Название | Sagen und Bilder aus Muskau und dem Park |
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Автор произведения | Georg Liebusch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066112677 |
Noch immer warnt und weissagt die Wehklage; denn gar mütterlich besorgt ist die Natur um den Menschen durch Anzeichen der Veränderungen und unheilbringende Erscheinungen. Ist Thauwetter im Anzuge, soll das Eis brechen und der Strom schwellen; so verkündet dies ein dumpfes Brausen in den Bäumen. Kreuzen sich die Strömungen in der Luft, will der Wind eine andere Bahn einschlagen, soll Sturm kommen; so zeigt dies oft ein dumpfes Heulen in den Häusern vorher an, die Bewohner derselben mahnend, Feuer und Licht wohl zu bewahren. Steigen die Nebel auf, welche der Gesundheit schaden, so formen sie sich wohl oft der Phantasie zu geistergleichen, weißen Gestalten, welche zu fliehen sind. — Noch immer warnt und weissagt die Wehklage. Denn wie die Natur, welche uns umgiebt, mächtige Veränderungen vorher empfindet und anzeigt, so geheimnißvoll unsre eigene Natur. Bei dem Sinken der Sonne, in der Stille der Nacht hat sich unser oft schon ein Vorgefühl eines nahen Leidens bemächtigt. Selbst ferne Verluste und Todesfälle bewegen in wunderbarer Sympathie das Herz: es beginnt unwillkürlich zu trauern, es stimmen sich wie durch eine unsichtbare Hand die Saiten der Seele zur Klage, und die Natur um uns und in uns ist selbst die warnende, weissagende Wehklage der alten, slavischen Religionen. —
Wie ein Heiligthum jenes Schutzgeistes war das wilde, dichte Gebüsch der Neißinsel im Park. Es warnten des Windes Heulen und der Abendnebel vor der Nacht und den Fluthen der Neiße. Die Stimmen und Gestalten der Natur wurden schlichten Söhnen derselben zu einer göttlichen Macht.
Anmerk. Von der Wehklage erzählt das Volk in der Lausitz, besonders in hiesiger Gegend. Vergl. Horcanski: Laus. Provinzialblätter, Leipzig 1782 3. Stck. S. 260. Ueber den fürchterlichen Brand am 2. April 1766 s. Langner.
V. Das böse Ufer.
Die gesunde Lage Muskaus im Neißthale ist oft gepriesen worden. Gleich der Standesherrschaft ist aber auch die gesammte Lausitz mit ihren vielen, immer grünen Wäldern, mit ihren wechselnden Hügeln und Thälern selten von schweren Krankheiten heimgesucht worden. Ob das Dorf Groß-Voygenz, einst zwischen Stadt und Gablenz gelegen, durch den schwarzen Tod oder im dreißigjährigen Kriege eingegangen ist, läßt sich nicht bestimmen. Warum aber die Pest diese Gegend gemieden hat, giebt folgende Sage an, welche zwar auch anderwärts wiederklingt, hier aber in dieser Form heimisch ist. —
Ein Mann aus einem der Stadt benachbarten Dorfe hatte den ganzen Tag über Holz gefällt, um dem dichten Walde mehr Land zur Wiese abzugewinnen. Es begann dunkel zu werden; er wollte nach Hause gehen. Da durchzogen vom Walde her, gleich Geistern in langen, weißen Gewändern, Nebelstreifen die Flur. Dem Landmann graute. Er beflügelte seine Schritte. Doch länger als sein Fuß war ein langer Nebelstreifen. Es war als hätte er Haupt und Hände. Schon hatte er den Armen erreicht. Mit Centnerlast legte er sich auf seine Schultern, und eine Stimme sprach: „Ich bin die Pest! Du trägst die Pest!“ Heiße Angst erfaßte den Armen, sein Blut begann zu sieden; fieberhaft hämmerten die Pulse, und zahllose Schweißtropfen rannen die Stirn und Wangen herab. Er wandte sich hierhin und dorthin auf der Flur — vergebens; die Pest folgte ihm. Er schüttelte gewaltig, die Last abzuwerfen — vergebens; immer fester umklammerte ihn des Todes Macht. Er eilte vom Thale zum Hügel — vergebens! Wie der heißhungrige Wolf, der seine Zähne in das Genick des Hirsches geschlagen hat, war er zusammengekettet — mit der Pest. In wilder Verzweiflung war er also die Fluren durchjagt und auch die Stunden des Abends. Schon verkündete der Glockenschlag Mitternacht. Da stand er auf einem Hügel vor seinem Dorfe. Längst war das Feuer auf den Kaminen erloschen. Auch seine Hütte umfing tiefer Frieden. Dort schlummerte in der Gesundheit Fülle sein Weib mit den Kindern, die den Vater bei Verwandten wähnten. Ein Tag war froh verlebt, und sein Werk vollbracht. Die Nacht und der Schutz des Himmels walteten über den Schläfern. — Schon wollte sich der Unglückliche seiner Wohnung, den Seinen nahen; doch er wußte, daß er ihnen den Tod brächte, daß er mit ihm einzöge in das Dorf. Ehe dies geschehen sollte, wollte er lieber verlassen sterben auf einsammer Flur. — Und wiederum stürmte er in wilder Verzweiflung von dem Dorfe weg in das Feld und die Nacht hinein. Immer größer wurde seine Angst, immer heftiger sein Schmerz; aber es trieb ihn nicht mehr die Pest allein, sondern auch die Liebe. So hatte er die Neiße erreicht, da, wo jetzt im Park die Hügel jäh zu dem Flusse herabfallen, wo sich der Strom je und je wieder gefahrvolle Tiefen wühlt, wo „das böse Ufer“ ist. Er nahm Abschied vom Leben und sandte den Seinen den letzten Segensgruß; denn er war entschlossen, ein Opfer anstatt vieler zu fallen. Er wollte die Pest mit sich begraben in der Neiße. — Schon wollte er sich in den Strom stürzen, schon schritt er zur That: — da ließ es ihn los. Eine Stimme sprach: „Solche treue, aufopfernde Liebe habe ich nirgends gefunden. Hier darf meine Herrschaft nicht sein!“ Und im Grauen des Morgens zog wiederum ein langer, weißer, geisterhafter Nebelstreifen von der Neiße zu dem nahen Hügel. Der öffnete sich. Dort tauchte die Pest hinab. Der Landmann eilte in den Strahlen der aufgehenden Sonne nach banger Nacht hochbeglückt zu den Seinen. Seitdem hat aber die Pest weder die Standesherrschaft, noch die Lausitz heimgesucht.
Anmerk. Ueber die gesunde Lage des Städtchens s. Peschek, L. Wochenbl. 1790, 81–84. Das Dorf Groß-Voygenz soll noch auf der Schreiberschen Specialkarte v. 1745 angegeben sein. So Past. Halke, handschriftl. Chronik von Gablenz.
VI. Die Ludki.
In dem langen, blutigen Kampfe der Deutschen gegen die Slaven mochte die dichten, unwegsamen Wälder der Standesherrschaft dem alten Glauben und der Freiheit der Wenden lange Zeit ein Asyl sein. Auch hier findet sich die Sage von den Ludken.
Die Ludki waren kleine, zwergartige Wesen. Sie lebten fern von den Menschen in verborgenen Höhlen, in welchen sie ihre zierlichen Haushaltungen hatten. Die Berge und Hügel sollen die Wohnung jener Unterirdischen gewesen sein, in denen sich Urnen finden; doch werden auch besonders die waldigen, sumpfigen, öden Gegenden als Stätten ihres Weilens von der Sage bezeichnet. Dort leben sie von der Jagd und dem Fischfange und den Früchten der Wildniß, ja wohl auch von etwas Ackerbau und Viehzucht, wenn ihr Aufenthaltsort von Städten und Dörfern weit entfernt war. Die Noth trieb sie bisweilen, die Bewohner benachbarter Dörfer um Lebensmittel zu bitten. Auch borgten sie sich von ihnen allerlei Geräthschaften, als Aexte, Sägen, Schüsseln, Teller u. s. w., welche sie ehrlich, ja oft mit Geschenken wieder brachten. Sie nahten sich meistens des Nachts, in Angst und Furcht. Mischten sich bei Freudenfesten die Menschen bunt durch einander, dann mischten sich auch oft die Ludki unter dieselben, um als Musikanten eine Art Hackebret oder Cymbal mit Tangenten meisterhaft zu spielen, oder wohl gar als Tänzer an dem Feste Antheil zu nehmen. Lange Zeit führten die menschenscheuen und doch menschenfreundlichen Ludki ihr einsames, kümmerliches Leben in den waldigen Verstecken der Gegend. Aber es erhoben sich christliche Kirchen. Der Schall der Glocken drang in die dichten Wälder. Die mächtigen Töne derselben konnten sie nicht vertragen. Sie verschwanden seitdem.
Jene Ludki, welche in den Todtenhügeln wohnten, waren ohne Zweifel die Abgeschiedenen. Sie setzten dort nach dem Glauben der Slaven das irdische Leben in verjüngtem Maaßstabe fort. Bisweilen kamen sie aus dem kümmerlichen Jenseits zu den Menschen in die Kreise ihres früheren Lebens, um sie alsbald wieder zu verlassen.