Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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mitten im Gottesdienst ein weltlicher Mensch so seine Stimme hätt' erhoben. Der alte Rüpel hat's getan, voll Seele, wie in seinen besten Zeiten, und das ist sein Fronleichnamsspruch gewesen:

      »Klinget alle Glöckelein, singet alle Vögelein; der große Gott kommt aus himmlischen Türen, geht im grünen Wald spazieren. Er rastet süß auf dem grünen Rasen, wo die Hirschlein und Rehlein grasen. Er sagt sein erstes, mächtiges Wort, da steigen alle Blümlein aus der Erden hervor. Er spricht sein zweites mit hellem Schall, das weckt jeglich Samenkorn im Tal. Und ruft er sein drittes Wort, da müssen die Donner schweigen und die Blitze sich neigen, und vor seinem Hauch sind die bösen Schloßen in Wasser zerflossen. Oh, dir sei Preis und Ehr, du großmächtiger Herr! Und wirst du einstmals dein letztes Wort sprechen, so werden die Berge beben und die Felsen brechen; werden die Himmel krachen, werden die Toten erwachen; wird das Feuer die Welt vernichten. Zu dieser lieblichen Stund' im grünen Wald sei gebeten, o Gott in Brotesgestalt: tu uns gnädiglich richten!«

      Der alte Mann weiß immer noch ans Herz zu stoßen mit seinen Worten. Erschüttert und gehoben sind wir, besonders der Pfarrer und ich, wieder zurückgekehrt zur Kirche. Und das grüne Birkengezelt mit den weißen Tragsäulen wird über dem Altare stehen, bis seine tausend Blätterherzen werden verwelkt sein.

       Endlich ist die Antwort wegen der Grundablösung in unserem Pfarrhofe eingelangt.

      Der Gutsherr gibt dem Pfarrer zu verstehen, er möge sich als gewissenhafter Seelsorger, der er sei, nicht auch noch weltliche Sorgen aufbürden.

      Des weiteren steht nichts zu lesen.

      Von einem sterbenden Waldsohn

      im Winter 1831

       Inhaltsverzeichnis

      Wer hätte das vorzeiten von dem Einsiedler im Felsentale gedacht! Die Tatlosigkeit nach dem bewegten Leben, die Abgeschiedenheit von den Menschen hätte ihn zum Narren machen können!

      Es ist wunderbar gekommen. Nur die großen Sorgen und kleinen Leiden eines Waldpfarrers und der einförmige und doch so vielseitige und vielbedeutende Zustand einer Waldgemeinde in der Ursprünglichkeit und Abgeschlossenheit ist das Recht für ihn, das ihn gerettet hat.

      Nun hat er sich hineingelebt in die Verhältnisse, kennt jedes seiner Pfarrkinder inwendig wie auswendig und leitet es mit seinen Beispielen.

      Es wütet jetzt eine böse Seuche in den Winkelwäldern; es wird uns der Friedhof zu klein, und wir können schier die Totengräber nicht auftreiben; die kräftigsten Männer liegen auf dem Krankenbette.

      Der Pfarrer ist Tag und Nacht nicht daheim, sitzt in den entlegensten Hütten bei den Kranken, sorgt für Seelentrost und auch für leiblich Wohl, hat ihm gleichwohl der Freiherr geraten, sich nicht mit weltlichen Dingen zu befassen.

      Letztlich, da er doch einmal daheim in seinem warmen Bett schläft, klopft es jählings ans Fenster.

      »'s ist eine rechte Grobheit, Herr Pfarrer!« ruft es draußen in der pechfinsteren Nacht. »Ein Versehgang ist in die Lautergräben hinüber. Wir wissen uns nicht zu helfen. Steht uns bei; mein Bruder will versterben!«

      »Wer ist denn draußen?« fragt der Pfarrer.

      »Die Anna Maria Holzer bin ich. Der Bartelmei will uns verlassen.«

      »Ich komme«, sagt der Pfarrer, »wecket nur auch den Schulmeister, daß er die Laterne und das Heiligste bereite. Das Läuten soll er lassen, es schläft ja alles.«

      Das Weib hat mich aber doch gebeten, daß ich die Zügenglocke läute, auf daß auch andere Leute für den Sterbenden beten möchten. Und als der Pfarrer danach zwischen den Häusern hingeht und das Weib mit Laterne und Glöcklein vorauswandelt, knien an den Haustüren schlaftrunkene Menschen und beten.

      Es ist eine stürmische Winternacht; der Wind saust über die Lehnen und pfeift durch das kahle, gefrorene Geäste der Bäume. Schneestaub wirbelt heran und verlegt den Weg und stiebt in alle Falten der Kleider.

      Das Weib eilt mit Hast voran und die roten Scheintafeln der Laternen zucken auf dem Schneegrunde hin und her und das Glöcklein schrillt unablässig, aber die Töne verklingen im Sturmwind, und die Menschen des Dörfleins sind wieder zur Ruhe gegangen, und auch ich bin, nachdem ich den zweien eine Weile nachgeblickt, in meine Stube zurückgekehrt.

      Ich will es aber niederschreiben, was dem Pfarrer in derselbigen Nacht begegnet ist. Es ist durch kein Beichtsiegel verschlossen.

      Als unser Vater Paul an dem Bette des Kranken steht, sagt dieser: »Gedenkt es der Herr Pfarrer noch, wie er in die Karwässer gekommen ist? Gedenkt er's? 's ist lang vorbei; wir beid' haben seither wohl was erfahren, sind eisgrau geworden, bei meiner Treu!«

      Der Pfarrer ermahnt den alten Kohlenbrenner, sich durch angestrengtes Reden nicht aufzuregen.

      »Und kann er sich erinnern, was ich damalen hab' gesagt: ich hätt' auch mein Anliegen und kunnt 'leicht einmal von einem geistlichen Herrn eine große Gefälligkeit brauchen. Dieselb' Zeit ist jetzt da. Ich lieg' auf dem Todbett. Den Ehrenwald-Franz hab' ich schon angeredet, daß er mir die Truhen zimmert. Und mit meinem Leib tät's nachher in Richtigkeit sein; – aber mit meiner Seel'! Pfarrer, verzeih' mir's Gott, die ist dir schwarz wie der Teufel.«

      Der Pfarrer sucht zu sänftigen und zu trösten.

      »Warum denn?« fragt der Bartelmei, »bin ja gar nicht verzagt. Weiß gleichwohl, daß alles recht muß werden. – Was macht denn der Herr Pfarrer für Geschichten mit seiner weißen Pfaid? Nein das brauch' ich nicht; wir tun die Sach' kurzweg ab. Wenn einer so auf dem letzten Stroh liegt, ist man zu nichts mehr aufgelegt. Tu sich der Herr nur setzen. – Das sag' ich aber gleich, mit dem Glauben steht's bei mir schlecht; glauben tu' ich, wenn ich's recht will sagen an gar nichts mehr. Der Herrgott ist selber schuld; daß ich so bin herabgekommen. Er hat auf mich schön sauber vergessen. Er hat mir's versagt, und er hätt's in seiner Allmächtigkeit wahrhaftig bei meiner Seel' leicht tun mögen! – Ich mag davon ja wohl reden. Selbunter, wie die Seppmarian ist gestorben, die ein wenig mein ist gewesen, hab' ich an ihrem Todbett gesagt, Marian hab' ich gesagt, wenn du jetzund mußt verlöschen, du junges Blut, und ich allein sollt' verbleiben meiner Tage lang, so ist das die größte Grausamkeit von Gott im Himmel oben. Aber wissen möcht ich's, Marian, und vor meinem Tode möcht' ich's wissen, was es mit der Ewigkeit ist, von der sie sagen allerweg, daß sie kein End' hätt', und daß die Menschenseel' in ihr tät' fortleben. Es ist nichts Rechtes zu erfahren, und da sollt' einer fremder Leut' Reden glauben, und etwan wissen die auch nichts. Und jetzt, Marian, hab' ich gesagt, wenn du doch wohl fort mußt, und du bist in der Ewigkeit weiter, gleichwohl wir dich begraben haben, so tu' mir die Freundschaft und komm, wenn du kannst, mir noch einmal zurück und wenn's auch nur ein Viertelstündlein ist, und richt mir's aus, damit ich weiß, wie ich dran bin –. Die Marian hat's versprochen, und wenn sie kann, so wird sie's halten, davon bin ich überzeugt gewesen. – Darauf, wie sie verstorben, hab' ich viele Nächte nicht schlafen mögen, hab' immer gemeint, jetzt und jetzt wird die Tür aufgehen, wird die Marian hereinsteigen und sagen: Ja, Bartelmei, magst es wohl glauben, 's ist richtig, 's ist eine Ewigkeit drüben, und du hast eine unsterbliche Seel'! – Was meint der Herr Pfarrer, ist sie gekommen? – Nicht ist sie gekommen, gestorben und tot und weg ist sie gewesen. Und seither – ich kann mir nicht helfen – glaub' ich schon an gar nichts mehr.«

      Er schweigt und horcht dem Tosen des Wintersturmes. Der Pfarrer soll eine Weile in die flackernde Spanflamme gestarrt und endlich gesagt haben:

      »Zeit und Ewigkeit, mein lieber Bartelmei, ist nicht durch einen Heckenzaun getrennt, über den man hin und her hüpfen kann, wie man will. Der Eingang in die Ewigkeit ist der Tod; im Tode streifen wir alles Zeitliche ab, denn die Ewigkeit ist so groß, daß nichts Zeitliches in ihr bestehen kann. Darum ist der Verstorbenen auch dein vorwitzig Wort ausgelöscht gewesen und alle Erinnerung an das zeitliche Leben. Frei von allem Erdenstaub, hat sie uns verlassen und ist in Gott eingegangen.«

      »Tu er das lassen, Herr Pfarrer«, unterbricht ihn der Kranke,