Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Lautergräben oder in die Winkelwälder hinaus, so bleibt der Knabe willig im Felsenhause und arbeitet allein. Gerne hat er mir von seiner kleinen Schwester erzählt, aber nie ein Wort von seiner Mutter, gleichwohl er im Traume oft genug von ihr gesprochen hat. Ich habe es ihm angemerkt, wie sehr das Gewissen seiner Tat ihn hat gepeinigt.

      Auf daß der Knabe sich in Geduld und Sanftmut übe, habe ich ein Mittel erfunden, das, wie seltsam und einfältig es auch aussehen mag, doch eine schätzbare Wirkung in sich trägt. Ich fasse einen Rosenkranz aus grauen Steinperlen zusammen, und diesen Rosenkranz muß mir der Lazarus allabendlich abbeten, ehe er zu Bette geht. Aber nicht mit dem Munde abbeten, sondern mit den Fingern und mit den Augen. Er muß nämlich alle Perlen von der Schnur streifen, daß sie auf den Erdboden hinkollern; und nun ist seine Aufgabe, daß er die in alle Winkel gerollten Kügelein mühsam wieder zusammensuche und auflese. Anfangs hat er bei dieser mühsamen Arbeit sein Zucken wohl bekommen, aber da er dadurch dem Geschäfte hinderlich statt förderlich ist, so hat er es nach und nach mit mehr und mehr Fassung verrichtet, obwohl das Suchen oft stundenlang dauert, bis er die letzte und allerletzte Perle findet. Und endlich hat er es mit einer Ruhe und Selbstüberwindung getan, die verehrungswürdig ist. – Kind, sage ich einmal, das ist das schönste Gebet, das du Gott und deiner Mutter zuliebe tun kannst, und damit erlösest du deinen Vater. Da blickt mich der Junge mit seinen großen Augen glückselig an.

      Wir haben nicht gar viel miteinander geredet, aber um so gewichtiger und überlegter ist jedes gesprochene Wort gewesen. Er scheint mich liebgehabt zu haben, er hat jeden Wunsch meiner Augen zu erfüllen gesucht. Nach meiner Weisung hat er mich den Bruder Paulus geheißen.

      Wohl, es ist eine gewagte Art gewesen, wie ich den Knaben zu mir gerissen und geschult habe; aber ich mag hoffen, daß er glücklich auf einen besseren Weg geleitet ist. – O mein Freund, wie oft habe ich mir gesagt: Einem, und wenn auch nur einem Menschen mußt du von allen Seelengaben, die dem Priester zu Gebote stehen sollen, die Gabe der Selbstbeherrschung eigen machen, dann bist du erlöst.

      Ich habe mich im Laufe des Jahres oft nach der Mutter des Knaben umgesehen; und sosehr ich mich selbst an den Knaben gewöhnt, habe ich doch den Tag ersehnt, an welchem ich dem armen Weibe das verschollene Kind wieder zurückgeben kann wie ein Stück reinen Goldes nach der Läuterung.

      Da finden wir eines Abends das Kreuz nicht mehr auf dem Steingrunde. Es war unser Gottesaltar gewesen und das Zeichen der Entsagung und Selbstbeherrschung. Und nun starrt uns die moderige Grube an, aus der es emporgeragt.

      Wer hat mir auch dieses Einzige noch weggenommen? Soll es Kohlen geben oder eine Herdflamme in der Hütte? Ist der weite Wald nicht mehr groß genug, legen sie die Hand noch an das Kreuz? Was hat es ihnen getan? Oder schnitzt einer den Heiland dazu? Oder hat es ein Kranker, ein Sterbender holen lassen, auf daß er davor bete?

      So habe ich an jenem Tage gefragt und gegrübelt. Und am Abend noch eile ich durch das steinige Tal und meine, irgendwo müsse mein Gotteszeichen liegen. Ich laufe in den Wald hinab, den Fußsteig hin, da sehe ich zwei Männer, die das Kreuz tragen.

      Und nun ist es mir eingefallen: es kommt in die neue Kirche am Steg, die Wäldler stellen es auf den Altar. Sie verehren es, wie ich es verehre; auch sie wollen Entsagung und Aufopferung lernen; auch sie sind Menschen, die streben und ringen nach dem Rechten wie ich. Da ist in mir eine Freude erwacht, die mir schier das Herz hat zersprengt. Um den Hals fallen hätte ich Euch mögen, Euch, der ganzen Gemeinde. Ich gehöre ja zu Euch – ein Pfarrkind.«

      Dann sagt er noch: »Jetzo ist keine Zeit mehr zum Reden. Ich bin ja auch zu Ende. Kurze Zeit danach habe ich den Lazarus fortgeführt aus diesem Felsentale und hinaus zur neuen Kirche, auf daß er vor dem Kreuze bete. Ich habe ihn von Herzen gesegnet, denn ich habe wohl gewußt, daß er mir nicht mehr zurückkehren wird in das Felsenhaus.

      Und allein habe ich weitergelebt, wohl verlassener als je, und doch beruhigter, und mein Herz hat sich gehoben, als wollte der Bann anheben zu schwinden. Öfter und öfter bin ich hinausgegangen zur neuen Kirche, in der mein Kreuz steht. Und die Menschen haben mich nicht mehr gemieden; Almosen haben sie mir gereicht, auf daß ich beten möge vor Gott für ihr Seelenheil. Daraus habe ich wohl mit Beschämung ersehen, daß sie mich für besser halten als sich selber.

      Ich bin auch wieder in das Haus des Bartelmei gegangen, in dem sie mehr von mir wissen als in den anderen Hütten. Des Köhlers Mutter, die Kath, ist schon seit Jahren krank, die bittet mich, daß ich um Gottes Erbarmung willen doch einmal eine Messe für sie lese zu einem glücklichen Sterben. Das habe ich dem alten Weiblein gerne versprochen, und die Messe habe ich gelesen, und zwar vor meinem Kreuz in der Kirche am Steg.«

      So weit hat der Mann erzählt.

      Wir schweigen beide eine gute Weile. Endlich habe ich die Worte gesagt: »Wie sich das schon wunderbar fügt im Lebenslaufe, so ist das vielleicht Euere letzte Messe in unserer Kirche nicht gewesen.«

      »Ich habe Euch die schuldige Antwort gegeben«, versetzt der Einspanig, »was daraus für Euch, für mich erwächst, davon kann heute noch nicht gesprochen werden.«

      Mit diesen Worten hat er sich von dem Holzstamme erhoben. Und wie er nun so aufgerichtet vor mir steht, da ist er jünger und größer, als er sonst geschienen. Einen tiefen Atemzug hat er getan, und plötzlich hat er heftig meine Hände gefaßt in die seinen und mit bebender Stimme gerufen: »Ich danke Euch, ich danke Euch!«

      Und hierauf ist er hastig davongegangen.

      Er schreitet aufwärts in der Richtung gegen das Felsental.

      Ich schreite abwärts in die Lautergräben und gegen Winkelsteg.

      Meine Schuhe stoßen oftmals an Gestein und Gefälle. Eine nebelfeuchte, finstere Nacht liegt über den Wäldern.

       So ist mein Mißtrauen gegen den Einsiedler glücklich zuschanden geworden.

      Wenn einer auf die Welt verzichtet, sie mag ihm sein, was sie will, und jahrelang in der Wildnis lebt unter unerhörten Entbehrungen und mit eisernem Willen die Wünsche seiner Seele bekämpft – dem ist es Ernst. – Zu welchem Zwecke wäre er auch in die Wälder gegangen, lange ehvor am Steg noch ein Kirchenstein gelegen, zu welchem Zwecke hätte er sich gemieden gemacht von den Leuten und seinem Wohltätigkeitsdrang nur im verborgenen zu genügen gesucht? – Und vor mir armem Mann hat er die Fasern seines Herzens entwirrt, daß ich hineinsehe in sein Inneres, wie es auch dasteht in der Schuld.

      Oft habe ich mir gedacht, der erste Seelsorger in Winkelsteg darf kein Gerechter sein, sondern ein Büßer. Nicht ein Mann sei es, der nie gefallen, sondern einer, der aus dem Falle ist aufgestanden. In der Tiefe und Finsternis der Wälder muß er stehen und sich zurechtfinden können, auf daß er diesen Menschen vorauszugehen weiß hinan zur lichten Höhe.

      Im Sommer 1819

      Das ist sauber! das ist possierlich! das ist schon gar zu lustig, jetzund!

      Ich habe heute den ganzen Tag gelacht und geweint.

      Es wird nur eine scherzhafte Mär sein, aber sie wird allenthalben ernsthaft erzählt. Und bei dem, was bislang schon zu hören gewesen, kann es ja möglich sein.

      Verspielt soll er uns haben, der schlechte Mensch!

      Verspielt, uns samt und sonders, die ganzen Winkelwälder mit Stock und Stein, mit Mann und Maus und mit dem Andreas Erdmann, verspielt am grünen Tisch in einer einzigen Nacht. Und verspielt an einen Juden.

      Einige Tage später

      Sei es, wie es sei, wir wollen an unserem Tagwerk weiterarbeiten. Ich bin heute in dem Miesenbachwald gewesen, um die Bäume zu besehen, die für den Schulhausbau bestimmt sind. Sie müssen im Christmonat gefällt werden; das ist für Bauholz die beste Schlagzeit; über den Sommer können sie trocknen, und im nächsten Herbst muß der Bau aufgeführt werden.

      Als ich an der Schwarzhütte vorübergehe, tritt der Einspanig heraus. Er hat den Lazarus besuchen wollen; der Knabe ist aber nicht daheim, der ist jetzt Ziegenhirt bei den Holzern im Vorderwinkel. Adelheid soll dem Einspanig anfangs bittere Vorwürfe gemacht haben; hierauf aber habe sie ihr Gesicht in die Schürze verborgen und schluchzend ausgerufen: »Ich weiß es wohl, Ihr habt