Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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seit zehn Jahren nicht mehr geschrieben worden. – Zwei Dinge mögen die Ursache gewesen sein, daß ich die Aufzeichnungen unterbrochen habe. Erstens ist das Bedürfnis nicht mehr in mir gewesen, meine Gedanken und meine Empfindungen aufzuschreiben, da ich an unserem Pfarrer einen Freund gefunden habe, dem ich mich unverhohlen mitteilen kann, wie er sich mir mitteilt und mir seine seltsame Lebensgeschichte dargelegt hat, ehe er mich noch gekannt hat. Das ist einer der wenigen, die, durch Drangsale geläutert, edel und rein aus den Wirren und Irren der Welt hervorgehen. Die Wäldler lieben ihn von Herzen; er leitet sie nicht durch Worte bloß, sondern mehr durch seine Taten. Seine Sonntagspredigten erhärtet er an den Wochentagen durch Beispiele. Er opfert sich auf, er ist den Leuten alles. Seine Haare sind nicht mehr schwarz wie vormaleinst im Felsentale, sein Gesicht ist ernst und immer gütig. Die Betrübten blicken ihm in die Augen und empfinden Trost.

      Gerne erzählt er, wenn wir auf der Bank oder um den Tisch beisammensitzen, von der weiten, schönen Welt, von fremden, merkwürdigen Ländern, von den Wundern der Natur. Pfeifenfeuer gehen dabei aus, denn alles hört ihm zu mit Ohren und Mund. Nur die alte Frau aus dem Winkelhüterhause erklärt des Pfarrers Erzählungen für vorwitzige Fabeleien; ein ordentlicher Priester, meint sie, müsse hübsch vom Himmel und Fegefeuer reden und nicht allweg von der Erden. Sie horcht aber zu, und es gefällt ihr doch.

      Vor mehreren Jahren hat die kirchliche Behörde unsere Pfarrerfrage einmal aufgetischt, hat unsern Vater Paul nicht anerkennen wollen, sondern einen neuen hereinzustellen Miene gemacht. Hei! da haben die Winkelsteger zu toben angefangen, und die Sache ist beim alten belassen worden. Dagegen aber wird Winkelsteg draußen nicht als Gemeinde und Seelsorge anerkannt, sondern als eine Niederlassung von Halbwilden und verkommenen Menschen, wie sie das früher gewesen.

      Mir hat das anfangs sehr wehe getan, wir hätten uns so gerne der Allgemeinsame angeschlossen, aber da sie uns zurückdrängen, so sage ich schier am liebsten: um so besser, so lassen sie uns fürder in Ruh, und wir können ungefährdet und unbeschränkt – wie sie es draußen nicht können, noch wollen – dem Ziele einer Mustergemeinde zustreben.

      Die zweite Ursache der Vernachlässigung meines Tagebuches ist die viele und mannigfache Arbeit, die mein Beruf mir auferlegt.

      Anfangs ist es der Bau des Schulhauses gewesen der mir keine Ruhe gelassen. Es ist denn alles hergestellt worden, wie ich es für die wichtige Sache am zweckmäßigsten halte.

      Das Haus ist von Meister Ehrenwald aus Holz aufgeführt. Das Holz regelt den Wärmezustand besser als der Stein, auch zerstreut es mehr Dünste und gibt frische Luft. Dann ist mir darum zu tun gewesen, den Leuten einen zweckmäßigen und geschmackvollen Holzbau als Muster aufzustellen. Es ist zu meiner Freude die leichte, zierliche und doch haltfeste Art meines Schulhauses und seine bequeme Einteilung und Einrichtung schon vielfach nachgeahmt worden. Meine Fenster, Türen, Maurer- und Schlosserarbeiten werden bereits von der ganzen Umgebung als mustergültig betrachtet.

      Um das Haus ist ein Garten und ein geräumiger Spielplatz mit Werkzeugen für körperliche Übungen angelegt. Das Haus ist zum Schutze gegen die Unbill der Witterung ringsum mit einem breiten Vordache versehen, aber so, daß es dem Lichte des Innern nicht Eintrag tut. In der Schulstube ist vor allem auf die Gesundheit der Kinder Rücksicht genommen worden. Die Bänke stehen nicht zu dicht aneinander, und die Tischläden sind hoch, damit sich die Schüler das gebückte Sitzen nicht angewöhnen. Bei dem Lesen lasse ich den Schüler aufstehen, damit er das Buch von den Augen in entsprechender Entfernung halten kann. Die Fenster sind so verteilt, daß das Licht den Lernenden von der linken Seite oder von hinten kommt. Zum Ablegen der Überkleider ist ein Vorkämmerchen eingerichtet, auf daß bei schlechtem Wetter uns die Ausdünstung nicht schädlich werde. Den Wärmegrad der Stube suche ich immer mit jenem von draußen in einem gewissen Verhältnisse zu halten, damit die Ein- und Austretenden nicht ein zu jäher Wechsel treffe.

      Was meine Wohnung im Schulhause anbelangt, so ist sie nicht groß, aber sehr traulich. Und tausendmal traulicher noch macht sie mir jene Winterfahrt durch Rußland, der ich zuweilen wie eines wilden Traumes gedenke. – Wohl, ich bin seit jenem Traume um viele Jahre jünger geworden; wie mich die Stürme der Welt zu Boden geschlagen, so habe ich mich aufgerichtet an der Ursprünglichkeit des Waldes.

      Ein weit schwereres Amt als die Schulangelegenheiten und eine weit größere Pflicht ist mir die Überwachung der geistigen Gesundheit der mir Anvertrauten. Klugheit und für ihren eigenen Vorteil zu denken und zu handeln, lernen sie leicht; aber sich dem Ganzen anzupassen, daß ihr Dasein mit jenem der Mitmenschen und jenem der Außenwelt im allgemeinen stimme, das findet sich viel schwerer. Es ist einmal so. Das erste und allererste Lebenszeichen, welches in dem jungen Menschenkinde die aufkeimende Seele von sich gibt, ist die Offenbarung der Selbstliebe. Ob Menschenliebe daraus wird oder Selbstsucht, das entscheidet die Anlage und die Erziehung. Wer Kinder zu starken und rechten Menschen machen will, der pflege in ihnen die harmlosen Freuden, den Mut, das Gerechtigkeitsgefühl und die Wahrheitsliebe. – Mehr braucht es nicht, möchte ich fast sagen.

      Waldlilie im Schnee

      Im Winter 1830

       Inhaltsverzeichnis

      Uns ist ein Stein vom Herzen. Das Unwetter hat sich gelegt. Ein ganz leichter Wind ist gekommen, hat die Bäume sachte von ihren Lasten erlöst. Ein paar mildwarme Tage sind gewesen, da hat sich der Schnee gesetzt, und man kann mit Fußleitern gehen, wohin man will.

      Es hat sich in dieser Zeit aber doch etwas zugetragen drüben in den Karwässern. Der Berthold, dessen Familie von Jahr zu Jahr wächst und von Jahr zu Jahr weniger zu essen hat, ist ein Wilderer geworden. Der Holdenschlager versteht es besser als unsereiner, der ein weichmütiger Spiegelfechter ist sein Lebtag lang. Arme Leute dürfen nicht heiraten, sagt der Holdenschlager. Nun, nach Sitte und Brauch haben sie nicht geheiratet, aber vor mir sind sie gekniet im Walde... und – jetzt hungern sie allmiteinander.

      Meinetwegen? Nein, nein, mein Segen bedeutet ja nichts. O Herrgott, dein ist die Macht und mich lasse nicht noch einmal versinken in Schuld!

      Ist also ein Wilderer geworden, der Berthold. Das Holzen wirft viel zuwenig ab für eine Stube voll von Kindern. Ich schicke ihm an Lebensmitteln, was ich vermag; aber das genügt nicht. Für das kranke Weib eine kräftige Suppe, für die Kinder ein Stück Fleisch will er haben und schießt die Rehe nieder, die ihm des Weges kommen. Dazu tut die Leidenschaft das Ihre, und so ist der Berthold, der vormaleinst als Hirt ein so guter, lustiger Bursch gewesen, durch Armut, Trotz und Liebe zu den Seinigen und durch Torheit anderer recht sauber zum Verbrecher herangewachsen.

      Einmal schon bin ich bittend vor dem Förster gelegen, daß er es dem armen Familienvater um Gottes willen ein wenig, nur ein klein wenig nachsehen möge, er werde sich gewiß bessern, und ich wolle mich für ihn zum Pfande stellen. Bis zu diesen Tagen hat er sich nicht gebessert; aber das Geschehnis dieser wilden Wintertage hat ihn laut weinen gemacht, denn seine Waldlilie liebt er über alles.

      Ein trüber Winterabend ist es gewesen. Die Fenster sind mit Moos vermauert; draußen fallen frische Flocken auf alten Schnee. Berthold wartet bei den Kindern und bei der kranken Aga nur noch, bis das älteste Mädchen, die Lili, mit der Milch heimkehrt, die sie bei einem nachbarlichen Klausner im Hinterkar erbetteln muß. Denn die Ziegen im Hause sind geschlachtet und verzehrt; und kommt die Lili nur erst zurück, so will der Berthold mit dem Stutzen in den Wald hinauf. Bei solchem Wetter sind die Rehe nicht weit zu suchen.

      Aber es wird dunkel, und die Lili kehrt nicht zurück. Der Schneefall wird dichter und schwerer, die Nacht bricht herein, und Lili kommt nicht. Die Kinder schreien schon nach der Milch, den Vater verlangt schon nach dem Wild; die Mutter richtet sich auf in ihrem Bette. »Lili!« ruft sie, »Kind, wo trottest denn herum im stockfinsteren Wald? Geh heim!«

      Wie kann die schwache Stimme der Kranken durch den wüsten Schneesturm das Ohr der Irrenden erreichen?

      Je finsterer und stürmischer die Nacht wird, je tiefer sinkt in Berthold der Hang zum Wildern und desto höher steigt die Angst um seine Waldlilie. Es ist ein schwaches, zwölfjähriges Mädchen, es kennt zwar die Waldsteige und Abgründe,