Verlorene Illusionen. Оноре де Бальзак

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Название Verlorene Illusionen
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955014933



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      Endlich waren die Dinge an dem Punkt angelangt, dass Louise Lucien, eine Woche vor dem Zeitpunkt, an dem wir halten, bei sich zum Essen hatte. Herr von Bargeton war der dritte. Trotz dieser Vorsichtsmaßregel erfuhr die ganze Stadt die Sache und hielt sie für so maßlos unbegreiflich, dass sich jeder fragte, ob sie wahr sein könnte. Es gab einen schrecklichen Aufruhr. Manchem schien die Gesellschaft vor dem Untergang zustehen. Andere riefen aus: »Da sieht man, wohin die liberalen Lehren führen!«

      Der eifersüchtige du Châtelet hatte nunmehr ausgekundschaftet, dass Madame Charlotte, die bei den Frauen die Wochenpflege hielt, Frau Chardon war, »die Mutter des Chateaubriand von Houmeau«, wie er sagte. Dieser Ausdruck galt für einen guten Witz. Frau von Chandour war die erste, die zu Frau von Bargeton eilte.

      »Wissen Sie, liebe Naïs, wovon ganz Angoulême spricht?« sagte sie zu ihr. »Dieses kleine Dichterlein hat Madame Charlotte zur Mutter, die vor zwei Monaten meine Schwiegertochter im Wochenbett pflegte.«

      »Meine Liebe,« sagte Frau von Bargeton mit ihrer königlichsten Miene, »was ist daran Außerordentliches? Ist sie nicht die Witwe eines Apothekers? Ein trauriges Geschick für ein Fräulein von Rubempré! Nehmen wir an, wir ständen ohne einen Pfennig Vermögen da, was täten wir, um zu leben? Wie wollten Sie Ihre Kinder ernähren?«

      Die Kaltblütigkeit Frau von Bargetons unterdrückte alles Klagegeschrei des Adels. Die großen Seelen sind immer imstande, aus der Not eine Tugend zu machen. Außerdem besitzt die Beharrlichkeit, mit der man etwas Gutes tut, das einem zur Anschuldigung erhoben wird, einen unbesieglichen Reiz. Die Unschuld hat das Anziehende des Lasters. Am Abend füllte sich der Salon Frau von Bargetons mit ihren Freunden, die kamen, ihr Vorhaltungen zu machen. Sie ließ die ganze Schärfe ihres Witzes spielen; sie sagte, wenn die Herren Edelleute keine Molière, Racine, Rousseau, Voltaire, Massillon, Beaumarchais, Diderot sein könnten, dann müsste man wohl oder übel die Tapezierer, die Uhrmacher, die Messerschmiede empfangen, deren Kinder große Männer würden. Sie sagte, das Genie sei immer von Adel. Sie schalt die Krautjunker, dass sie ihre wahren Interessen so schlecht verstanden. Kurz, sie sagte viele Dummheiten, die für weniger alberne Menschen etwas hätten durchblicken lassen, in diesem Kreise aber für originell galten. Sie beschwor also das Gewitter mit Hilfe von Kanonenschlägen. Als Lucien, den sie bestellt hatte, zum erstenmal in den alten, verblichenen Salon eintrat, wo man an vier Tischen Whist spielte, empfing sie ihn aufs herzlichste und stellte ihn in der Haltung einer Königin vor, die Gehorsam verlangt. Sie nannte den Steuerdirektor »Herr Châtelet« und versteinerte ihn fast, als sie ihm so zu verstehen gab, dass sie wusste, auf wie illegalem Weg das Wörtchen »von« vor seinem Namen entstanden war. Lucien wurde an diesem Abend gewaltsam in die Gesellschaft Frau von Bargetons eingeführt; aber er wurde dort wie ein Giftstoff aufgenommen, den jeder sich vornahm mit Hilfe der Gegengifte der Unverschämtheit wieder auszutreiben. Trotz diesem Triumph verlor Naïs an Einfluss: es gab Abtrünnige, die den Versuch machten, auszuwandern. Auf den Rat des Herrn Châtelet entschloss sich Amélie, das war Frau von Chandour, einen Gegenaltar zu errichten, indem sie an den Mittwochen bei sich empfing. Frau von Bargeton öffnete ihren Salon jeden Abend, und die Menschen, die zu ihr kamen, waren solche Gewohnheitsmenschen, waren so sehr daran gewöhnt, sich in denselben Räumen zu versammeln, dasselbe Tricktrack zu spielen, die Menschen, die Leuchter zu sehen, ihre Mäntel; ihre Überschuhe, ihre Hüte im selben Vorraum zu lassen, dass sie die Treppenstufen ebensosehr liebten wie die Herrin des Hauses. »Alle ließen sich den Stieglitz im heiligen Hain gefallen«, bemerkte Alexandre de Brébian witzig. Schließlich beruhigte der Präsident der Landwirtschaftsgesellschaft den Aufruhr durch eine meisterhafte Bemerkung.

      »Vor der Revolution«, sagte er, »empfingen die größten Herren Duclos, Grimm, Crébillon, lauter Leute, die, wie dieser kleine Dichter aus Houmeau, sonst nichts weiter zu bedeuten hatten; aber sie empfingen durchaus keine Steuereinnehmer, und was ist schließlich Châtelet weiter?«

      Du Châtelet zahlte für Chardon die Zeche, jeder behandelte ihn kühl. Als er merkte, dass er es auszubaden hatte, ging der Steuerdirektor, der sich seit dem Augenblick, wo sie ihn Châtelet genannt, geschworen hatte, er wolle Frau von Bargeton besitzen, auf ihre Absichten ein; er kam dem jungen Dichter zu Hilfe und nannte sich seinen Freund. Dieser große Diplomat, dessen sich der Kaiser zu seinem Unglück beraubt hatte, schmeichelte Lucien und hieß sich seinen Freund. Um den Dichter zu lancieren, gab er ein Diner, an dem der Präfekt, der Generaldirektor der Steuern, der Oberst des Regiments, das in Angoulême in Garnison lag, der Direktor der Marineschule, der Gerichtspräsident, kurz, alle Spitzen der Behörden teilnahmen. Der arme Dichter wurde so großartig gefeiert, dass jeder andere als ein junger Mensch von zweiundzwanzig Jahren gegen die Lobsprüche, mit denen man ihn täuschte, misstrauisch geworden wäre. Beim Nachtisch veranlasste Châtelet seinen Nebenbuhler, seine Ode »Der sterbende Sardanapal« vorzutragen, die zurzeit seine beste Dichtung war. Als er fertig war, klatschte der Lyzeumsdirektor, ein phlegmatischer Mensch, in die Hände und sagte, Jean Baptiste Rousseau habe nichts Besseres gemacht. Der Baron Sixtus Châtelet dachte, der kleine Reimschmied werde früher oder später in der Treibhausluft dieser Lobpreisungen zugrunde gehen, oder er werde sich im Rausche seines verfrühten Ruhmes Frechheiten erlauben, die ihn wieder in das Dunkel schleuderten, aus dem er gekommen war. Bis zum Dahinscheiden dieses Genies schien er seine Ansprüche zu den Füßen der Frau von Bargeton zu opfern; aber er hatte mit der Geschicklichkeit eines Roués seinen Plan festgelegt, verfolgte mit der Aufmerksamkeit eines Strategen die weitere Entwicklung des Verhältnisses der beiden Liebenden und lauerte auf die Gelegenheit, Lucien den Garaus zu machen. Es erhob sich nun in Angoulême und der Nachbarschaft ein dunkles Gerücht, das von dem Vorhandensein eines großen Mannes im Angoumois wissen wollte. Frau von Bargeton wurde für die sorgsame Pflege, die sie dem heranwachsenden Genie widmete, allgemein gelobt. Nachdem sie so einmal Zustimmung gefunden, wollte sie die allgemeine Billigung ernten. Sie erließ im ganzen Departement Einladungen zu einer Abendunterhaltung mit Gefrornem, Kuchen und Tee. Das war eine große Neuerung in einer Stadt, wo man den Tee noch als Mittel gegen Verdauungsstörungen beim Apotheker kaufte. Die Blüte der Aristokratie war geladen, um ein großes Werk zu hören, das Lucien vorlesen sollte. Louise hatte die Schwierigkeiten, die sie zu überwinden gehabt, ihrem Freund verhehlt, aber sie ließ einige Worte von der Verschwörung fallen, die die Welt gegen ihn angezettelt hatte, denn sie wollte nicht, dass ihm die Gefahren der Laufbahn eines genialen Mannes unbekannt blieben, auf der es Hindernisse gibt, die nur ungewöhnliche Tapferkeit zu überwinden vermag. Sie machte aus diesem Sieg eine Nutzanwendung. Sie zeigte ihm mit ihren weißen Händen, wie der Sieg mit unaufhörlichen Martern erkauft werden muss, sie sprach ihm von dem Scheiterhaufen der Märtyrer, den man betreten müsste, sie flocht ihm ihre schwungvollsten Sätze und zierte sie mit den prunkvollsten Worten. Das Wortgebäude, das sie vor ihm auftürmte, sah aus wie die Improvisationen, die den Roman »Corinna« verunstalten. Louise fand sich in ihren Improvisationen so groß, dass sie den Benjamin, der sie ihr eingab, noch mehr liebte; sie gab ihm den Rat, seinen Vater kecklich zu verleugnen und den Adelsnamen »von Rubempré« anzunehmen, ohne sich um das Geschrei zu kümmern, das sich bei dieser Namensänderung erheben würde, die der König übrigens legitim machen würde. Sie sei mit der Marquise d'Espard, einer geborenen von Blamont-Chauvry, verschwägert, die von großem Einfluss bei Hofe sei, und sie nehme es auf sich, diese Gunst zu erlangen. Bei diesen Worten, »der König, die Marquise d'Espard, der Hof« drehte es sich Lucien wie ein Feuerwerk vor den Augen, und die Notwendigkeit dieser Umtaufe war ihm erwiesen.

      »Lieber junger Freund« sagte Louise mit zärtlichem Spott zu ihm, »je eher es geschieht, um so schneller wird es anerkannt.«

      Sie zeigte ihm der Reihe nach die übereinandergelagerten Schichten der Gesellschaft und ließ den Dichter die Sprossen zählen, die er durch diesen geschickten Entschluss plötzlich übersprang. In einem Augenblick brachte sie Lucien dazu, dass er seine schimärischen demokratischen Gleichheitsideen von 1793 aufgab. Sie erweckte in ihm den Durst, sich auszuzeichnen, den die kühle Vernunft Davids besänftigt hatte; sie zeigte ihm die hohe Gesellschaft als die einzige Bühne, auf der er auftreten durfte. Der hasserfüllte Liberale wurde ein geheimer Monarchist. Lucien fand Geschmack am aristokratischen Luxus und am Ruhm. Er schwor, er wolle seiner Dame eine Krone zu Füßen legen, selbst wenn sie blutig sein sollte; er würde sie um jeden Preis erobern, quibusunque viis. Um seinen Mut zu beweisen, erzählte er Louise seine gegenwärtigen