Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Als er diesen allein und bestaubt auf abgetriebenem Roß herankommen sah, fiel seine Furcht auf die andere Seite; er meinte, der Bruder habe in seiner Unerfahrenheit den Preis verspielt und die Braut sei zu Hause geblieben.
Wie kommst du allein hierher? Wo ist Madonna Francesca? rief er ihm von weitem entgegen.
Paolo, der erschöpft auf seinem Pferde hing, deutete schweigend zurück auf den Weg, den das Brautgeleite kommen musste.
Und warum hast du sie verlassen?
Ich kann ihr nicht mehr in die Augen blicken nach dem, was ich an ihr verbrochen habe. Darum bin ich nach Hause geeilt, um mir vom Vater Urlaub zu erbitten, damit ich bei ihrem Einzug nicht mehr zugegen sein muss.
Sie glaubt sich noch immer mit dir vermählt? fragte der finstere Gianciotto.
Ihr habt es so gewollt, Bruder.
Obgleich von Natur tückisch und grausam, war doch der Krüppel des Ehrgefühls nicht bar; die Gaunerei, womit das wehrlose Opfer ins Garn gelockt worden war, bedrückte ihn nicht minder tief als den unseligen Vermittler, der sich zum Werkzeug hergegeben hatte. Außerdem würgte ihn auch noch die Scham, dass er von diesem Bruder, den er sich bemühte geringzuschätzen, die Hülle hatte borgen müssen, um zu seinem Wunsche zu gelangen. Doch das gewaltsame Begehren, das in missgeschaffenen Körpern noch stärker wirkt als in gesunden, riss ihn auf diesem Wege weiter.
Ist sie wirklich so schön, wie alle sagen? fragte er, düster die Unterlippe nagend.
Bruder, ich hab es Euch schon zweimal gesagt, seitdem Ihr mich auf die Brautschau sandtet.
So sag es mir zum dritten Mal.
Ach, Bruder, schön oder nicht schön, das sind Worte, sie sagen nichts über Madonna Francesca. Ihr werdet sie sehen und dann werdet Ihr von weitem wissen: Sie ist’s und neben ihr gibt es keine andere.
In Gianciottos Innerem drehte und wand sich die Pein wie ein Drache, der sich auf seinem Lager herumwirft.
Wird sie verzeihen können, wenn sie die Wahrheit sieht? fragte er.
Paolo sah stumm und gequält vor sich nieder.
Wird sie verzeihen können? frage ich, wiederholte der andere.
Mein Bruder, ich kenne die Frauen nicht, aber ich hoffe, sie wird’s.
Wenn sie im Glauben dir anzugehören ihr Herz an deine glatten Wangen und an deine wohlgedrechselten Glieder gehängt hat, wenn diese gemeinsame Reise ihr die Gelegenheit gab, sich an deine Gesellschaft zu gewöhnen, und sie soll nun dafür alle die Verzeichnungen eintauschen, die es der Natur beliebt hat an meinem Körper vorzunehmen: die höckrige Schulter, das verkürzte Bein, dazu ein Gesicht wie mit der Haue geschnitzt und von Narben geackert –
Mein Bruder, Ihr tretet Euch selbst zu nahe, Ihr seht nicht aus, wie Ihr Euch schildert, denn Ihr habt das Ansehen eines Tapferen.
Du hast recht, ich trete mir selbst zu nahe, denn ich bin ein Mann und du bist eine Knabe. Aber was hilft’s, sie ist ein Weib! Gleichviel, einmal will auch ich Ausgestoßener der Natur erfahren, wie es den Schönen, Glücklichen zumute ist. Du bleibst, Paolo, dein Amt ist nicht zu Ende. Du sollst mir die Neuvermählte ins Brautgemach führen. Im Schutz der Dunkelheit will ich mit dem Herrlichsten, was Gott geschaffen, ins Eins verschmelzen. Ich will den Taumel auskosten, meine Hässlichkeit ganz in ihrer Schönheit zu baden. Gott helfe mir, dass ich als ein neugeborener Mensch aus ihren Armen aufstehe.
Nicht diesen Weg, Bruder, antwortete Paolo. Im Schutz der Dunkelheit sollt Ihr Euer ganzes Herz vor ihr ausbreiten, mit all seiner Sehnsucht und seinen Leiden, und sollt ihre Verzeihung zu erlangen suchen, bevor das Tageslicht von selbst die Täuschung aufdeckt.
Der Düstere antwortete nicht mehr; wie Meereswogen gingen in ihm Hass und Liebe, Verzweiflung über seine Missgestalt, Furcht vor der Entdeckung und der trotzige Wille, um jeden Preis zu seinem Recht zu kommen, auf und nieder. Selbst seinen Kriegsruhm hätte er für die Wohlgestalt seines Bruders zum Tausch gegeben. Noch lieber hätte er ihn überfallen und erschlagen, um ihm diese glückbringende Hülle zu rauben, wäre sie abziehbar gewesen wie ein Kleid.
Die Rasten des Brautzuges waren weislich so verteilt worden, dass die Ankömmlinge erst mit sinkendem Abend ihr Ziel erreichten. Als Madonna Francesca im Geleit ihrer Ehrendamen zwischen den fackelhaltenden Dienern des Hauses Malatesta die Freitreppe erstieg, empfing sie der Alte auf halber Höhe und schloss sie väterlich in die Arme. Ihren suchenden Blick, der sich über die Abwesenheit des angetrauten Gemahls zu wundern schien, beantwortete er durch die Mitteilung, dass dieser neben dem Bett seiner Mutter knie, um ihren Segen zu empfangen, weil sie in der freudigen Erregung dieses Tages von einer Unpässlichkeit befallen worden sei und außerstande, dem Einzug der geliebten neuen Tochter beizuwohnen. Francescas Bitte, neben dem Gatten knien und gleichfalls den mütterlichen Segen empfangen zu dürfen, wurde dahin beschieden, dass die Begegnung erst am Morgen beim Messgang stattfinden könne, weil in so später Stunde der Eindruck auf die Kranke zu heftig wäre.
Dann kamen die aufwartenden Damen, nahmen die Neuvermählte in ihre Mitte, um sie zu baden, zu salben, mit wohlriechenden Wassern zu begießen, während auf einem anderen Flügel des Schlosses derselbe Dienst an dem hässlichen Gianciotto verrichtet wurde. Danach brachten sie die Betrogene zu Bette, nachdem sie ihr noch den Nachttrunk gereicht hatten, worein ein leicht betäubender Saft gemischt war, verließen sie und schlossen hinter sich die Tür. Während Francesca erwartete, durch eben diese Tür den Geliebten eintreten zu sehen, traf sie ein leiser Luftzug vom Kopfende des Bettes her, eine unsichtbare Pforte in der Teppichwand hatte sich geräuschlos geöffnet, eine Hand griff herein, erdrückte die einzige auf hohem Kandelaber brennende Wachskerze, und an Stelle des Erwarteten bestieg die Greuelgestalt das Gianciotto unerkannt das hochzeitliche Lager.
Unterdessen floh der junge Tor, der den Betrug zustande gebracht hatte, entsetzt von dem Schauplatz