Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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nach Zü­rich ge­wandt mit der An­fra­ge, ob dem Dich­ter die­se Vor­gän­ge be­kannt sei­en, hat­te aber gar kei­ne Ant­wort er­hal­ten.

      Ber­ka? Ber­ka? Wo­her ken­ne ich die­sen Na­mens ging es mir durch den Kopf. Da stell­te sich plötz­lich ein Ge­sicht, an das ich seit Jah­ren nicht ge­dacht hat­te, vor mein in­ne­res Auge, ein un­ru­hi­ges und un­er­freu­li­ches Ge­sicht, über das es von Zeit zu Zeit wie ein Krib­beln von Amei­sen lief, und je­ner Geis­tes­schma­rot­zer, der sich in der Stutt­gar­ter Zeit in Gu­stavs Künst­ler­tum ein­ge­fres­sen hat­te, stand wie­der vor mir.

      Er hat die Hand­schrift ge­stoh­len, fuhr ich her­aus.

      Das nicht, war die Ant­wort. Ich weiß aus si­che­rer Quel­le, dass Gu­stav mit ihm ein­ver­stan­den war. Er wag­te als Fah­nen­flüch­ti­ger nicht, das Werk un­ter sei­nem Na­men auf die Büh­ne zu brin­gen.

      Weiß er denn, was in St. Hu­bert ge­sch­ah? frag­te ich zö­gernd.

      Ich glau­be nein, und möge er es nie er­fah­ren. Er hat kei­ne Be­zie­hun­gen zu sei­ner Hei­mat und zu sei­nen ehe­ma­li­gen Ka­me­ra­den. Und Sel­ma um­gibt den Traum­wand­ler un­er­müd­lich mit Schutz­weh­ren. Höre, die­ser Frau habe ich Un­recht ge­tan und bit­te es ihr im stil­len ab. Solch ein stünd­li­ches Op­fer­brin­gen und Auf­ge­ben der ei­ge­nen Per­sön­lich­keit für einen, der es nicht ein­mal be­merkt, solch ein im­mer­wäh­ren­des Sor­gen und Be­hü­ten macht man­che Tor­heit gut. Und war sie nicht im Recht, als sie ihm riet, die Pf­licht des Ge­ni­us über die des All­tags­men­schen zu stel­len? Jetzt aber steht er hei­mat­los und recht­los im Lee­ren und kann sein Werk nicht durch­set­zen. Hät­te er das be­dacht, so wäre er doch viel­leicht den an­de­ren Weg ge­gan­gen, wand­te ich ein.

      Das Gro­ße setzt sich bei uns nie auf Ei­nen Schlag durch, da­für hat es auch Zeit zu war­ten, sag­te er. Die Haupt­sa­che war doch, dass es ent­stan­d, bes­ser ge­sagt, dass es aus den Tie­fen ge­holt wur­de, wo es fer­tig lag und wo­hin kein an­de­rer den Schlüs­sel hat­te. Ich glaub­te ja auch ein­mal ihn meis­tern und leh­ren zu kön­nen und tapp­te sel­ber im Dun­keln. Da­mals hat­te ich die Wei­hen noch nicht. Jetzt sehe ich an­ders. Er sah von je­her an­ders, weil er auf ei­ner an­de­ren Ebe­ne leb­te. Je­der hat Recht auf der Ebe­ne, wo er steht. Die Ebe­nen lie­gen stu­fen­wei­se über­ein­an­der.

      Ich wun­der­te mich, den Mann, des­sen Va­ter­lands­ge­fühl sonst im­mer bis zum Über­ko­chen er­hitzt war, so re­den zu hö­ren.

      Wie kann der Geis­tes­jün­ger sein Herz an ein ein­zi­ges Land hän­gen, war sei­ne Ant­wort, wenn er doch weiß, dass er in je­dem Land der Erde schon ein­mal ge­bo­ren war oder es wer­den kann, und dass je­der Men­schen­bru­der sein ge­we­se­ner oder künf­ti­ger Lands­mann ist?

      Mir wur­de bei die­ser Rede zu­mut, als stürz­te ich häupt­lings ins Lee­re. Un­ter ein­fa­che­ren See­len le­bend, war ich ge­wohnt, dass auf die­sem Bo­den der großen Völ­ker­mi­schung ein je­der zu sei­nem ei­ge­nen Volks­tum stand, und es war mein Stolz und mei­ne Freu­de ge­we­sen, für die Mei­nen tun zu kön­nen, was ich alle an­dern selbst­ver­ständ­lich für die Ih­ri­gen tun sah. Dar­über hat­te ich ganz ver­ges­sen, dass der deut­sche Ge­ni­us sei­ne Höhe im­mer nur er­steigt, um sich sel­ber auf­zu­lö­sen und zu ver­nei­nen, als ob sein Kreis sich nie­mals run­den soll­te, als ob ihm nie­mals eine ir­di­sche Er­fül­lung be­stimmt sei.

      Auch Kuno hat­te die Stu­fe des Volks­tums über­flo­gen und schweb­te ohne Pol im Un­be­grenz­ten. Al­les Ge­form­te war ihm ent­glit­ten, und nur die Teil­nah­me am Ge­schick der Freun­de schi­en an ihm noch ir­disch zu sein.

      Als er ge­gan­gen war, sprach mein zwei­tes Ich die Wor­te aus mei­ner See­le:

      In Zü­rich be­dür­fen sie dei­ner. Lass uns die Herbst­fe­ri­en in Eu­ro­pa ver­brin­gen.

      *

      Als wir wie­der deut­sche Luft at­me­ten, fan­den wir dann frei­lich, dass nicht al­les Gold war, was so hell über die Was­ser her­über­ge­glänzt hat­te, und es ging uns all­mäh­lich auf, was Kuno durch Schwei­gen und hal­be Wor­te hat­te ah­nen las­sen. Das Reich war teu­er be­zahlt. Die we­ni­gen Jah­re seit der Tü­bin­ger Zeit hat­ten ge­nügt, einen ganz an­de­ren Deut­schen auf die Bild­flä­che zu brin­gen; Grün­der und Stre­ber­we­sen stan­den in Blü­te. Der Durch­schnitt beug­te sich vor dem gol­de­nen Kalb, die einen in sat­ter Be­frie­di­gung, die an­dern in un­ge­still­ter Gier. Die Bes­se­ren stan­den trau­ernd und hilf­los bei­sei­te oder wa­ren ver­bit­ter­te Nörg­ler ge­wor­den. An­der­wärts war es ja bei der All­ge­mein­heit ge­wiss auch nicht bes­ser be­stellt, aber Deutsch­land, das Land der Poe­sie, die fes­te Burg des Geis­tes, von dem­sel­ben Tau­mel er­grif­fen zu se­hen, das traf ins Herz. Uner­setz­li­ches, sonst nir­gend Vor­han­de­nes, war da­hin, und mein Herz füll­te sich mit Trau­er. Eine Luft wie im Kaf­fee­haus Mol­fetta gab es nun nicht mehr. We­der bei den Ver­wand­ten mei­ner Frau noch bei mei­nen ei­ge­nen, die noch da und dort ver­streut leb­ten, fan­den wir die Welt, nach der wir uns so tief ge­sehnt hat­ten. Wir stan­den auf deut­schem Bo­den und such­ten Deutsch­land! Und wie­der ein­mal schweb­te das Ewig­mor­gi­ge vor uns her wie die Fata Mor­ga­na. –

      *

      In Zü­rich fand ich nächst nur Sel­ma. Gu­stav hat­te die letz­te, schon kal­te Herbst­son­ne be­nutzt, um noch für zwei Tage in die Ber­ge zu ge­hen. Das Mäd­chen kann­te mich noch und ließ mich ohne wei­te­res ein­tre­ten. Die Künst­le­rin stand halb­seits mit dem Rücken ge­gen die Tür, dass ich sie zu­erst im Pro­fil er­blick­te; sie neck­te sich zärt­lich mit ei­nem Kin­de, das sie auf einen Bü­cher­schrank ge­setzt hat­te, von wo es la­chend und stram­pelnd nach ihr hin­streb­te. Ein Mops be­tei­lig­te sich durch Em­por­sprin­gen und Bel­len an die­sem Spiel. Sie schi­en mir grö­ßer ge­wor­den, was auf Rech­nung ei­ner fast as­ke­ti­schen Schlank­heit kam.

      Als sie mich er­kann­te, stieß sie einen Schrei aus, riss das Kind auf den Arm und stürz­te mir mit ei­nem Un­ge­stüm ent­ge­gen, worin ich ganz die alte Sel­ma er­kann­te.

      Der Mo­hi­ka­ner! End­lich! end­lich! O nun wird al­les gut. Sie Bö­ser, wo ha­ben Sie so lan­ge ge­steckt?

      Die­ser Empfang ver­riet, wie ver­lo­ren sie sich bei­de in der Frem­de fühl­ten trotz Sel­mas Er­fol­gen, von de­nen man uns schon im Gast­hof er­zählt hat­te.

      Es brach auch gleich mit der al­ten Auf­rich­tig­keit aus ihr her­aus:

      Lie­ber, lie­ber Freund! Sie glau­ben nicht, wie mir Ihr An­blick wohl tut. Wir frie­ren hier an Leib und See­le. Das heißt: ich, setz­te sie schnell mit weh­mü­ti­ger Schalk­heit hin­zu, denn Er will es nicht Wort ha­ben. Ich müss­te ja dank­bar sein, weil es uns äu­ßer­lich wohl geht, aber in uns­rem gu­ten Schwa­ben­land weh­te doch eine an­de­re Luft.

      Ich hielt das Kind, das sie wäh­rend des Spre­chens im­mer­zu hät­schel­te, für ihr ei­ge­nes, da brach sie in Trä­nen aus.

      Es ist ein Nach­bars­kind, das ich mir her­über­ho­le, wenn Gu­stav fort ist. Ich darf ja kein ei­ge­nes ha­ben. Ach, und ich wäre eine gute Mut­ter ge­we­sen; dies eine Lob darf ich mir ge­ben, es ist das höchs­te für eine Frau. Aber auf mich kommt es nicht an, er kann den Kin­der­lärm nicht er­tra­gen.

      Kaum hat­te sie die­se Wor­te her­aus­ge­spru­delt, als sie sich er­schro­cken über ihre Of­fen­her­zig­keit in der ers­ten Mi­nu­te des Wie­der­se­hens auf den