Название | Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075834935 |
»Heda, Vater, Vater!« rief die liebliche Stimme wieder. Diesmal hörte es Toby, erschrak, stand still und fand sich, indem er seinen Blick, den er in die Entfernung geworfen hatte, als wenn er im Herzen des neuen Jahres Aufklärung suchen wollte, auf die Nähe beschränkte, seiner Tochter gegenüber und blickte ihr tief in die Augen, in die eine Welt blicken konnte, ohne daß ihre Tiefe ergründet werden konnte. Schwarze Augen, welche die Augen zurückstrahlten, die in sie hineinsahen; nicht aufblitzend, außer wenn ihre Besitzerin es gerade wollte, sondern mit klarem, ruhigem, ehrlichem, beständigem Strahl verwandt dem Licht, welches der Himmel zum Sein berufen. Schöne, treue Augen, die von Hoffnung glänzten, von junger, schöner Hoffnung; so viel Hoffnung sprach daraus, die so kräftig und strahlend war trotz der zwanzig Jahre voll Arbeit und Armut, auf die sie bereits zurückblickten, daß sie für Toby Veck zu einer Stimme wurden und sagten: »Ich denke, wir haben auf Erden etwas zu schaffen – ein klein wenig!«
Trotty küßte die Lippen, die zu den Augen gehörten, und drückte seine Hände an das blühende Gesichtchen.
»Nun, Meg«, sagte Trotty, »was gibt’s? Ich erwartete dich heute nicht, Meg.«
»Ich glaubte auch nicht, daß ich kommen würde, Vater«, erwiderte das Mädchen, nickte mit dem Kopfe und lächelte. »Doch da bin ich! und nicht allein, nicht allein!«
»Du willst doch nicht sagen«, erwiderte Trotty und blickte neugierig nach einem verdeckten Korbe, den sie in der Hand trug, »daß du –«
»Siehe nur, lieber Vater«, sagte Meg, »rieche nur!«
Natürlich wollte Trotty den Deckel sogleich aufheben, sogar sehr schnell, doch sie hielt scherzend ihre Hand darauf.
»Nein, nein, nein«, sagte Meg mit kindischer Lust. »Spare dir den Genuß ein bißchen länger auf. Ich will den Deckel ein wenig aufheben – ein klein, klein wenig«, und sie tat es mit der äußersten Vorsicht und sprach so leise, als wenn sie fürchtete von irgend etwas in dem Korbe gehört zu werden. »So! Nun, was ist das?«
Toby schnupperte so schnell als möglich an dem Rande des Korbes, dann rief er voll Entzücken aus: »Ei, es ist etwas Heißes!«
»Brühend heiß!« entgegnete Meg. »Ha, ha, ha, kochend heiß!«
»Ha, ha, ha!« lachte Toby und machte einen Luftsprung. »Kochend heiß!«
»Aber was ist es, Vater?« sagte Meg. »Komm, du hast noch nicht erraten, was es ist. Und du mußt wissen, was es ist. Ich nehme es auf keinen Fall heraus, bis du erraten, was es ist. Sei nur nicht so ungeduldig! Wart’ ein Weilchen! Ich mache den Deckel ein klein wenig mehr auf! Nun rate.«
Meg war geradezu in Not, daß er nicht zu schnell das Rechte raten möchte; sie zuckte zurück, indem sie den Korb hinhielt; sie zog ihre hübschen Schultern in die Höhe; sie hielt das Ohr mit der Hand zu, als wenn sie dadurch das rechte Wort in Tobys Munde zurückdrängen könnte, und lachte die ganze Zeit über leise.
Inzwischen beugte sich Toby, indem er auf jedes Knie eine Hand legte, mit der Nase auf dem Korb nieder und roch an dem Deckel lange, das stille Lachen auf seinem wettergebräunten Gesicht verbreitete sich, als wenn er Lachgas einatmete.
»Ah! Es ist etwas sehr Feines«, sagte Toby. »Es ist – es riecht vornehmer als Knackwurst. Es riecht sehr fein. Es riecht mit jedem Augenblicke besser. Es riecht zu scharf für Kalbsfüße. Das ist es nicht!«
Meg war außer sich vor Freude. Er konnte nicht weiter fehlschießen als mit Kalbsfüßen oder gar mit Knackwurst.
»Leber?« fragte Toby bei sich selber. »Nein, es riecht so mild, daß es Leber nicht sein kann. Schweinsfüße? Nein. Für Schweinsfüße ist der Geruch nicht schwach genug. Für Hahnenköpfe fehlt es ihm an Schärfe. Und Bratwürste sind es nicht, das weiß ich. Ich will dir sagen, was es ist: es ist Gehirn!«
»Nein, das ist es nicht!« rief Meg mit herzlichem Lachen. »Nein, das ist es nicht!«
»O, was ich nur denke!« sagte Toby und nahm plötzlich eine so weit perpendikuläre Stellung an, als es ihm überhaupt möglich war. »Ich werde nächstens nicht mehr wissen, wie ich heiße. Kaldaunen sind’s!«
Das war es! Und Meg versicherte hocherfreut, in einer halben Minute werde er gestehen, daß noch keine besseren Kaldaunen gedämpft wurden.
»Und nun«, sagte Meg, indem sie sich vergnügt mit dem Korbe zu schaffen machte, »will ich sogleich decken, Vater; denn ich habe die Flecke in einer Schüssel gebracht und die Schüssel in ein Taschentuch gebunden; und wenn ich einmal so vornehm bin und dies alte Tischtuch brauche und es so nenne, so kann mich kein Gesetz daran hindern, nicht wahr, Vater?«
»Daß ich nicht wüßte, meine Tochter«, erwiderte Toby: »wiewohl sie immer ein oder das andere neue Gesetz aufs Tapet bringen.«
»Und was ich dir neulich aus der Zeitung vorlas, Vater; du weißt schon, was der Richter sagte: wir armen Leute sollen sie alle kennen. Ha, ha, wie verkehrt geurteilt! Ach, du meine Güte, für wie klug halten sie uns!«
»Ja, du Gute«, erwiderte Toby; »und sie würden demjenigen gut bekommen, der sie wirklich alle wüßte. Er würde fett werden bei der Arbeit, die er leisten müßte, und bei allen Vornehmen in seiner Nähe beliebt werden. Gewiß sehr beliebt!«
»Er würde sein Mittagsbrot mit Appetit essen, was es auch immer wäre, und wenn es obendrein wie dies hier duftete«, sagte Gretchen vergnügt. »Iß schnell, denn es sind ein paar heiße Kartoffeln dabei und ein halbes Maß herrliches Bier in der Flasche. Wo willst du essen, Vater? Auf der Säule oder auf der Treppe? Du meine Güte, was für großartige Herrschaften wir sind! Wir haben zwischen zwei Plätzen zu wählen.«
»Heute auf der Treppe, meine Meg«, entgegnete Toby. »Auf der Treppe bei trocknem Wetter; auf der Säule bei nassem. Auf der Treppe ist’s immer bequemer, von wegen des Sitzens; aber bei feuchter Witterung setzt’s Flüsse.«
»Also hier«, sagte Meg und klatschte vergnügt in die Hände, nachdem sie einen Augenblick alles hergerichtet hatte; »hier ist’s, fix und fertig! Und schön sieht’s aus! Komm, Vater, komm!«
Seitdem Trotty den Inhalt des Korbes sozusagen entdeckt hatte, stand er zerstreut da, sah sie an und sprach ebenso ein deutliches Zeichen, daß er, obgleich seine Tochter trotz der Kuttelflecke der Gegenstand seiner Gedanken und Augen war, sie dennoch weder sah noch an sie dachte, wie sie in diesem Augenblick war, sondern daß irgendein phantastisches unbestimmtes Bild oder Drama ihres zukünftigen Lebens ihm vorschwebte. Nun aber von ihrer muntern Aufforderung aus seinem Traume geweckt, wollte er eben melancholisch den Kopf schütteln, aber er bezwang sich und trabte an ihre Seite. Gerade in dem Augenblick, als er sich niedersetzen wollte, läuteten die Glocken.
»Amen!« sagte Trotty den Hut abnehmend und blickte zu ihnen hinauf.
»Du sagst Amen zu den Glocken, Vater?« fragte Meg.
»Es klang mir auf einmal wie ein Gebet, meine liebe Tochter!« entgegnete Trotty und setzte sich. »Sie würden ein gar schönes Gebet beten, wenn sie könnten. Sie sagen gar vielerlei zu mir.«
»Die Glocken, Vater?« lachte Meg, als sie die Schüssel hinsetzte und ihm Messer und Gabel vorlegte. »Das verstehe ich nicht!«
»Nun, so kommt es mir vor, als ob sie mir mancherlei sagten«, erwiderte er und begann mit wirklichem Appetit seine Mahlzeit. »Ist denn das ein Unterschied? Wenn ich sie höre, was tut es, ob sie sprechen oder nicht? Ach, du lieber Gott«, fuhr Toby fort, indem er mit der Gabel nach dem Turm zeigte und beim