Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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um Unterstand und Schutz für das Mädchen.

      »Dein Bitten, Erlefried,« entgegnete der Bart, »ich weiß nicht, wie ich es soll deuten. Ja, ich will dem Kinde eine Hut geben, so lange ich selber eine habe. Ich nehme die Sela gern in mein Haus; nur, Erlefried, Du hast es ja erfahren, daß wir oft nicht wissen, was wir essen sollen.«

      »Ich sammle meine Nahrung im Wald, wie ich es bisher gethan habe,« sagte das Mädchen.

      »Und wo sie schlafen wird?« meinte der alte Mann.

      »In der Scheune auf dem Heu,« schlug Erlefried vor.

      Das Weib des Bart stand dabei; sie hatte schon ein Weilchen die jungen Leute betrachtet, die so warmlebig und so ahnungslos nebeneinander dastanden.

      »In der Scheune mögen die Mannesleute schlafen,« sagte sie jetzt, »der Erlefried und meinetwegen auch der Bart; die Maid soll in der Stube sein, ihr Bett neben dem meinen.«

      Dem Bart war’s recht.

      Aus derselben Zeit berichtet die Urkunde das Sterben des Tärn.

      Der Tärnwald war bis zum Ritscher hin fast eine Geviertmeile groß und lag an schönen Sommertagen wie ein stiller, tiefblauer See unter dem Himmelszelte, scheinbar ruhend und schlummernd auf weltfernem Gelände. Das unendliche Leben und Weben in seinen schattenkühlen Gründen sah man nicht. Das millionenfache Entstehen und Vergehen der Wesen, die Lebenslust und das Sterbensweh, die warmen Herzschläge und die heißen Kämpfe all um das Leben, das nimmer rastende Ineinanderzittern, Auf- und Niedergehen, wie es in dem Webstuhle des Waldes ist, ununterbrochen bei Tag und Nacht, zu allen Zeiten des Sonnenjahres, wer achtet es?

      Und im Tärn, wer wagt es, verlorener Menschen Treiben zu verfolgen? Die Bäume verhüllten es lange mit ihren wuchtigen Ästen. Trawies war scheinbar der Mittelpunkt, dort wickelte sich scheinbar eine Art von Gemeindeleben an, aber tief in den Wäldern barg sich und wob ein Anderes. Mancher der Alten von Trawies staunte ja, wie sich das von aller Welt herbeiströmende verworfenste Gesindel allmählich von selbst wieder verloren hatte. Sollte es sich zu gut fühlen für Trawies oder sollte es noch Ärgeres suchen?

      Der Tärn war wie ein gothischer Bau gegen den Rundbogenstil der Laubwälder draußen im Lande. Der Tärn war eine dröhnende Orgel im Gegensatze zu den säuselnden Büschen der Niederungen; der Sturm zog daran den Blasebalg. Der Tärn war die Nacht, andere Wälder waren die Dämmerung. Der Tärn bestand zumeist aus Fichten, die nicht von Menschen gepflanzt worden waren, die in wilder Zucht dem Samen ihrer Väter entsprossen auf der braunen Erde standen. Seit Menschengedenken und Sagen hatten die Hochwaldungen des Tärn gestanden; Stürme, Schneebrüche, Waldbrände und Holzfäller vermochten diesem Walde nicht viel anzuhaben; alljährlich schlüpften die rothen Kätzchen und die braunen Zäpfchen hervor aus dem Gezweige, wehte der Fruchtstaub durch das harzige Geäste, flogen die beschwingten Samen nieder in das Moos der Gabelzähne und des Widerthrons, und zwischen den Wurzeln der alten keimten junge, und die morschenden Stöche wurden Wiegen für neue Stämme; hoch oben neben den geknickten Kronen wuchsen frische Wipfelchen und aus jeder Wunde quoll urkräftig neues Leben.

      Mancher vom Sturme hingeworfene Baum, dessen filzige Wurzelscheibe hoch gegen Himmel stand, grünte eine Weile noch fort auf seiner Bahre und wollte nicht eher versterben, als bis er aus seinem bemoosten Körper neue Sprößlinge in heller Jugendfrische erstehen sah. Andere freilich gingen zugrunde an der Fruchtbarkeit ihres eigenen Bodens, sie wurden harzlos, herzlos, kernfaul. Wieder andere Bäume hier waren übermüthig und standen auf Stelzen, als wollten sie hoch über die Nachbarn hinausblicken in die weite Welt. Auf alten Stöcken waren sie gewachsen, und als die Stöcke in eitel Erde zergangen waren, da fehlte ihnen der Boden unter den Füßen und sie standen wie auf gespannten Klauen, und unter dem Wurzelgeflechte durch verfolgte das Wiesel die Eidechse und der Wolf den Fuchs.

      Der Schmarotzer gab es im Tärn übergenug. Der Fichtenblattsauger stach in die zarten Zweige, daß sie Auswüchse bekamen; der Kreuzschnabel biß die Blütenzäpfchen ab, das Eichhörnchen that dasselbe; der Rüsselkäfer zernagte die Rinden junger Sprößlinge, und ein Falter war, der sich in dunklen Habit hüllte, ein gleißendes Thier, die Nonne geheißen, der fraß die grünen Nadeln, daß die Bäume lungensüchtig wurden; der Kieferspinner zehrte in beispiellosem Heißhunger das Genadel der Föhren auf; der war ein gefährlicher Feind und gab, um auch die kommende Generation mit Unheil zu versorgen, gern seine unzähligen Eier in die Stämme ab. Da kam aber die Schlupfwespe und legte ihre Eier in die Raupen der Kieferspinner. Wohl gedieh die Schmetterlingsraupe trotz des nagenden Wurmes im Inneren bis zur Puppe, dann war’s ein Schmetterlingsleib mit einer Wespenseele, der Leib sank bald der Erde zu, die junge Schlupfwespe aber flog lustig empor über die Wipfel der Bäume und die Kiefer war erlöst von ihrem Feinde.

      Wohl gab es Bestände, die vorzeitig von Holzern hingeworfen wurden; sagte ja einmal der Feuerwart das Wort: »Den Bäumen geht es wie den Menschen, in ihren besten Jahren müssen sie aufs Schlachtfeld.« Aber da kam der unsichtbare Säemann, tauchte seine Hand in die Samen und wehte, streute sie hin über die kahle Lände. So säet der Wind. Und der Tärn stand und wucherte in strotzender Kraft auf seinem Granitgrunde fort. Bäume waren darunter mit vielen hundert jahren an Alter, mit vielen hundert Fuß an Höhe, zwei Männer vermochten nicht, sie zu umspannen. Von jenen, die am höchsten standen, waren die verkrüppelten Wipfel und Äste gegen Morgen hin gebogen, daß es stetig zu sehen war, als fahre ein westlicher Sturm in sie. Aber gerade dieselben bogen sich im Sturme nicht, starr und trotzig standen sie aufrecht und in ihren Kronen nistete der Habicht.

      Hie und da stand auch eine Weißtanne, eine freundliche Lärche; aber verwahrlost und wie in der Fremde kümmerten diese Bäume im düsteren Tärn und genossen das Gnadenbrot von den Fichten.

      Es führten wenige Wege durch die Waldung, und selbst zur Zeit der Ordnung war es in derselben keinem der seltenen Wanderer heimlich gewesen. Der Boden war zumeist völlig kahl und nur mit Gefälle, grauem Moosfilz und dürrem Genadel bedeckt, selten war darauf der Ducaten eines Sonnenpunktes zu finden. Dort und da ragte ein grauer Stein, zuweilen das Gerippe eines modernden Strunkes. Fast auf der Höhung des sachten Bergrückens, fern von den pfaden der Menschen, ganz in der Ödniß des Hochwaldschattens stand ein hölzernes Kreuz. Wenige suchten es auf, um davor zu beten, und niemand wußte recht, warum es stand. Das Kreuz trug weder das Bild des Erlösers, noch ein anderes Zeichen; wie es so ragte in der Einsamkeit, wo über Allem schwere Stille lag, oder der Wind brauste oben in den Wipfeln, da war es schier grauenhaft zu schauen.

      Einige meinten, hier sei die Stelle, wo vormaleinst dem heiligen Jäger Eustachius, da derselbe noch ein Heide gewesen, der Hirsch mit dem Crucifix zwischen den Geweihen erschienen sei. Andere behaupteten, das Kreuz sei von selbst aus der Wurzel eines Baumes gesprossen und an Größe und Gestalt genau jenem gleich, an welchem Christus gestorben.

      Wieder andere wußten zu erzählen, diese Kreuz stamme von dem grünen Wolfgang her. Der grüne wolfgang war vor dieser Zeit der Schrecken der Förster gewesen im Tärn; er hatte stets Reiser, Blätter und Blüthen vom grünen Wald an seinen Kleidern getragen, auch sein Hut, sein Rock, seine Strümpfe waren grün, sein Haar und Bart war weiß, sein Ruf war schwarz. Was der grüne Wolfgang war und that, es sah nicht böse aus, und den Wald hegte und pflegte er, wie man ein liebes Kind pflegt. Er lebte selbst wie der Baum im Walde, gar frei und frisch in seinen alten Jahren noch. Aber trotzig war er. Selten stieg er hinab nach Trawies, ging nicht in die Kirche und nicht ins Wirtshaus. Davon kam sein schwarzer Ruf. Sein Haus stand im Walde, sein Mahl holte ihm die Kugel; tausend Ruhekissen waren ihm im Tärn gewachsen. Einst an einem hellen Sommermittage lag er unter dem Zeltdache der Fichten auf sanftem Moose. Die Vögel waren alle verstummt, die Käfer krabbelten träge unter dem Geflechte des Bodens; ein grauer Schmetterling flatterte von Ast zu Ast; der Förster schlief ein.

      Eine Weile schlief er süß und Ameisen liefen fröhlich über seine Beine. Allmählich kam eine Unruhe über ihn, er seufzte und stöhnte, und als er endlich erwachen konnte, da fand er sich in der Kühle der Abenddämmerung. Der Mann erhob sich rasch, blickte beklommen ins schlanke Gestämme, blickte zu den Wipfeln auf und eilte seinem Hause zu. Und bald nach diesem Tage hat er an der Stelle, wo er geschlafen, das Kreuz setzen lassen.

      Der alte Förster lebte hierauf noch eine Weile