen«, fing Lucien wieder an. »Ein Mann, der imstande ist, die Bemerkung zu machen, muss auch die Ursache finden.«

      »Ach,« machte Herr von Bargeton, »die letzten Ursachen! Ha, ha!«

      Lucien zermarterte sich das Hirn, um der Unterhaltung weiterzuhelfen, die wieder ins Stocken geraten war.

      »Frau von Bargeton kleidet sich wohl an?« fragte er und wurde zugleich wütend über die Dummheit dieser Frage. »Jawohl, sie kleidet sich an«, antwortete der Gatte mit ruhiger Natürlichkeit.

      Lucien hob die Augen, um die beiden vorspringenden Balken zu betrachten, die in Grau gemalt waren; vermochte aber auf keine Bemerkung zu kommen, mit der er die Unterhaltung hätte fortsetzen können. Doch nicht ohne Schrecken sah er, dass der kleine Kronleuchter mit den alten Kristallgehängen nicht mehr in Gaze eingehüllt war und dass Kerzen darauf steckten. Die Möbelüberzüge waren weggenommen worden, und das rote indische Seidenzeug zeigte seine verblichenen Blumen. Diese Zurüstungen deuteten auf einen außerordentlichen Abend. Dem Dichter kamen Zweifel über die Schicklichkeit seines Anzuges, denn er war in Stiefeln. Mit der dumpfen Starrheit der Furcht betrachtete er eine japanische Vase, die auf einem Pfeilertischchen im Stil Louis XV. stand. Dann bekam er es mit der Angst, er könnte diesem Gatten missfallen, wenn er ihm nicht den Hof machte, und er beschloss zu erforschen, ob der Gute ein Steckenpferd hätte, dem man schmeicheln könnte.

      »Sie verlassen selten die Stadt?« fragte er Herrn von Bargeton und trat wieder zu ihm. »Selten.«

      Wieder trat Schweigen ein. Herr von Bargeton belauerte wie eine argwöhnische Katze die geringsten Bewegungen Luciens, der ihn in seiner Ruhe zu stören drohte. Alle beide hatten Angst voreinander.

      »Sollte er wegen meiner häufigen Besuche Verdacht geschöpft haben?« dachte Lucien. »Er scheint sehr feindselig gegen mich!«

      Zum Glück für Lucien, den die unruhigen Blicke, mit denen Herr von Bargeton, auf und ab gehend, ihn verfolgte, sehr störten, trat der alte Diener, der sich in eine Livree gesteckt hatte, herein und meldete du Châtelet an. Der Baron trat ungezwungen ein, grüßte seinen Freund Bargeton und nickte Lucien mit einer leichten Kopfbewegung zu, die damals in der Mode war, die unser Dichter aber als eine bourgeoise Unverschämtheit empfand. Sixtus du Châtelet trug eine Hose von blendender Weiße mit verborgenen Stegen, die sie in den Falten hielten. Er trug feine Schuhe und feingewebte Strümpfe. Über seiner weißen Weste hing das schwarze Band seiner Lorgnette. An seinem schwarzen Rock schließlich merkte man pariserischen Zuschnitt. Er war der Geck, den sein Vorleben erwarten ließ; aber sein Alter hatte ihm bereits ein rundes Bäuchlein gegeben, das ziemlich schwer in den Grenzen der Eleganz zu halten war. Er färbte sich Haare und Backenbart, die infolge der Leiden seines Reiseerlebnisses weiß geworden waren, und das gab ihm ein steifes Aussehen. Sein Teint, der früher sehr zart gewesen war, hatte die Kupferfarbe der Leute angenommen, die aus Indien zurückgekehrt sind; aber seine Haltung offenbarte doch, obwohl sie durch sein prätentiöses Wesen, das er nicht ablegte, lächerlich wurde, den angenehmen Geheimsekretär einer kaiserlichen Hoheit. Er nahm seine Lorgnette vor die Augen, besah sich die Nankinghose, die Stiefel, die Weste, den in Angoulême verfertigten blauen Rock Luciens, kurz, seinen Nebenbuhler von Kopf bis zu Fuß; dann steckte er kaltblütig die Lorgnette wieder in die Westentasche, wie wenn er hätte sagen wollen: »Ich bin zufrieden.« Lucien, der sich schon durch die Eleganz des Finanzmanns niedergedrückt fühlte, dachte, er werde seine Revanche haben, wenn die Gesellschaft sein von dem Vortrag beseeltes Antlitz sähe; aber nichtsdestoweniger litt er lebhaft und fühlte sich in ein nicht geringeres Unbehagen versetzt als vorher durch die vermeintliche Feindseligkeit des Herrn von Bargeton. Es schien, als werfe der Baron das ganze Gewicht seines Reichtums auf Lucien, um sein Elend möglichst zu demütigen. Herr von Bargeton, der darauf gerechnet hatte, nichts mehr sagen zu brauchen, war bestürzt über das Schweigen, das die beiden Nebenbuhler, die einander beständig prüfend betrachteten, bewahrten; aber er hatte, wenn er sich am Ende seiner Bemühungen sah, immer noch eine Frage, die er sich aufbewahrte wie eine Birne für den Durst, und er hielt es für nötig, sie jetzt loszulassen. Er nahm eine geschäftige Miene an und fragte Châtelet:

      »Nun, mein Lieber, was gibt es Neues? Spricht man von etwas?«

      »Aber«, antwortete boshaft der Steuerdirektor, »Herr Chardon ist das Neue. Wenden Sie sich an ihn. – Haben Sie uns ein hübsches Gedicht mitgebracht?« fragte der mutwillige Baron und strich sich eine Locke über der Schläfe zurecht, die ihm in Unordnung schien.

      »Um zu wissen, ob es mir gelungen ist, hätte ich Sie zu Rate ziehen müssen,« antwortete Lucien; »Sie haben die Poesie schon vor mir betrieben.«

      »Bah! ein paar hübsche Vaudevilles, die ich aus Gefälligkeit machte, Gelegenheitsgedichte, Romanzen, denen die Musik erst Wert gab, meine große Epistel an eine Schwester Bonapartes – der Undankbare! –, das gibt keinen Anspruch auf Unsterblichkeit.«

      In diesem Augenblick trat Frau von Bargeton im ganzen Glanze einer ausgesuchten Toilette herein. Sie trug einen jüdischen Turban, der mit einer orientalischen Agraffe geziert war. Eine Gazeschärpe, unter der die Steine einer Halskette glitzerten, war anmutig um ihren Hals geschlungen. Ihr Gewand aus gemaltem Muffelin mit kurzen Ärmeln erlaubte ihr, mehrere Armbänder zu zeigen, die an ihren schönen weißen Armen aufgereiht waren. Dieser theatralische Aufzug entzückte Lucien. Herr du Châtelet richtete an diese Königin galant widerwärtig übertriebene Komplimente, und sie lächelte vor Vergnügen, so glücklich war sie darüber, in Luciens Anwesenheit gepriesen zu werden. Sie tauschte mit ihrem lieben Dichter nur einen Blick und antwortete dem Steuerdirektor mit einer Höflichkeit, die ihn bestürzte, weil sie ihn ihrer Intimität ausschloss.

      Inzwischen trafen die Gäste so nach und nach ein. Es kamen zunächst der Bischof und sein Generalvikar, zwei würdige und feierliche Gestalten, die einen starken Gegensatz bildeten. Monseigneur war groß und mager, sein Vikar kurz und dick. Alle beide hatten glänzende Augen, aber der Bischof war blass und sein Stellvertreter hatte ein Gesicht, das von der lebhaftesten