Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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fliegen könnten. Herüben können wir nicht bleiben, wenn wir nicht unten am Gestade, auf dem Steingrunde, wo mein Vaterhaus gestanden ist, übernachten wollen. Nach Trawies dürfen wir nicht hinauf, und da, wo wir stehen, können wir uns nicht zu Schlafe legen.«

      Da schlug Sela vor: »Wir könnten zum Hause auf dem Johannesberg emporsteigen.«

      »Ich hasse die Leute,« antwortete Erlefried.

      »Da oben wohnt Dein Vater.«

      »Ich weiß es. Vor meinem Vater fürchte ich mich.«

      Sela schwieg. Sie dachte über das Wort nach, welches ein Sohn hier gesprochen hatte. Er fürchtet sich vor seinem Vater.

      »Mich däucht immer,« sagte Erlefried beklommen und brach sein Wort ab.

      »Was meinst?«

      »Mich däucht, in Trawies gehen Leute um, die sich dem Teufel verschrieben haben.«

      »Um Gotteswillen, Du wirst doch das von Deinem Vater nicht vermeinen!«

      »Wenn ich auch just das nicht sagen will: ich kenne Andere, die für solche Sach’ nicht zu gut sind.«

      »Erlefried,« entgegnete nach einer kleinen Weile das Mädchen, »daß ein Mensch sich dem bösen Feind verschreiben kunnt, ich glaub’ nicht recht d’ran.«

      »Ich glaub’s wohl. Wenn Einer nur will. Aber mit Ernst wollen muß Einer.«

      »Geh, wer wird denn das wollen!«

      »Wer? Leute genug, die es möchten, daß ihnen alles nach Wunsch ginge. Sie selber bringen es nicht zuweg; der Herrgott, gesetzt die Trawieser hätten einen, läßt sich auch nicht allemal brauchen. Sucht halt der Mensch nachher wen Anderen. Wir thäten auch Einen brauchen, der uns über die Trach trüge.«

      »Du hast ein sündhaftes Reden, Erlefried, wir können uns ja einen Steg legen.«

      Das Steglegen wäre ein unbedacht Beginnen gewesen, denn die Trach war noch immer im Wachsen; jetzt kamen erst die Wasser aus den hintersten Hochschluchten des Trasank, sie wälzten Gestein und Erdreich mit sich und manches Geräthe aus Häusern und Scheunen. Aber dort, wo zwei Felsenbänke den Fluß einengen, hatte der Sturm einen alten Lärchenstamm über quer geworfen und das war ein Steg. Das dichte Geäste bildete einen förmlichen Wald auf dem Stege, durch welchen sich die beiden jungen Menschen mit Gefahr und Mühe winden mußten. Sela schmiegte sich mit dem einen Arm an den Jüngling, während dieser sich wacker von Ast zu Ast griff und die Gefährtin zu stützen suchte. Wie lange war jener liebliche Sonnenwendmorgen schon vorbei, da Erlefried sie wie heute über die Trach geführt. Was war das für eine sonnige Stunde, für eine glückliche Zeit gewesen! Aber jenem Sonnenwendtage entkeimte der Dämon, der heute herrscht zu Trawies im Vereine mit den wilden Nächten der Natur, wüst und zerstörend wie die aus dem Hochgebirge niederfahrenden Fluthen, über welche das junge Paar nun schreiten mußte.

      Endlich waren sie am anderen Ufer, und als sie zur Freiwildhöhe hinanstiegen, erzählte Sela von dem Tode ihres Vaters. Erlefried wischte ihr mit seinen schlanken Fingern die Thränen aus den Wimpern. »Ich will Dir Deinen Vater bestatten helfen, so wie Du mit mir warst, da ich meine Mutter begrub. Wir legen ihn im Wald recht tief zur Erde und wälzen Steine auf sein Grab.«

      Sie schwieg. Wie dieser liebe Mensch so lieblos sein kann! Begraben, begraben!

      Dann gingen sie über die Höhe hin.

      Der Himmel war wolkenlos geworden, der Mond schien überaus hell und mild und warf schwarze Schatten, sein Schein war fast warm. Kein Thierchen rauschte in den Zweigen, keines zirpte im Grase. Selbst die Füße der zwei Menschen traten leise auf. Erlefried und Sela gingen nahe beisammen und ihr Schatten war wie ein einziges Wesen mit zwei Häuptern. Erlefried fühlte sein junges Leben.

      »Ich werde Dich nicht verlassen, Sela,« sagte er, »ich werde bei Dir sein in Deinem Hause und Dich hüten, wie Dich Dein Vater gehütet hat, und Dich liebhaben, wie Dich Erlefried bis auf diesen Tag lieb gehabt hat.«

      »Du wirst bei mir sein,« hauchte das Mädchen tief beklommen.

      »Ich werde heute bei Dir sein,« stieß er kurz und scharf heraus, »ich werde nimmer von Dir gehen. Ich werde in alle Ewigkeit bei Dir sein.«

      »Heute nicht,« flüsterte sie.

      »Heute, Sela, heute. Du zündest das Feuer an, ich verschließe das Haus, da gehören wir nicht mehr zu Trawies. Wir fliehen nicht hinaus ins fremde Land, wir fliehen in uns selbst hinein. Wir gehören unser. Sela! Sela!«

      Hastig riß er sie an sich und küßte sie auf die Stirne, auf das Auge; auf den Mund wollte er sie küssen, da preßte sie ihre Hand an seine Lippen und drückte ihn zurück. Er zog sie rasch mit sich fort gegen das Häuschen im Dürrbachgraben.

      Sela ließ sich ziehen. Einmal, zweimal schlug leise eine Ruthe auf ihre Achsel, Zweige der silbern schimmernden Weiden, die auf dem Moorboden standen und dem Paare nachsahen, nachwinkten.

      Erlefried und Sela eilten, liefen, raseten dahin und abwärts durch den Wald, wo es naß war und kühl und wo Schutthaufen von Eiskörnern lagen, und wo in der schwarzen Nacht das Mondlicht tropfenweise hing hoch im Gezweige. Sie sagten nichts, die eilenden Füße waren der einzige Ausdruck ihres Fühlens. Sela sehnte sich nach der Leiche ihres Vaters und empfand Angst, je näher sie der Hütte kamen. Der Jüngling, urplötzlich umfangen von dem Flammenringe leidenschaftlicher Liebe, dachte nicht an den Todten. Fest schlang er den starken Arm um ihre Gestalt, er trug sie fast, ihre Füße berührten kaum die Wurzelstränge und die Steine und die Steine. So glitten sie abwärts und immer vernehmlicher wurde das Rauschen des Dürrbaches.

      Nun waren sie in der Schlucht, und als sie über das Gefälle und Geschütte dahinkletterten und unsicher auf und ab gingen, schauend, forschend, suchend, blieb Sela plötzlich stehen und rief: »Die Hütte ist nicht mehr da!«

      »Wo soll sie sein? Sie wird weiter unten stehen.«

      »Hier, dahier, gegenüber dem großen Stein muß sie stehen. O Gott, da ist ein neuer Berg, Erlefried, Erlefried; die Hütte ist verschüttet!«

      Eine Berglehne war herabgefahren mitsammt Baum und Strauch. Sela warf sich auf den Schutt und wimmernd grub sie mit den Händen die Erde auf, bis sie Erlefried zurückdrängte und die Worte sprach: »Siehe, Gott ist noch in Trawies, er hat Deinen verstorbenen Vater begraben!«

      Dieses mild und sinnig gesprochene Wort des Jünglings öffnete die Schleusen ihres bedrängten Gemüthes, sie weinte heftig. »Gott hat ihn begraben!« Dieser Gedanke that ihr wohl zu solcher Zeit, wo sie davor gezittert hatte, ihren Vater ohne Glockenklang und ohne Segen in die Erde legen zu müssen; wo sie auch gebangt hatte davor, in der finsteren Hütte fortzuleben, sei es allein, sei es mit dem Freunde. Jetzt ist alles vorbei, hier wendet auch ihr Weg.

      Sie haben sich hernach auf den großen Stein gesetzt, der neben dem Wasser des Dürrbaches aufragte und an dessen Flächen zartes Moos wuchs. So saßen sie die Nacht und schauten hin auf den ungeheuren Grabhügel. In Erlefried hatte sich jene Gluth, die in vorhin über Berg und Thal gejagt, aufgelöst in die Wärme der Theilnahme und der Andacht.

      Er wollte zu ihr sprechen, aber sie hörte seine Worte nicht; die wilden Wasser betäubten rauschend ihre Gefühle. Der Mond sank gegen das Gewipfel der Bäume hin und da gingen zwischen demselben die Schlierstreifen des Lichtes, legten Silber auf die Steine und Funken in die Wellen und die Gesichter der beiden Menschen schienen blutlos zu sein. Ein breites Band ging durch die Wipfelscharte nieder auf den Schutthügel, aus welchem in weißen Splittern noch die Strünke frischgebrochener Stämme ragten. Ein geheimnisvolles Wehen ging und der Mondäther verdichtete sich zu blassen Gestalten, die aufwärts und niederwärts stiegen, wie die Engel auf der Jakobsleiter.

      »Sela,« sagte Erlefried und legte sein Haupt an das Köpfchen der Jungfrau, so daß seine langen Locken hinabwallten über ihre Stirn, »Sela, siehst Du, wie jetzt die Altvorderen herabsteigen zu Deinem Vater, der das Ahnfeuer gewartet hat? Jetzt tragen sie ihn auf der lichten Straßen in den Himmel.«

      Als über den blauen Wäldern des Tärn