Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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war der letzte Förster gewesen im Tärn. Nach ihm wucherte der Wald wilder und unumschränkter als je. Nun hatte er keinen Meister mehr. Manch strotzender Baum blickte höhnend wieder aufs Kreuzbild: Du Ding aus dürrem Holz, was willst Du?

      Man stellte wohl wieder Leute auf, um den Wald zu hüten, aber denen wollte es in der Einschicht nicht gefallen, denen war der Wirtshausschatten lieber. Männiglich weiß, im Wirthshaus giebt es alten Wein und junge Mädchen und auf dem Fensterbrettlein liegen die Spielkarten. So war’s auch zu Trawies gewesen, so lange dort überhaupt noch Wein getrunken wurde. Der Wald draußen, der wächst selber, aber den Wein müssen die Leute trinken. So hielten es die jungen Hüter das Tärn.

      Von den Schneebrüchen und Stürmen, die in dieser Gegend herrschten, haben wir bereits erfahren. So auch im letztvergangenen Frühling. Abwechselndes Thau- und Frostwetter hatte den Fallenden Schnee an den Ästen und Wipfeln festgehalten und anfrieren lassen. Eisnadeln und Klumpen hatten sich daran gebildet, die zogen das Geäste nieder, bogen die jungen Stämme, brachen die Wipfel. Und später, als der Schnee zergangen war und die Veilchen wuchsen, da verwunderten sich, daß die Finken und die Ammern, daß die sonst so stolzen Stämme so tiefe Bücklinge machten, daß sie die Arme so muthlos niederhängen ließen, während es doch Zeit war zum Auskeimen und Kätzchentreiben: verwunderten sich, daß manche sauber gewachsene Jungfichte auf der faulen Haut lag im hellgrünen Sauerklee, und daß so viele der höchsten und ältesten Bäume den Kopf verloren hatten. Die Verwüstung war groß; dazu noch das verheerende Unwetter, welches wir auf dem Johannesberge miterlebt haben – und so kam die Zeit, da der Tärn zu sterben begann.

      Keiner war mehr zu Trawies, der daran gedacht hätte, im Walde das Todte von dem Lebndigen zu sondern. Der Bart freilich, der schüttelte den Kopf, aber es wären vile Hunderte von Holzhauern nöthig gewesen, um das Gefälle und alles Bruchholz fortzuschaffen.

      Im nächsten Frühjahr trat der »Waldhüter« einen alten Wurzelgräber an, warum derselbe mit seinem Stecheisen die Baumwurzeln versehre.

      »O lieber Gott,« antwortete der Alte, »mein Eisen thut nicht viel, aber hier will ich Dir was zeigen, das mehr thut!«

      Er führte den Hüter zu einem tief im Moose liegenden Baumstrunk, riß mit der Hand ein großes Stück Rinde davon ab, daß der braune Staub flog, die zwischen Borke und Splint in einer dichten Schicht angehäuft war.

      »Siehst Di die Buchstaben, die da ins Holz eingegraben sind? Kannst sie lesen? Das ist der Todtenschein des Tärn!«

      »Dummes Zeug!« brummte der Hüter; insgeheim erschrak er aber vor den in den Splint gegrabenen Zeichen. Es waren zahllose verschlungene Canälchen, die von einem Hauptgange auszweigten und von denen runde Löchelchen in das Innere des Stammes führten. Es waren die durch ein Insect genagten Gänge, in welchen hie und da eine graubraune schwulstige Larve lag und in welchen zuweilen so ein braunes Käferchen heranrieselte, nicht größer als ein Weizenkorn. »Schau, schau,« sagte der Hüter schließlich, »nun, das ist morsches Holz. Es liegt nichts d’ran.«

      Nicht lange hernach gesellte sich der »Waldhüter« zu einem anderen Waldlungerer und sie unterhielten sich von Bubenstreichen aller Art, die in der Gegend wieder verübt worden waren.

      »Ich bin dahintergekommen,« flüsterte der Eine und legte den Arm mit dem zerfetzten Ärmel um den Leib des Anderen.

      »Wem bist dahintergekommen?«

      »Dem Fuchs, wo er die Taube versteckt hält.«

      »Meinst Du den Stromer?«

      »Wen etwa denn sonst?«

      »Und das Dirndel vom Johannesberg?«

      »Geh’, stell Dich nicht so dumm, die meinst Du selber.«

      »Wo ist sie?«

      »Ja, glaubst, ich bin der Narr und steck Dir’s? Die magst Du lang suchen. Ich sage Dir nur, daß sie der schlechte Kerl noch immer bewacht, wie eine gottverbissene Äbtissin ihr jüngstes Nönnlein. Das goldfarbig Haar wachst ihr und in etlichen Wochen ist wieder Schafschur.«

      »Pst!«

      Eine durch das Dickicht streichende Gestalt mit beladenem Rücken unterbrach das Gespräch der Beiden. Bald war der Beladene verschwunden und es waren auch die beiden Lungerer verschwunden. –

      Noch immer bereitete der Tärn über alles seine grüne Decke. Sein Bestände war scheinbar fruchtbarer als je und mancher Wipfel brach nieder von der Last der Zapfen. Sehr viele Spechte waren zu sehen, die in dem faulenden Holze emsig umherpickzem; sie fanden der Nahrung übergenug ...

      Da kam die Zeit mit einer außerordentlichen Erscheinungen. Die Witterung war mild und feucht, aber viele und viele Bäume im Tärn, jung und mächtig sonst, trieben keine Keime, keine Blüthenkätzchen, und die spröden Zapfen aus dem Vorjahr blieben an den Zweigen hängen. Der Bart schüttelte wieder den Kopf. Aus dem dunklen Grün dieser Bäume war ein mattes Braun geworden und im Hochsommer rieselten die Nadeln nieder auf den Boden.

      Der Bart, dessen Haus ja nicht weit vom Walde stand und der im Walde versteckt seine Äcker hatte, untersuchte manchen Stamm. In den Rinden, in den Bastschichten, im Splint und im Kernholz waren die schrecklichen Schriftzeichen, die unzähligen Canälchen des Borkenkäfers, das »mene tekel« des Tärn.

      Das fließende Harz des grünen Holzes hatte die kleinen Ungeheuer nicht erstickt.

      »Der Wald ist hin,« sagte der Bart zu Erlefried. »Es ist wahrhaftig, als wie wenn der Fluch nichts wollte verschonen. Mir ist angst und bang.«

      Erlefried hielt seine Antwort an sich. Er war doch auch im Flammenring, wie sie das umstrickte Trawies nannten, aber er spürte nichts an sich von einem Fluche. Ihm war so frisch und freudig. Die holde Sela durfte er anschauen jeden Tag. Wohl zog’s ihn näher zu ihr, als auf dem Felde zwei Halme nebeneinanderstehen können, aber der Bart und sein Weib hüteten insgeheim die jungen Herzen.

      Zu einer anderen Zeit hätte das Hinsiechen des weiten, herrlichen Waldes in Trawies eine große Aufregung verursachen müssen, aber jetzt kehrte man sich nicht viel daran und Manche hielten es für selbstverständlich, daß´Alles zugrunde gehe.

      Zu Ende des Sommers stand stellenweise fast jeder dritte Baum ohne Nadeln da und reckte sein kahles, verkrüppeltes Gezweige gegen Himmel: die Rinden waren wulstig und zerrissen und hingen stellenweise in Fetzen. Ein starker Harzduft wehte und endlich schien wieder einmal die sonne auf den Erdengrund des Tärn. Die Grünspechte und Kreuzschnäbel, die Amseln, Häher und Sperlinge schossen planlos umher, die Wildhühner, Eulen und Fledermäuse flatterten heimatlos geworden im dorrenden Reisig auf und nieder.

      Und als die Sonne wieder höher stieg, flog der Borkenkäfer in unendlichen Schwärmen durch das Gestämme, um sich in noch frischem Holze neue Nester für seine Brut zu bauen. Entlegene Theile der Waldung waren bisher noch verschont geblieben, sie wären vielleicht durch Gräben und Feuerdämme zu retten gewesen; nun drang die Pest auch dahin und die Bäume huben an zu vertrocknen.

      Der Bart war ob solcher Verwüstung bisweilen wie wahnsinnig. Jetzt fühlte er erst, wie sehr er den Wald geliebt hatte. In seiner Wuth machte er Jagd nach einzelnen Käfern und zerstampfte sie mit den Füßen. Dann, als er sah, daß der Wald verloren war, wollte er in die dürren Bestände Feuer schleudern. So hat auch diesen sonst so besonnenen Mann, zwar nur vorübergehend, der Wahnsinnsteufel erfaßt, der eine Folge des Fluchst war, weil man an den Fluch geglaubt.

      Auf dem Boden lag eine dichte Schicht von dürrem Genadel, in welcher allerlei Fußtritte zu verspüren waren, die man sonst in diesem Walde kaum vermuthet hätte.

      Und endlich, wann man auf der Freiwildhöhe stand und hinblickte über den unabsehbaren Wald, da sah man ein mattgraues Meer. Das war der todte Tärn.

      All die Häuser dieser Gegend waren von den urkräftigen Stämmen des Waldes gebaut worden, dieses Waldes, der jetzt in Todtenblässe dalag. An »Wurmtrockniß«, sagte man, sei er gestorben. Der Bart schlug vor, daß man in allen Mulden Kohlenstätten anlege; man lachte ihm ins Gesicht. »Was brauchen wir Kohlen, wenn wir keine Schmieden haben!« Sie hatten recht. Der Weg ins Land hinaus war gebrochen.