Название | Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075834935 |
Immer leutselig mit den arbeitenden Klassen, der Ratsherr Cuty! Der wußte, was denen gefiel! Nicht im geringsten stolz!
»Wo ist ihre Mutter?« fragte der würdige Herr.
»Tot«, versetzte Toby. »Ihre Mutter war Wäscherin und wurde in den Himmel abberufen, als diese geboren wurde!«
»Doch nicht, um dort Wäsche zu waschen?« bemerkte der Ratsherr scherzend.
Konnte Toby sich seine Frau im Himmel von ihren alten Beschäftigungen getrennt denken oder nicht, so fragen wir uns. Wenn die Frau Ratsherr Cute gestorben wäre, würde der Herr Ratsherr Cute sie sich im Himmel in irgendeiner Stellung gedacht und ausgemalt haben?
»Und Ihr freit wohl um sie, he?« sagte Cute zu dem jungen Schmied.
»Ja«, erwiderte Richard hastig, denn die Frage ärgerte ihn; »und wir werden uns am Neujahrstage verheiraten.«
»Was sagt Ihr?« sagte Filer barsch. »Verheiraten!«
»Nun ja, das ist unsere Absicht«, erwiderte Richard. »Wir müssen uns beeilen, verstehen Sie, für den Fall, daß vorher etwas ausgerottet werden sollte.«
»Ach!« seufzte Filer, »rotten Sie das wirklich aus, Ratsherr, und Sie werden etwas Gutes stiften. Heiraten, heiraten! Die Unkenntnis der ersten Grundsätze der Staatsökonomie auf seiten dieser Leute, ihre Unvorsichtigkeit, ihre Schlechtigkeit beim Himmel genügt, um – Nun schauen Sie sich einmal dieses Paar an, tun Sie mir den Gefallen!«
Gewiß, sie waren wohl des Ansehens wert. Und sie konnten nichts Vernünftigeres und Rechtschaffeneres vorhaben als die Ehe.
»Man mag so alt werden wie Methusalem«, sagte Filer, »und mag sich sein ganzes Leben lang plagen und bergehoch Tatsachen auf Zahlen, Tatsachen auf Zahlen, Tatsachen auf Zahlen häufen, doch nie wird man sie überzeugen, daß sie kein Recht und keine Ursache in der Welt haben, zu heiraten, und ebensowenig kann man hoffen, daß sie kein Recht und keine Ursache in der Welt haben, geboren zu werden. Und wir wissen doch, daß sie kein Recht und keine Ursache haben. Wir haben dies längst als mathematisches Axiom erkannt.«
Diese Argumentation amüsierte Ratsherr Cute unendlich; er legte seinen rechten Zeigefinger an die Nase, als wollte er damit seinen beiden Freunden sagen: »Nun hört mal auf mich! Seht einmal den Praktiker!« Er rief Meg zu sich heran.
»Komm hierher, mein Kind!« sagte Ratsherr Cute.
Ihrem jungen Liebsten war das heiße Blut in den letzten fünf Minuten vor Zorn zu Kopfe gestiegen. Doch wollte er seinem Unwillen nicht nachgeben. Er bezwang sich, trat einen Schritt vor, als Meg sich dem Herrn näherte, und stellte sich an ihre Seite. Trotty hielt immer noch ihre Hand in seinem Arm, sah aber so verstört von einem Gesicht zum andern, wie ein Träumender.
»Ich will dir in ein paar Worten einen guten Rat geben, Mädchen«, sagte der Ratsherr in seiner leutseligen, freundlichen Weise. »Es ist meines Amtes, Rat zu erteilen, denn ich bin Richter. Du weißt doch, daß ich Richter bin, nicht wahr?«
Meg bejahte schüchtern. Jedermann wußte, daß Ratsherr Cute Richter war! O Himmel, immer so tätig als Richter! Wer konnte sich rühmen, in den Augen des Publikums so glänzend dazustehen, wie Cute!
»Du hast die Absicht, zu heiraten«, fuhr der Ratsherr fort. »Das ist sehr ungehörig und unschicklich, da du dem weiblichen Geschlecht angehörst! Doch davon wollen wir absehen. Wenn du aber verheiratet bist, wirst du dich mit deinem Manne zanken und wirst ein unglückliches Weib sein. Du glaubst es vielleicht nicht; aber es wird so kommen, wie ich dir sage. Ich will dir das klar machen, weil ich mir vorgenommen habe, unglückliche Ehen auszurotten. Komme also ja nicht zu mir. Ferner wirst du Kinder – vielleicht Jungen bekommen. Diese Jungen werden natürlich schlecht erzogen werden und auf den Straßen herumwildern ohne Schuh’ und Strümpfe. Bedenke, meine junge Freundin, ich werde sie summarisch bestrafen, denn ich bin entschlossen, Knaben ohne Schuh’ und Strümpfe auszurotten. Vielleicht, sogar höchst wahrscheinlich, wird dein Mann jung sterben und dich mit einem oder ein paar Kindern zurücklassen. Dann wirst du vor die Tür gesetzt werden und dich auf den Straßen umhertreiben. Dann verirre dich ja nicht in meine Nähe, meine Liebe, denn es ist mein fester Vorsatz, alle obdachlosen Mütter auszurotten; es ist mein heiliger Entschluß, alle jungen Mütter, wie sie auch sein mögen, auszurotten. Nenne bei mir nicht etwa Krankheit oder kleine Kinder als Entschuldigungsgrund; denn alle kranken Personen und kleine Kinder (du kennst hoffentlich das Kirchengebet, doch fürchte ich, du kennst es nicht!) bin ich entschlossen auszurotten. Und wenn du etwa wagtest, verzweifelter, undankbarer, gottloser, betrügerischer Weise wagtest, dich zu ersäufen oder zu erhängen, so werde ich kein Mitleid mit dir haben, denn ich habe es mir einmal in den Kopf gesetzt, allen Selbstmord auszurotten. Wenn es etwas gibt«, sagte der Ratsherr mit selbstzufriedenem Lächeln, »was ich meinen Sinn ernstlicher und unwiderruflicher beschlossen habe als alles übrige, so ist es die Ausrottung des Selbstmordes.
Versuch’ es also ja nicht, verstehst du mich? Ha, ha, ha, wir verstehen einander, das wußt’ ich wohl.«
Toby wußte nicht, ob er sich grämen oder freuen sollte, daß Meg totenblaß geworden war und die Hand ihres Geliebten losgelassen hatte.
»Was Euch angeht, Ihr törichter Mensch«, sagte der Ratsherr, sich mit noch größerem Vergnügen an den jungen Schmied wendend, »was denkt Ihr eigentlich, wenn Ihr heiraten wollt? Zu welchem Zwecke braucht Ihr Euch zu verheiraten, Ihr dummer Kerl? Wenn ich ein hübscher, junger, kräftiger Bursche wäre wie Ihr, ich würde mich schämen, ein solcher Jüngling zu sein und mich an eine Schürze zu hängen! Zum Kuckuck, sie wird ein altes Weib sein, ehe Ihr ein Mann in den besten Jahren seid! Ihr werdet ein lächerliches Schauspiel bieten, wenn Euch dann eine schlampige Frau und eine Herde Kinder, die schreien und heulen, überall nachlaufen werden!«
O, er verstand es, die gemeinen Leute zu peinigen, der gute Ratsherr Cute!
»Nun macht, daß Ihr fortkommt«, sagte der Ratsherr, »und bereut. Macht Euch nicht so zum Narren, am Neujahrstage zu heiraten! Ihr werdet ganz anders darüber denken, ehe der nächste Neujahrstag kommt: ein hübscher, junger Bursch wie Ihr, dem alle Mädel nachgucken. Nun geht Eure Wege!«
Und sie gingen ihrer Wege, aber nicht Arm in Arm oder Hand in Hand oder fröhliche Blicke austauschend, sondern sie in Tränen, er traurig und niedergeschlagen. Waren dies die Herzen, die noch vor kurzem Tobys Herz vor Freude höher schlagen ließen, trotz seiner Verzagtheit? Nein, Nein! Der Ratsherr (der Himmel behüt’ ihn in Gnaden!) hatte die Freude in diesen Herzen ausgerottet.
»Da Ihr gerade hier seid«, sagte der Ratsherr zu Toby, »sollt Ihr mir einen Brief forttragen. Könnt Ihr schnell laufen? Ihr seid ein alter Mann.«
Toby, der ganz verdutzt seiner Meg nachgesehen hatte, beeilte sich zu erwidern, daß er sehr schnell und tüchtig sei.
»Wie alt seid Ihr?« fragte der Ratsherr.
»Ich bin über sechzig, Herr«, entgegnete Toby.
»O, dieser Mann ist ein gutes Stück über das mittlere Alter hinaus«, sagte Mr. Filer unterbrechend, als wenn seine Geduld zwar fast unerschöpflich sei, dies aber heißt die Sachen ein wenig zu weit treiben.
»Ich sehe, ich störe hier«, sagte Toby. »Ach – ich fürchtete dies schon heute morgen. O du lieber Himmel!«
Der Ratsherr fiel ihm in die Rede, indem er ihm den Brief übergab. Toby würde vielleicht einen Schilling bekommen haben; da aber Mr. Filer klar bewies, daß er in diesem Falle eine gewisse Anzahl von Personen, um so und so viel die Person, berauben würde, bekam er bloß einen halben Schilling und er war noch sehr froh, diesen zu erhalten.
Dann reichte der Ratsherr jedem seiner Freunde einen Arm und entfernte sich hochmütig; sogleich aber kam er allein zurück, als wenn er etwas vergessen hätte.
»Packträger«, sagte der Ratsherr.
»Herr«, erwiderte Toby.
»Nehmt Eure Tochter gut in acht. Sie ist viel zu hübsch!«