Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Halm an, und willst du es tun, so hält sie dir den Arm zurück; und willst du dir den kunstvollen Bau des Nestes besehen, so breitet sie ihre Hände darüber aus. Du bist allzu gierig. – Himbeer- und Brombeergesträuche hat seine Dornen und Hecken; da bleibt sie wohl bisweilen hängen mit ihrem luftigen Kleid. Je mehr sie sich wendet und bückt, um sich zu erlösen, je vielfältiger wird sie umstrickt. Du befreiest sie gern, bist aber nicht uneigennützig genug, um auf den Sold zu verzichten, den du dir in baren Küssen holst. Muß sie denn alles zahlen und alles geben? Schon am ersten Tage? – Was soll sie morgen für dich haben und im nächsten Jahr und in aller Zukunft? – Du fragst heute nicht, mein Freund, und ich antworte dir doch. Heute beglückt dich ihrer Liebe zitternde Ergebung, morgen berauscht dich ihrer Liebe Glut, aufs Jahr beseelt dich ihr Mutterglück und ihr Opferwille, in aller Zukunft bleibt dir ihre Treue: sie lebt für dich, sie duldet für dich, sie stirbt für dich. Du liebst sie, weil sie deine Lust ist, sie liebt dich, weil sie für dich leiden wird. Welche Schätze, um dich zu beschenken dein Lebtag lang!

      Weiterhin in der Sonne wächst das immerblühende Kraut der Eriken; des Waldes Lorbeer, die edle Pflanze der Preiselbeere glänzt darunter. Dazwischen wiegen die goldfarbigen Liebfrauenschühlein, an denen die Hummeln und Bienen gern Honig sammeln. So mag es sich ja zutragen, daß auch ihr euch einmal in das Kraut der Eriken und Preiselbeeren legt und der Sonne volles Anrecht laßt auf eure Glieder. Ameisen rieseln geschäftig über eure Kleider hin, kleine und große Schmetterlinge gaukeln vor euren Augen, einer ist dabei, der will sich ins Lockenmeer des jungen Weibes setzen – aber du jagst ihn fort.

      Arg drohen euch die Tiere in ihr Bereich zu ziehen. Ihr ruht auf einem Wald im kleinen, auf einer Welt im kleinen; in ihren Schattentiefen weben andere Wesen, die sind jung, da ihr euch niederlasset, und sind alt, bis ihr euch erhebt. Während einer einzigen Spanne eures süßen Lebens haben die da unten im Heidekraut und im Gemoose geworben, geliebt, gelitten und gestritten. Idealisten sind darunter, die streben höheren Welten, vollkommeneren Wesen zu und kommen – zu euch herauf. An deiner Stirnlocke sehe ich eine junge Kreuzspinne sitzen. Sie blickt mit ihren vielen Augen hinüber zu deiner Liebsten, sie möchte gern drüben sein, aber es ist keine Brücke gezogen ... Soll sie doch warten, bis ihr selbst die Brücke baut und eure Häupter sich innig nahen? Sie will vorlang nicht müßig sein; sie spinnt einen Faden so fein, so unsichtbar wie die Ahnung der Jungfrau. Ein Lufthauch weht und trägt den Faden hinüber ins zarte Gelock deiner Gesponsin, und nun ist die fliegende Brücke vollendet. Du schaust der Liebsten unersättlich in das Auge. In deiner Brust wehen die Schauer des vollsten Lebens, mit den Lippen begehrst du zu küssen, mit den Armen ihren weißen Nacken zu umwinden. Jetzt gewahrt sie auf dem fliegenden Faden hastig die Kreuzspinne nahen – entsetzt springt sie auf – lachend eilt sie über das Heidekraut.

      »Ach, Kind,« sagst du, »hättest sie gewähren lassen, sie hätte uns neu verbunden und verflochten, sie hätte uns wieder eingewebt in ihren seligen Schleier!«

      Ihr seid der Erde und verschmäht den Himmel: so verhüllen euch der Bäume Kronen sein Blau, das nur die Sehnsucht mißt. Auch eure Sehnsucht hat alle blauen Himmel durchmessen und hat – zur Erde wiedergelehrt – ihr Ziel gefunden.

      Die Rinden des Gestämmes sind gerissen, durchfurcht und durchgraben, das sieht aus wie eine Geheimschrift. Kannst du sie lesen? Euer Morgen mag hier aufgeschrieben sein, eure Zukunft. »Ewig vereinigt, ewig beisammen!« so jauchzt ihr heut' in Hymnen; aber einst kann ein Tag sein, da eins von euch beiden allein die Pfade wandelt – weinend oder froh! Oh, geht rasch vorbei an diesen geheimnisvollen Zeichen! – Seht, dort grast ein Reh. Es sieht euch wohl, aber flieht euch nicht, es weiß, ein Mensch an diesem Tage tötet nicht. Ihr seid des Lebens Frucht und seid des Lebens Keim, ihr seid heute das Herz der Welt ...

      Bis ihr den Weg nach dem heimatlichen Dach antretet, dämmert es. Leuchtwürmchen funkeln euch entgegen; dein liebes, großes Kind verbirgt davor die Hände, weil es glaubt, die fliegenden Funken könnten brennen. Bald aber wird sie kühn, fängt einen der strahlenden Käfer ein, stellt ihn fürsorglich auf die Spitze ihres Zeigefingers und leuchtet dir mit solcher Kerze in das Gesicht. Bei diesem Lichte lugt ihr euch nächtlicherweile in die Augen.

      Nach Hause gekommen, könntet ihr beobachten, wie eine verzweifelte Köchin die Hände über den Kopf zusammenschlägt. Die Brühe veraltet, der Braten verdorben, der Pudding vertrocknet! Leichtfertiges Volk, ihr habt das Mittagsbrot vergessen! – Ein schuldlos Huhn muß alles bezahlen, ihm kostet dieser Abend das Leben. Um so fröhlicher lodert das eure auf. Rheinwein! Ein kleines Glas. Ihr stoßet an: diese Kelche sind noch gut zu leeren. Euer Wohl! ...

      Und soll ich euch weiterbegleiten? ... Ah, du winkest! – Gute Nacht!

      Zu wem Gabriel all das wohl gesprochen hat? – Er sagte es zu einer Stunde, da er mit sich allein war.

      Ein Schatten im sonnigen Tag

       Inhaltsverzeichnis

      Vom Jagdhause aufwärts hinter den Hochleutlehnen ist ein kühler Grund, in welchen sieben Schluchten ausmünden. Jede dieser Schluchten bringt ein leise rieselndes oder laut rauschendes Wildbächlein mit sich. Drei dieser Wässer bilden Fälle über terrassenförmiges Gewände; das Plätschern und Sausen davon ist weithin zu hören, und Wasserstaub durchweht den Tann, so daß an den Nadeln immer regenbogenfarbige Perlen hängen. In der Talung, wo diese sieben Bäche zusammenrinnen, liegt ein See, der Stern geheißen. Die Umgebung des Sees ist teils schwarzer Hochwald mit vom Wurm getöteten Stämmen, die allen Ausweg versperren, teils steiniges Gehänge, an welches sich wildes Rosengehege und anderes Laubwerk emporwindet. Darüber herein leuchtet an freundlichen Tagen die Sonne auf den See, von dem keine Farbe anzugeben ist, weil er alle besitzt vom lichtesten Blau an bis ins dunkelste Grün – je nach der Stimmung des Himmels, je nach der Tageszeit, je nach seiner Tiefe. An den Ufern hin schimmern eine Weile noch die grünlichen Steine. Weiterhin ist von den wenigen Waldleuten, die zu seltenen Zeiten hierherkamen, der Grund nicht entdeckt worden.

      Es ist ein gar versteckter Ort, der nur auf einem einzigen, durch sträubende Büsche und zwischen Felsblöcke sich schlingenden Fußsteig erreichbar ist. Der Abfluß geht durch eine zerrissene Kluft und gurgelt hinab in die Tiefe.

      Diesen See suchte unser junges Paar gern auf, wenn es von seinen Ausflügen an der Hochleut niederstieg. Ein kleiner grüner Rasenplatz am Ufer, ganz mit bemoosten Felsblöcken und blühenden Dornbüschen umfriedet, war ausschließlich Annens Eigentum. Hierher durfte ihr Gabriel nicht folgen, denn hier stieg Anna in die blaue Flut.

      Gabriel hatte sich einen anderen Winkel des Sternes ausgewählt, und zwar in der Nähe eines Wasserfalles, der, ein schimmernder Schleier, von der Wand in den See stürzte und so den schönen, glatten Spiegel in einem weiten Kranze hin erregte. Hier schleuderte der junge Mann in übermütiger Lust Stück für Stück der Kleider von sich, und als er frei war von all den gewobenen, gewundenen Fäden, die ihn noch mit der Kultur verbunden hatten, sprang er in den Schleier des Wasserfalles hinein oder stürzte sich kopfüber in die Wellen. – Gut, daß ihn Anna nicht sehen konnte, ihr wäre bange geworden, denn die Flut, die sich über dem lust- und lebendurchglühten Menschenkörper geschlossen, tat sich nicht mehr auf; und immer stürzten die Bänder des Falles nieder, und weithin zitterte der See – aber der Badende tauchte hier nicht mehr empor.

      Der gewandte Schwimmer strebte einer Wassernixe zu ... und war ihm schon verboten, die Einsamkeit des Rosengestades zu verletzen, so tauchte er doch im Wasser plötzlich neben seinem plätschernden Weibchen auf; und Anna saß in der Flut und suchte den Eindringling durch Wellengischten zu verscheuchen. –

      Eines Tages rüsteten sie sich zu einer Partie in die Wildschroffen.

      Selbstverständlich suchten sie die allereinsamsten Wege auf. Ihre Liebe beleuchtete die Felsen; sie sahen Alpenglühen, auch wenn die Pelze der Nebel sich über die Berge schmiegten.

      Es war im Gebirge tagelanges Unwetter gelegen, nun es sich löste, leuchtete auf den Höhen der Schnee. Züge von Herden trachteten niederwärts; unser Pärchen stieg rüstig und lustig bergan – dem Himmel näher, den Himmel im Herzen.

      Als