Название | Martin Eden |
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Автор произведения | Джек Лондон |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026884491 |
Er hatte zwischen den Volksbibliotheken von Berkeley und Oakland geschwankt und entschloß sich für die Oakländer, weil Ruth in Oakland wohnte. Wer konnte es wissen? – Eine Bibliothek war ein Ort, wo sie zu Hause war, und vielleicht traf er sie dort. Er wußte nicht Bescheid in Bibliotheken, und er wanderte an endlosen Bücherreihen vorbei, bis das junge Mädchen mit den feinen französischen Zügen, das anscheinend die Aufsicht über die Abteilung führte, ihm erzählte, daß die Handbücherei sich oben befand. Er war zu unbewandert, um den Mann am Tische zu fragen, und machte seine ersten Versuche in der philosophischen Abteilung. Er hatte wohl von Philosophie gehört, aber nicht gedacht, daß so viel darüber geschrieben war. Die hohen, sich unter der Last der schweren Bände biegenden Regale demütigten ihn und spornten ihn gleichzeitig an. Hier gab es doch eine Arbeit, die noch Kopfzerbrechen lohnte. In der mathematischen Abteilung fand er Bücher über Trigonometrie, und er überlief hastig die Seiten und starrte auf die sinnlosen Formeln und Figuren. Englisch konnte er lesen, aber die Sprache, die er hier sah, war ihm völlig fremd. Norman und Arthur kannten diese Sprache. Er hatte sie sie reden hören. Und sie waren ihre Brüder. Verzweifelt verließ er die Regale. Es war, als ob die Bücher von allen Seiten auf ihn einstürmten und ihn unter sich begruben. Nie hatte er sich träumen lassen, daß die Grundlage menschlichen Wissens so breit sei. Er war erschrocken. Wie sollte sein Kopf je damit fertig werden? Später fiel ihm ein, daß andere Männer, viele Männer, damit fertig geworden waren; und mit unterdrückter Leidenschaft schwor er einen wilden Eid, daß sein Kopf auch schaffen sollte, was der ihre geschafft hatte. Und so ging er denn, zwischen Entmutigung und Entzücken schwankend, weiter und starrte auf die von Gelehrsamkeit strotzenden Regale. Auf einem, das verschiedenartige Literatur enthielt, stieß er auf ein Exemplar von »Norries Epitome«. Er durchblätterte es ehrfurchtsvoll. Irgendwie redete es eine verwandte Sprache. Er und das Buch, sie beide gehörten dem Meere an. Dann fand er einen Band von Bowditch sowie Bücher von Leckey und Marshall. Da wußte er es: er wollte selbst Navigation lernen. Er wollte kein Glas mehr anrühren, wollte arbeiten und Kapitän werden. Ruth schien ihm in diesem Augenblick ganz nahe. Als Kapitän konnte er sie heiraten (wenn sie ihn haben wollte), und wenn sie nicht wollte, nun ja, dann wollte er um ihretwillen als Mann unter Männern leben und jedenfalls nicht mehr trinken. Dann fielen ihm die Assekuradeure und Reeder ein, die zwei Herren, denen ein Kapitän dienen muß, wenn er sich nicht den Hals brechen will, und deren Interessen sich strikte zuwiderlaufen. Er blickte sich im Raume um, schloß die Augen und sah all die zehntausend Bücher vor sich. Nein, er wollte nichts mehr mit der See zu tun haben. In diesem Überfluß von Büchern war Macht, und wenn er Großes verrichten wollte, so mußte er es zu Lande. Übrigens durfte ein Kapitän auch seine Frau nicht an Bord nehmen.
Es wurde Mittag, und es wurde Nachmittag. Er vergaß zu essen und suchte weiter nach Büchern über den guten Ton, denn außer seiner Sorge um seine Laufbahn quälte ihn ein einfaches und ganz gegenständliches Problem. Wie bald kann man einen Besuch wiederholen, wenn eine junge Dame einen dazu auffordert? Das waren die Worte, in die er es kleidete. Als er aber das betreffende Regal fand, suchte er vergebens nach Antwort. Er erschrak über das riesige Gebäude der Etikette und verlor sich in einem Labyrinth von Regeln über den Gebrauch von Visitenkarten in der guten Gesellschaft. Er gab es auf, weiter zu suchen. Er hatte nicht gefunden, was er brauchte; das einzige, was er fand, war, daß es einen Menschen ganz in Anspruch nahm, wenn er nach den Regeln der Höflichkeit leben wollte, und daß er zunächst genug damit zu tun hatte, sich der Vorbereitung zu einem solchen Leben zu widmen.
»Haben Sie gefunden, was Sie suchten?« fragte ihn der Mann am Pult, als er ging.
»Ja«, antwortete er. »Sie haben eine sehr schöne Bibliothek.«
Der Mann nickte. »Wir würden uns freuen, wenn Sie öfter wiederkämen. Sind Sie Seemann?«
»Ja«, antwortete er. »Und ich komme wieder.«
»Woher weiß er das nun?« fragte er sich, als er die Treppe hinunterschritt.
Und bis zur nächsten Straßenecke ging er sehr steif und linkisch, dann aber verlor er sich in Gedanken und verfiel wieder in seinen natürlichen, wiegenden Gang.
Sechstes Kapitel
Eine schreckliche Unrast, eine Art Hunger hatte Martin Eden gepackt. Ihn hungerte nach dem Anblick des jungen Mädchens, dessen zarte Hände so gewaltsam in sein Leben gegriffen hatten, aber er konnte sich nicht dazu ermannen, sie zu besuchen. Er fürchtete, daß es zu früh sein, und daß er sich dadurch eines furchtbaren Bruchs dieses »Etikette« genannten Dinges schuldig machen würde. Er verbrachte viele Stunden in den Volksbibliotheken von Oakland und Berkeley und erwarb die Mitgliedschaft für sich, seine beiden Schwestern Gertrude und Marian, sowie für Jim, dessen Einwilligung er jedoch erst nach verschiedenen Gläsern Bier erlangte. Und auf die vier Karten brachte er Bücher mit heim und brannte bis spät in die Nacht hinein in seinem Stübchen Gas, wofür Bernard Higginbotham ihm fünfzig Cent wöchentlich extra ankreidete.
Aber die vielen Bücher, die er las, erhöhten nur seine Unrast. Jede Seite aller dieser Bücher war ein Guckloch ins Reich der Erkenntnis. Und sein Hunger wuchs nur mit dem Lesen. Dazu wußte er nicht, wo beginnen, und litt beständig unter seiner mangelhaften Vorbereitung. Die gewöhnlichsten Hinweise, die seiner Meinung nach alle Menschen kennen mußten, waren ihm unbekannt. Und dasselbe galt auch von den Gedichten, die er las, und die ihn toll vor Entzücken machten. Er las mehr von Swinburne, als in dem Bande stand, den Ruth ihm geliehen hatte, und »Dolores« verstand er völlig. Ruth aber, meinte er, könnte es unmöglich verstehen. Wie sollte sie auch, sie, dieses verfeinerte, wohl behütete junge Mädchen? Dann erwischte er einen Band Gedichte von Kipling und wurde völlig hingerissen von dem Rhythmus, dem Schwung und dem Glanz, den der Dichter alltäglichen Dingen verlieh. Er war erstaunt über die Lebensfreude und die scharfe Psychologie des Mannes. Psychologie war ein neues Wort in Martins Wortschatz. Er hatte sich ein Wörterbuch gekauft, was seinen Geldbeutel stark angegriffen und den Tag seiner Abfahrt nähergerückt hatte. Bernard Higginbotham war darüber erbost, da er es lieber gesehen hätte, wenn das Geld in Kost und Logis umgesetzt worden wäre.
Am Tage wagte er sich nicht in die Gegend, wo Ruth wohnte, abends aber schlich er wie ein Dieb um das Haus der Familie Morse, warf verstohlene Blicke zu den Fenstern hinauf und liebte selbst die Mauern, die SIE schützten. Einige Male entwischte er mit Mühe und Not ihren Brüdern, und einmal folgte er ihrem Vater bis in die Stadt, studierte sein Gesicht im Schein der Straßenlaternen und wünschte sich nichts heißer, als daß er in irgendeine Gefahr geriete, so daß er hinzuspringen und ihn retten könnte. Wieder an einem Abend wurde seine Ausdauer dadurch belohnt, daß er an einem Fenster im zweiten Stock einen Schimmer von Ruth erblickte. Er sah nur ihren Kopf, ihre Schultern und die Arme, die sie hob, um ihr Haar vor einem Spiegel zu ordnen. Es dauerte nur einen Augenblick. Aber ihm schien es eine Ewigkeit, in der sein Blut zu Wein ward und singend durch seine Adern brauste. Dann ließ sie die Gardine herab. Aber nun wußte er, welches Zimmer ihr gehörte, und von jetzt an stand er oft hier auf der andern Seite der Straße im Schatten eines Baumes und rauchte unzählige Zigaretten. Eines Nachmittags sah er ihre Mutter aus einer Bank kommen, und das überzeugte ihn von neuem von dem ungeheuren Abstand, der Ruth von ihm schied. Sie gehörte der Klasse an, die mit Banken zu tun hatte. Er war in seinem ganzen Leben noch nie in einer Bank gewesen und stellte sich vor, daß diese Einrichtung nur für die ganz Reichen und Mächtigen bestand.
In gewisser Weise war eine moralische Umwälzung in ihm vorgegangen. Ihre körperliche und geistige Reinheit hatte ihre Wirkung auf ihn ausgeübt, und er fühlte einen heißen Drang, selbst rein zu sein. Er mußte es sein, wenn er je würdig werden wollte, dieselbe Luft wie sie zu atmen. Er bürstete sich die Zähne und schrubbte sich die Hände mit einer Scheuerbürste, bis er einmal im Schaufenster eines Drogisten eine Nagelbürste sah und ihren Zweck erriet. Er ging hinein, kaufte sie, und der Kommis, der seine Nägel sah, empfahl ihm auch eine Nagelfeile. So wurde er Besitzer noch eines Toilettengegenstandes. Zufällig stieß er in der Bibliothek