Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

Читать онлайн.
Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



Скачать книгу

waren sie nicht heiter. Sie verloren im Schnee die Spuren des Weges, sie kamen in ein Gewirr von Steinblöcken hinein. Gabriel – der Alpenkundige sonst – wollte es lange nicht gestehen, daß sie den rechten Weg nicht mehr unter den Füßen hätten. Die Gesponsin sagte: »Mein Liebster du, setzen wir uns hier auf diesen Stein zur Rast; dann kehren wir um und bleiben wohlgemut.«

      So taten sie, stiegen dann in eine Schlucht hinab, in der sie die bestimmte Richtung des Pfades zu finden hofften.

      Sie gingen eine Weile die Schlucht hinaus und hatten zur Rechten und zur Linken schauderhaft wilde Wände, an denen sich kein Schnee hielt und keine Gemse, an denen nur zwei Wanderer emporzuklettern vermochten: das Auge und der Gedanke.

      Endlich standen unsere zwei Wanderer still und blickten sich an. Die Schlucht mündete in einen Abgrund aus. Am Felsen, wo sie standen, prangte eine Holztafel: »Hier ist Martin Scheiter auf der Gemsjagd durch einen Sturz verunglückt. Nach vier Tagen konnte sein zerschmetterter Leichnam aus der Tiefe gehoben werden.« –

      »Keine Bitte um ein Vaterunser«, sagte Gabriel.

      »Hier geht kein Weg vorüber,« sagte Anna, »wer soll hier denn beten?«

      Gabriel schwieg. Er glaubte in ihrem Worte einen Vorwurf zu hören.

      Anna blickte ihn lange an, schlich dann ganz nahe an seine Seite und hauchte: »Bist du mir böse?«

      »Du mir diese Frage!« rief Gabriel, sie stürmisch an seine Brust drückend. »Ja,« setzte er kleinlaut bei, »Martin Scheiter ist der beste Kletterer in der Gegend gewesen.«

      Sie setzte sich auf eine Felsbank; sie milderte das Stoßen ihres Atems und wollte nicht zeigen, wie sehr sie erschöpft war. Endlich legte sie ihre zarte Hand in die seine und flüsterte: »Ich möchte wohl gern noch ein wenig leben.«

      Vor die Sonne hatten sich Wolkenbänke geschoben; über das Riff nieder fegte ein scharfer Wind.

      Gabriel versicherte, daß ihm warm wäre, und er legte sein Reisetuch doppelt über ihre Schultern.

      Ein Steinfalke schoß über sie hin; sonst war Ödnis.

      Gabriel fühlte eine unermeßliche Wucht auf seinem Herzen, da er die zarte Pflanze betrachtete, die ihm, dem Bergsohne vertrauend, hier im Gesteine atmete.

      Plötzlich gellte schlagartig, ohne allen Nachhall, ein Schuß in der Schlucht. Erschreckt fuhr Anna empor, wendete ihr Gesicht gegen die Richtung hin und schrie: »Jesusmaria, da unten steht er!« Und schon lachend, setzte sie hinzu: »Der leibhaftige Schwarze!«

      »Na, der fehlt uns gerade noch«, sagte Gabriel. Und siehe, dort hinter den Felsblöcken – eine wüste Gestalt mit kohlschwarzem Antlitz, in welchem ein paar Augen funkelten. Da sie aber einen Kugelstutzen in der Hand trug und einer gestürzten Gemse zuhastete, so sagte Gabriel: »Der Teufel, Gott Dank, ist das dieweilen noch nicht, aber ein mit Ruß bestrichener Wildschütze.«

      Kaum dieser Unterricht gegeben, waren sie von dem Manne bemerkt worden. Im ersten Augenblick machte er Miene zu fliehen; im zweiten wendete er sich mit einigen Schritten gegen das Paar und rief mit heiserer Stimme: »Wollt' der Herr und die schöne Frau so gut sein und dem Jäger sagen, ich wäre hier den Berg hinaufgesprungen. Er ist gleich da. Gelt, der Herr und die Frau wollt' so gut sein ...?« faßte die noch zuckende Gemse über die Achsel und sprang damit, daß es in den Felsen klang, von Zacke zu Zacke, das Gewände hinab gegen die Tiefe.

      Solange sie ihn springen sah, hielt Anna den Atem an, und als er im Geschütte verschwand, hob sich ihre Brust, als wäre mit dem Wilderer auch sie selber gerettet. Die tote Gemse hatte sie freilich auch bedauert, aber in einem der »Waldlieder« hieß es:

      Manch Tierlein bringt der Hunger um.

       Der Hunger des schleichenden Schützen ...

      Und wie der Schütze berechnet: schon stand der Jäger mit Weidtasche, Griesbeil da und hielt den Finger an das Schloß des Gewehres.

      Auf die Bitte des jungen Paares wies er ihm kurz einen Steig, der zwischen den scheinbar zusammengewachsenen Wänden durch in die Niederung der Matten führen sollte. Dann fragte er hastig, ob nicht ein Schuß gehört und ein Wildschütze gesehen worden wäre, und welche Richtung dieser eingeschlagen hätte. – Gabriel hob schon den Arm, um durch die Andeutung der Gegend dem Wilderer die strafende Gerechtigkeit nachzuschicken. Doch stieß ihn Anna mit dem Ellbogen in die Seite, just an die Herzrippe hin, und wieder wach wurde sein eigenes Lied: »Vom Hunger des schleichenden Schützen.«

      »Ein Wilderer wäre der Mann gewesen?« antwortete Gabriel dem Jäger mit dreist unbefangener Miene, »nun, der ist da den Berg hinaufgestiegen.«

      »Schön Dank!« entgegnete der Weidmann und eilte flink die steinige Lehne hinan, und Anna – sonst abhold allem Bösen – freute sich, den Mann mit der erlegten Gemse gerettet zu haben.

      Aber für einen Augenblick kam nachher doch das böse Gewissen: »Er hat uns den rechten Weg gezeigt, und wir haben ihn angelogen!«

      Sie hatten dann noch arge Wege zu wandeln, über scharfes Gestein und loses Gerölle, durch fließigen Firn, ferner unter Baumgefälle hin, das der Sturm gerissen hatte. Anna, die sich so sehr auf die Alpenfahrt gefreut hatte, blutete an Händen und Füßen. Ihr junges Herzchen aber war lustig und froh und jauchzte, als sie in der Abenddämmerung den Fensterschein einer Hütte sah. Eine Hütte auf der stillen Matte; da wollten sie einkehren und das süße reine Glück des hellenischen Arkadiens in vollen Zügen trinken.

      Anna trat mit schalkhafter Entschlossenheit zuerst in das Haus, doch blieb sie in der Tür und der fröhliche Gruß ihr in der Kehle stecken. Sprachlos wendete sie sich ihrem Gatten zu.

      Der Schein, welcher die Nahenden durch die Fenster gegrüßt hatte, kam von einem Öllicht, das in einem Wasserglase flackerte. Es stand an der Wandbank, zu Häupten eines toten Menschen. Und daneben der schwarze Mann von unten.

      Gabriel wollte sich wenden, da schritt schon der Schwarze gegen die Tür und sagte: »Tu sich die Herrschaft nicht schrecken. Wir haben uns oben schon gesehen. Ihr tut mir nichts, gelt?«

      Es war in diesen Worten etwas Anheimelndes; was sollten sie auch sonst zur nächtlichen Weile, als in der Hütte bleiben?

      »Redlich wahr,« sagte der Schwarze, während er bestrebt war, den Ruß vom Angesichte zu waschen, »mich tut's gefreuen, daß ich Unterstand und klein Ding Warmes bieten kann. Hätt' mich der Jäger ertappt, kunnt morgen der Ehemann seinem Weib nicht zum Grab mitgehen. Hannerl, mach' ein Essen!«

      Jetzt trat aus der Nebenkammer ein halberwachsenes, verstört aussehendes Mädchen. Es hatte blutige Hände, es war mit der Gemse beschäftigt gewesen. Nun machte es ein Herdfeuer an.

      »Ist die Tochter, das,« stellte sie der Mann vor, »sie ist dabei gewesen. – Hannerl, das Mehl ist im Mehlschrank und nicht in der Salzbutten. – Mein Gott, sie hat soviel den Kopf verloren. Eine schauderhafte Sach' ist's gewesen. Wer wollt' so was glauben!«

      Dem jungen Paare wurde bang. Es atmete sich schwer. Anna ließ Gabriels Hand nicht einen Augenblick los. Das war kein hellenisches Arkadien.

      »Ist Euer Weib?« fragte Gabriel den geschwärzten Älpler, »ist wohl schon eine betagte Frau gewesen?«

      »An ihren Tagen ist sie nicht gestorben«, antwortete der Mann, an dem mittlerweile aus der Schwärze ein gutmütiges Gesicht hervorgekommen war. – »Hell erfroren ist sie uns ...«

      Das Herdfeuer verlieh dem Antlitz der Toten noch einmal den Schein des Lebens.

      »Haben ihr abgeraten,« fuhr der Alpler fort, »bei dem groben Wetter auf den Sattel zu gehen. – Speik wollt' sie haben und so Zeug mehr; ist mit dem Korb davon. Das Hannnerl geht mit ihr; allzwei im Sommergewand – 's ist eine Leichtsinnigkeit gewesen, gar nichts anders, der Pfarrer sagt's auch. – Tu die Herrschaft jetzt was essen. Gott gesegne! Wie schaut sie denn aus heut', die Suppen?«

      Freilich war die Suppe nicht in Ordnung. Anstatt Salz ein Löffel voll Asche war hineingeworfen worden.

      »Mar und Joseph!« murmelte