Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Ach, Bruder, antwortete Paolo.
Was »ach, Bruder«, was willst du sagen? Kann man noch mehr bieten, als ich biete, so soll sie den Preis nennen, keiner ist zu hoch.
Paolo weinte, sein weiches Herz litt auch für den Bruder, dessen Qual er sah und dem er nicht helfen konnte.
Bruder, wir haben sie im Heiligsten betrogen – ich – Ihr – der Vater – ihre eigene Sippe. Wem soll Francesca glauben? Denkt an die Warnung unserer Mutter, die allein das Rechte sah. Sagte sie nicht: Ein Mädchen, stark und stolz wie diese, wird eher einem Manne verzeihen, der sie raubt und mit Gewalt bezwingt, als einem, der sie hinterrücks besessen hat.
Gianciotto war erschüttert, die Warnung seiner Mutter, die er zuvor in den Wind geschlagen hatte, traf ihn jetzt nachträglich bis ins Mark. Er begriff, dass er der Gekränkten eine Genugtuung schuldete, die so groß war wie die zugefügte Kränkung. Er sagte:
Sie soll völlig frei und Herrin ihres Willens sein, sag ihr das. Ich schwöre, dass ich niemals einen Finger zur Gewalt gegen sie erheben will. Sie soll mich nur in ihrer Nähe dulden. Sie soll mir nicht alle Hoffnung nehmen, dass sie mir später einmal vergibt.
Auf dieses Versprechen hin begleitete Paolo seinen Bruder. Sie traten bei Francesca ein, deren verblasste Wangen bei seinem Anblick flammten.
Sprich du, der mich hierher geführt hat, sagte sie: Wer ist der Gatte, dem ich angetraut bin?
Paolo mit gesenktem Kopf und den Augen am Boden deutete stumm auf Gianciotto. Sie tat einen Schrei wie ein Tier, das die Axt des Schlächters trifft. Die beiden Männer standen vor ihr wie Gerichtete. Gianciotto schlich leise hinaus. Als Paolo ihm folgen wollte, sprang sie zwischen ihn und die Tür:
Nicht, ehe ich alles weiß! Wie habt ihr diesen Schurkenstreich ins Werk gesetzt?
Ich empfing deine Hand als sein Stellvertreter, antwortete Paolo. Du verstandest den Namen in der Trauformel nicht – es war so eingerichtet, fügte er leiser hinzu.
Als sich nun aus Paolos Worten Zug für Zug das ganze Netz von Trug und Arglist enthüllte, in das sie rettungslos eingesponnen worden war, und dass mit einziger Ausnahme ihrer mitbetrogenen Mutter ihre eigene Sippe daran so viel Anteil hatte wie die, der sie jetzt angehörte, brach eine Verzweiflungswut an ihr aus, worin sie die Stunde ihrer Geburt verfluchte und alle Verwünschungen des Himmels auf die Häuser Da Polenta und Malatesta herabrief, die schwersten auf den Teufel in Cherubsgestalt, wie sie ihren Schwager Paolo nannte. Ihre Damen umgaben sie schluchzend und bebend, ohne einen Zuspruch zu wagen, sie kannten ihre Gebieterin hinlänglich, um zu wissen, dass nichts auf der Welt sie jemals trösten und versöhnen konnte. Aber nur die Gespielinnen ihrer Jugend, die ihr mitgetäuscht nach Rimini gefolgt waren, durften um sie sein, die eingeweihten Edelfräulein des Hauses Malatesta, die teils schaudernd, teils in törichter Neugier kichernd die Wirkung der furchtbaren Enthüllung abgewartet hatten, verbannte sie für immer aus ihrer Nähe. Als der Verzweiflungskampf wich, verlangte sie nach einem anderen Zimmer, weil sie den Schauplatz des feigsten Meuchelmordes, der je verübt worden, nicht wiedersehen wolle. Man bereitete ihr auf dem anderen Flügel des Schlosses eine schön ausgestattete Kemenate, die ein Fenster auf den Hof und ein Ruhebett hatte, worauf sie sich alsbald niederstreckte mit dem Entschluss, sich nicht mehr zu erheben. Da lag sie mit ganz erstarrter Miene, unbeweglich und tränenlos, antwortete auf keine Frage noch Bitte mehr und wies jede Nahrung von sich, nicht einmal einen Tropfen Wasser ließ sie durch die festgeschlossenen Lippen, um rascher sterben zu können. Keiner der beiden Brüder wagte sich über ihre Schwelle. Ein Versuch des alten Malatesta, sie durch einen schwiegerväterlichen Machtspruch zum Aufstehen zu zwingen, schlug völlig fehl; ihre Ohren waren für seine Rede verschlossen, ihr Blick ging durch ihn hindurch wie durch Luft.
Das dauerte bis zum vierten Morgen, da erhob sich die Mutter Malatesta vom Sterbelager; schwach und wankend, von zwei Dienerinnen unterstützt, betrat sie das Zimmer Francescas, sank wortlos bei ihr nieder, und die Alte netzte die schon erkaltenden Hände der Jungen mit stummen Tränen. Francesca wusste durch Paolo, dass die hinfällige Frau allein sich mit ihren schwachen Kräften gegen die Verräterei gestemmt hatte, und dass es das Mitgefühl mit dem Opfer war, was sie am Hochzeitstage niederwarf. Sie legte ihren Kopf in den mütterlichen Schoß und plötzlich strömten auch ihr die Tränen. Die Starrheit wich, und nun gelang es ihren Frauen, ihr etwas Kraftbrühe beizubringen und allmählich in dem jungen Körper den Trieb zum Dasein wieder zu erwecken.
In diesen Tagen begab sich’s, dass die Stadt Faenza den ältesten Sohn des Herrn Malatesta seiner weitbekannten Tüchtigkeit wegen als Podestà oder Stadtrichter berief, denn dieses Amt, das einen eisernen und unbestechlichen Charakter erforderte, wurde nur an Auswärtige vergeben, damit kein Verwandtschafts- oder Freundschaftsband dem strengen Recht im Wege sei. Es war, als hätte der Himmel selber eingegriffen, um einem unerträglichen Zustand ein Ende zu machen. Denn Gianciotto hielt zwar sein Versprechen, sich ihr nicht gegen ihren Willen zu nähern, und betrat ihre Gemächer nie, aber das immer noch wachsende Verlangen nach ihr trieb ihn schlaflos umher, und der Zwang, den es ihn kostete, ein Haus mit ihr zu bewohnen und sie doch nicht zu besitzen, machte ihm das Dasein zur Hölle. Auch bei seinem Aufbruch wollte sie von keiner Versöhnung wissen und gönnte dem Scheidenden ihr Antlitz nicht. Dass Paolo am Hofe zurückblieb, weil der Vater nicht beide Söhne zugleich entbehren konnte, erregte in dem sonst so Misstrauischen keinen Argwohn, denn Francesca schien seit der Enthüllung seinen Bruder noch tödlicher zu hassen als ihn selber. Und Gianciotto war ein zu schlechter Kenner des weiblichen Herzens, um zu wissen, dass ein aus gekränkter Liebe geborener Hass mit Leichtigkeit in das erste Gefühl zurückschlagen kann, wenn der Stachel aus der Wunde genommen wird. Paolo hatte bei seinem Geständnis einen größeren Anteil an der Schuld auf sich geladen, als ihm in Wahrheit zukam, um seinen Bruder auf eigene Kosten reinzuwaschen, und dieser, der von der Größe des ihm gebrachten Opfers keine Ahnung hatte, befahl ihm an, wo immer sich eine Gelegenheit böte, seine Sache bei dem schwer verletzten jungen Weibe zu führen. Weil aber seine Tyrannenseele doch keines wahren Vertrauens fähig war, beauftragte er zugleich bei der Abreise denjenigen unter den Hofherren, den er für den ergebensten hielt, weil er die Schulter am höchsten wattiert trug, Madonna Francescas Verkehr mit seinem Bruder zu überwachen und alsbald Nachricht