Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Warum nennst du ihn den furchtsamen Ritter?
Ist das nicht furchtsam, dass er hundert Ritter vom Pferde sticht, und sobald er der Frau, die er liebt, ansichtig wird, sich zitternd und weinend vor ihr verbirgt?
Was kann der Mann, der hoffnungslos liebt, vor dem Angesicht der Geliebten anderes tun als zittern und weinen?
Wie das, Paolo? Kann ein Tapferer so zaghaft sein?
Verstehst du es nicht, Francesca? Lanzelot trotzt tausend Toden um ihretwillen, aber vor der Frau, die er liebt, ist er schwächer als ein Kind.
Gestern wusstest du noch nichts von Liebe, Paolo. Und heute bist du so erfahren? Hat eine meiner Damen dich in die Lehre genommen?
Er glaubte, dass sie im Ernst spreche, und schluchzte auf, sich so verkannt zu sehen, aber noch suchte er sein Gefühl zu hehlen.
Herrin, ich spreche nicht von mir aus. Es ist Galeotto, der Herr der »Fernen Inseln«, der so für seinen Freund Lanzelot bei der Königin spricht.
Was sagt ihr? Lass es uns zusammen lesen.
Sie ließ ihn an ihrer Seite niedersitzen, und beide neigten ihre Häupter über das Buch. Paolo las, seine Stimme zitterte. Die Leichtfertigkeit des höfischen Liebesromans wuchs ihnen zu der düsteren Größe ihres eigenen Schicksals empor, und was die unreife Kunst und die dürftige Beseelung des alten Dichters unvollkommen ließ, das ergänzten sie überreich aus ihrem Innern. Als sie an die Gartenszene kamen, wo Galeotto die Verliebten in die Laube führt und sie allein lässt, und wo nun die Lippen der Königin den verdursteten Lippen ihres Ritters begegnen, da verwirrten sich ihre Sinne und ihre Gedanken, sie wussten nicht mehr, lasen sie eine fremde Geschichte oder die eigene. Und ehe sie sich’s versahen, war es geschehen. Er war neben ihr herabgeglitten und umschlang mit verzweifelter Inbrunst ihre Knie. Sein emporgewandter Mund zog den ihren an, dass sie sich in einem wütenden verzweifelten Kusse fanden.
Sie umstrickte seinen Hals und presste sein Haupt gegen ihren Busen. Da sprang Paolo in jähem Schrecken auf:
Das Sakrament! rief er. Zwischen uns steht ein Sakrament!
Aber Francesca hielt ihn umfasst.
Jawohl, ein Sakrament, sagte sie, aber unsere Hände hat der Priester im Angesichte Gottes zusammengelegt. Hat er dabei ein Gaukelspiel aufgeführt, so treffe ihn die Vergeltung. Mich kann die Lüge nicht binden, ich habe dir geschworen, ich bin dein und weiß mich frei von Schuld, wenn ich dir gehören will.
Paolos Geist war nicht zu so kühnem Fluge geschaffen, doch die Leidenschaft überwand auch ihn, dass er die Geliebte in die Arme riss und ganz mit Küssen bedeckte. Dann drückte er ihre Arme herab und wollte fliehen.
Francesca umschlang ihn aufs neue.
O mein Geliebter, geh nicht von mir, flehte sie. Ich bin ja ganz beschmutzt und unrein geworden. Ich bin mir selbst ein Grauen seit jener Nacht. Nur die Liebe kann mich rein brennen, deine Liebe. Fliehe nicht. Wir sind doch verloren. Wie soll der Schreckliche je verzeihen, dass ich dich in ihm umarmt habe? Ich bin in seiner Gewalt, du bist es auch. Sein finsterer Geist herrscht in diesem Schloss, auch wenn er ferne ist. Stirbt dein Vater, so widerstrebt ihm nichts mehr, dann fallen wir beide. Aber nimm zuvor was dein ist und lass uns glücklich sein, ehe wir sterben. O mein Paolo, du einziger Stern in dieser Höhle der Finsternis.
Kann der in Gluten Brennende dem Anruf widerstehen? Er kann es nicht, und wenn er noch könnte, würde er nicht mehr wollen. Die Flamme saugt ihn an und zieht ihn in sich. Und die Dämonen des Hauses Malatesta sehen zu und reiben sich die Hände. Von dieser Stunde sind die Häupter der beiden ihnen sicher. Aber verschieden stellen sich das Weib und der Mann zu diesem Schicksal. Francesca ist ganz und einig mit sich selbst. Sie hat Paolo vor dem Altar geschworen, ihr Schwur ist eins mit ihrem Leben, sie ist ohne Sünde. Anders Paolo. Er hat ihr nicht geschworen, er hat Francesca vor dem Altar an den Bruder verraten und jetzt verrät er den Bruder mit ihr. Verbrechen hier, Verbrechen dort. Und darüber das Unwiderstehliche, Berauschende, das alles Vergütende, die Liebe. Er stürzte sich in das Feuermeer mitten hinein, auf sein zeitliches und ewiges Heil verzichtend.
In der Verzückung bemerkten sie nicht, dass der Türbehäng sich leise bewegte und auf den Bruchteil einer Sekunde etwas Dunkles, Glänzendes, wie das Auge eines Luchses, ins Zimmer sah.
Wie es weiterging, weiß die Welt. Es war der übliche Ablauf solcher Verwicklungen.
Zwei Tage später, als die beiden wieder mit dem Buch, das ihnen jetzt zum bequemen Vorwand diente, beisammen waren, hob sich aufs neue der Vorhang, Gianciotto stand vor ihnen, den blanken Degen in der Faust, das Gesicht zur Unkenntlichkeit verzerrt vor Zorn und Schmerz.
Schlange! schrie er und wollte zuerst Paolo treffen. Aber Francesca sprang blitzschnell vor und empfing den Stahl in der eigenen Brust, zum Entsetzen ihres Geliebten. Auch gut, du Heilige! Du wärest doch daran gekommen, rief der Wüterich, indem er ihn wieder herausriss, um sich damit auf den Bruder zu stürzen. Die tödlich Getroffene, von Paolos Armen aufgefangen, antwortete noch schwer atmend:
Ja, wahrlich gut – dass du mich von dir befreist und dem Rechten vermählst.
Paolo hätte nicht daran gedacht, sich zu wehren, auch wenn er nicht waffenlos gewesen wäre. Er küsste das Angesicht der Sterbenden, während Gianciottos Degen zum zweiten Mal schwirrte und ihn mit solcher Wucht durchrannte, dass der Stoß die Körper der Liebenden zusammenheftete.
Lange stand der Finstere und starrte auf die Arbeit herab, die er gemacht hatte. Neid und Bitterkeit stiegen ihm bis zum Halse:
Ich wollte auch einmal ein Mensch sein und wissen, wie Glück und Liebe tun. Aber so schöne Dinge sind, scheint es, nicht für Unsereinen. Jetzt mag sich die Menschheit vor mir in acht nehmen.
Er jagte zurück und schickte sich an, für den Abstieg in die Caina vollends reif zu werden.
Man trug die Toten in die Familiengruft der Malatesta und bestattete sie Seite an Seite. Als man das Zimmer vom Blut reinigte, fand sich ein aufgeschlagenes Buch am Boden. Es war das Buch, das der große Verbannte nachmals einen Galeotto nannte, denn seine Gastfreunde zu Ravenna mögen sich gehütet haben, ihm die an ihrer Blutsverwandten verübte Niedertracht zu erzählen. Nein, zwischen Francesca und Paolo bedurfte es keines Galeotto, die Herzen und Sinne, die sich an Lanzelot und Ginevra entzündeten, haben zuvor schon lichterloh gebrannt.
Und jetzt zum letzten Teppichfeld, das zugleich das letzte der Nordwand ist und das schönste von allen. Es folgt der Spur des Dichters und so steht es im Rechte.
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