Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Tief bestürzt zog sich der Fürbitter zurück, doch gab er seine Bemühung, den Zanobi zu retten, nicht auf. Er beriet sich mit den Ältesten der Stadtgemeinde, die in Abwesenheit der jüngeren Männer die Regierung in der Hand hatten, und nun erschien eine Abordnung pisanischer Greise im Lager der Florentiner, um dem Gestrengen zu bedeuten, dass das Feld, worauf er lagere, pisanisches Gebiet sei, und dass sie nun und nimmer gestatten würden, pisanische Erde durch eine Hinrichtung zu schänden. Auf dieser Erklärung beharrten sie unerschütterlich, bis zuletzt das Abkommen getroffen wurde, dass zwar dem Kriegsgesetz kein Abbruch geschehen dürfe, dass aber mit der Vollstreckung des Urteils gewartet werden müsse, bis die Florentiner auf eigenem Grund und Boden stünden. Die Abgesandten hofften, wenn erst die pisanische Macht siegreich heimgekehrt sei, so würde in dem allgemeinen Dank- und Friedensfest durch die Fürbitte der Sieger, unter denen sich viele angesehene Blutsfreunde des Platzhauptmanns befanden, der harte Sinn des florentinischen Befehlshabers am Ende doch noch schmelzen. Und so wäre es wohl auch geschehen ohne den Verräter Silvestro, der dem Feldhauptmann seinen Acker zum Kaufe anbot, damit das Blutgericht auf florentinischem Boden seinen Lauf haben könne. Sie wurden handelseinig, der Bauer erhielt einen hohen Preis, und alsbald erging der Befehl, auf dem Grundstück, das jetzt Eigentum der Florentiner war, den Galgen aufzurichten. Weil aber der Verurteilte bei allen Kameraden und bei dem grimmigen Feldhauptmann selbst in so gutem Ansehen stand, erhielt er die Erlaubnis, vor dem Tode noch von seiner geliebten Orsola Abschied zu nehmen. Ein ländliches Kirchlein nahe der Stadt wurde für diese Begegnung gewählt. Dorthin brachte man unter beiderseitiger Bewachung die Liebenden, ein Priester legte ihre Hände zusammen und gab der Verbindung, die bisher nur von der Ulme geweiht war, noch zuletzt den kirchlichen Segen. In der Sakristei umschlangen sie sich noch einmal unter vier Augen, und Orsola, die keine Träne vergoss, bat den Geliebten, wenn er oben auf der Leiter stehe, seinen Blick auf die Zinne zu richten, wo sie ihn mit ihren Armen hinaufgezogen und von wo sie ihm den letzten Gruß zusenden wolle.
Die ganze Nacht lag sie betend auf den Knien, aber die Stunden gingen ihren Gang, und unbarmherzig dämmerte der Morgen herauf. Als Orsola die Zinnen erstieg, sah sie das Lager schon in voller Bewegung, aus allen Zeltgassen strömten die Bewaffneten dem Hochgerichte zu. Mit gebundenen Händen und einer tief über die Augen gezogenen Mütze wurde beim Schall der Trompeten der Verurteilte herangeführt, der seinen letzten Gang aufrechten Hauptes und festen Schrittes ging. Unter der Leiter nahmen die Kameraden ihm die Mütze ab, denn einem Braven, der er stets gewesen, durfte man die letzte Ehre, mit offenen Augen zu sterben, nicht weigern. Ohne Hilfe erklomm er schnell die Leiter, und oben auf der letzten Sprosse wandte er sich nach der Zinne um, während ihm die Schlinge um den Hals gestreift wurde. Drüben stand Orsola in dem Festkleid, das sie bei ihrer ersten Begegnung getragen, sein goldenes Herzchen blinkte im ersten Sonnenstrahl an ihrem Hals. Er sah, wie sie die Arme weit voranwarf, als ob sie ihm zufliegen wolle, und sich in die leere Luft hinausschwang, um ihm im Tode vorauszueilen. Aber er ließ ihr den Vortritt nicht, mit gewaltsamem Sprung schnellte er sich freiwillig von der Leiter, dass die Seele auf einmal entfloh und eine Sekunde beider Leben endete.
Großes Trauern herrschte im Lager und in der Stadt, und der Verräter Silvestro sollte seines Blutgelds nicht froh werden. Außen durfte er sich nicht mehr blicken lassen, weil die Kameraden des Gerichteten ihm den Tod geschworen hatten, und in der Stadt, wo er sich anzukaufen hoffte, wies man ihn mit Verachtung zurück. Da fand man ihn denn eines Morgens an dem stärksten Ast der Ulme von eigenen Händen aufgeknüpft, und die Leute sagten, der zürnende Baum habe seine Schützlinge gerächt. Von da an aber trauerte die schöne Ulme, als ob sie sich der hässlichen Frucht, die sie getragen, schämte. Ihre Zweige starben ab, und es kam kein Paar mehr in ihrem Schutze zusammen.
Um die Osterzeit kehrte die pisanische Flotte siegreich zurück mit großer Beute an Schätzen und Gefangenen, nachdem sie die reiche Stadt Mallorca in Asche gelegt. Alle Glocken wurden geläutet, und bei dem glänzenden Siegesfest war viel Rühmens und Dankens wegen der von den Florentinern bewiesenen Bundestreue und der strengen Mannszucht, mit der sie Pisa behütet hatten. Das Schutzheer zog reich beschenkt nach Hause, und der Stadt Florenz, die so redlich an ihnen gehandelt, ließen die Sieger als Beuteanteil die Wahl zwischen den kostbaren Metalltüren einer zerstörten Moschee und den zwei Porphyrsäulen, deren geborstene Stümpfe noch heute vor dem Eingang von San Giovanni stehen. Die Florentiner wählten die letzteren, weil die Rede ging, dass ein geheimnisvoller Zauber in den Säulen verborgen sei: wer sich dahinterstelle, dem werde jeder Trug, Diebstahl oder feindliche Anschlag offenbar. Die Säulen kamen an, von prächtigen Scharlachtüchern umwunden und geschwärzt vom Rauch des eingeäscherten Mallorca. Sie wurden aufgestellt, wo sie noch heute stehen, allein obwohl an Ränken und Arglist in der Stadt kein Mangel war, so kam doch nie eine Übeltat durch sie ans Licht. Da wurden die Florentiner den Pisanern gram, weil sie vermeinten, jene hätten aus Neid die Säulen geschwärzt, um ihnen die magische Tugend zu nehmen. Von dieser Begebenheit soll es herrühren, dass den Florentinern im Mittelalter der Spottname »die Blinden« angehängt wurde, weil sie den angeblichen Trug der Pisaner nicht bemerkt hätten.
Aus dem Groll erwuchs allmählich eine Todfeindschaft, die zu nicht endenden erbitterten Kriegen zwischen Florenz und Pisa führte und die frühere Guttat in ihr blutiges Gegenteil verwandelte, denn der Ausgang war die völlige Knechtung und Entrechtung der einst so stolzen Seestadt. Die weggeschleppten Hafenketten von Pisa, an der Taufkirche zu Florenz aufgehangen, verhöhnten noch jahrhundertelang die gestürzte Größe. Erst nach Gründung des geeinigten Königreichs Italien gaben die Florentiner die brudermörderische Trophäe an Pisa zurück, das sie als historische Reliquie feierlich im Camposanto aufbewahrt.
Die Verdammten