Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
In dem Schreiben, dem die Bitte beigefügt war, es vor der Kompagnie verlesen zu lassen, hieß es:
Kameraden! Der alte Mann, der mit euch marschierte und Posten stand, war Offizier und preußischer Edelmann, seine Vorfahren haben auf allen preußischen Schlachtfeldern geblutet und halfen auch 1813 den deutschen Boden von dem Korsen befreien. Sein alter Name stirbt mit ihm. Denn sein einziger Sohn ist ein Ehrloser, der die Fahne verließ, und hat kein Recht mehr ihn zu führen. Um die Schmach mit meinem eigenen Blute abzuwaschen, habe ich mich freiwillig als Gemeiner gestellt, es gab für den invaliden Oberst keinen anderen Weg, um an den Feind zu kommen. Meldet meinem alten Kriegskameraden, dem General – –
Alles weitere, auch die Namensunterschrift war vom Blut unleserlich gemacht, nur noch die Worte ›Gott schütze –‹ ließen sich entziffern.
Das Blatt ging von Hand zu Hand, und jeder versuchte daran seinen Spürsinn.
Ich wusste noch nichts von dieser Entdeckung, ich saß schreibend im Obstgarten von La Gloriette auf dem Strunk eines zerschossenen Baumes, vor einer Kiste, die ich mir als Tisch aufgerichtet hatte.
Da stand plötzlich Sommer vor mir mit der erregten Frage:
Wo befindet sich Gustav Borck?
Ich weiß es nicht, sagte ich beklemmt, denn mir schwante von ferne ein Unheil.
Du weißt es nicht? Du, sein anderes Ich? Aber du weißt vielleicht, dass er – dass er nicht dabei ist?
Ich weiß von gar nichts, beharrte ich in dem dunklen Bestreben, den Freund zu decken.
Bitte, komm mit mir.
Mit schwerem Herzen, aus dem Unbewussten widerstrebend, folgte ich ihm.
In einem niederen Anbau, Strohbündel an Strohbündel, lagen die neu herzugebrachten Verwundeten, in weißen Hemden, dem Rang nach nicht mehr unterschieden, nur noch Menschen, die der Tod berührt hatte. Schwester Angela ging helfend und zusprechend von einem zum andern.
Vor einem Schwerverletzten, der die Augen geschlossen hielt, blieb Sommer stehen.
Sieh ihn an, fällt dir keine Ähnlichkeit auf? – Hast du ihn nicht im Bild schon gesehen?
Mich hatte es auf den ersten Blick durchzuckt: Gustavs Vater!!
Es war das Gesicht, das ich von dem zerbrochenen Familienbild her kannte, der Kopf mit dem dichten weißen Haar und den zusammengewachsenen Brauen, die Züge, die sich so auffallend in Gustav wiederholten. Ich stand lange ihn zu betrachten und stellte mir die Reihe soldatischer Vorfahren vor, die mit ihrer altpreußischen Gradheit und Strenge diese Züge so knapp und regelmäßig gemeißelt hatten. Unter dieser Stirn ließen sie nur für die eine vererbte Leidenschaft Platz: soldatische Pflicht und Ehre, und den Doppelstern, der darüber stand: König und Vaterland. Und weiterwirkend hatten sie auch des Sohnes Gesicht gemeißelt. Aber da war dann von weither etwas andres, Leuchtendes hergeflogen, das sich auf dem verjüngten Abbild niederließ und in bewegten Ausdruck umgestaltete, was in den Zügen des Alten unbeweglich blieb wie Holzschnitzwerk.
Das waren meine Gedanken beim Anblick des Verwundeten, denn die Ähnlichkeit war für jeden, der Gustav kannte, unwiderleglich. Noch wusste ich nichts von dem tragischen Zusammenhang und hatte noch keine Zeit gehabt, mich zu wundern, wie der alte invalide Oberst unter die Frontsoldaten gekommen war. Aber schon klopfte mir das Herz und weissagte irgendein Äußerstes.
Da gab mir Sommer das blutverwischte Blatt, an dem noch immer herumgerätselt