Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Jetzt ließ sie das Geschirr fallen und suchte die Kinder zu sammeln, die teils in bloßen Hemdchen zwischen den Rädern der Wasserwagen und Möbelfuhren umhertaumelten, und führte und trug sie hinaus in einen Baumgarten, über dessen Kronen und Lauben selbst noch die Funken hinflogen.

      Die Leute warfen ihre Habe zu den Fenstern hinaus und ließen sie im Hofe verbrennen. Die Haustiere wurden aus den Ställen gejagt und liefen mitten ins Feuer hinein. Endlich war es des erstickenden Qualmes wegen nicht mehr möglich, die Löscharbeiten fortzusetzen: und nur die noch gänzlich verschont stehenden Dächer begoß man mit Wasser. Die Turmglocken hatten aufgehört zu klagen, denn der Mesner suchte seine kleine Habe zu retten.

      Der Himmel war rein, so verkündeten es der Gegend keine glühenden Wolken, was vorging zu Karnstein. Nur die Röte des aufsteigenden Rauches schreckte die Nachbarsorte auf. Bis jedoch die Leute herbeizueilen vermochten, war's zu spät, da leckten aus Mangel an Nahrung die Flammen zumeist nur mehr auf den Aschenstätten, zwischen Ofenmauern und Herdstellen der niedergebrannten Gebäude. Ein Wald von rostbraunen Schornsteinen ragte noch auf über den träge rauchenden Schutt. Von der Kirche war ein Teil des Daches herabgebrannt. Der gemauerte Pfarrhof hatte nur etliche Fensterscheiben eingebüßt; er und noch wenige abseits stehende Häuschen waren verschont geblieben – als Rest von Karnstein.

      Schier größer noch als der Schreck und Schmerz der Verunglückten, war Ferdinands Angst um sein Mädchen. Es war ihm abhanden gekommen; ein stürzender Balken konnte es begraben, ein scheues Rind niedergestoßen, das Gewässer konnte es mit fortgerissen haben in den Fluß. Weinend lief er durch Rauch und Wirrnis, laut verwünschte er diese Fahrt in die Einödwälder; schon hastete er dem Bahnhofe zu, um an das Haus Mildau zu telegraphieren: Unglück über Unglück! Kommet doch alle, unser Annchen zu suchen! – da wiesen ihm Kinder ihre Spur.

      Anna hatte während der Schrecknis die Kinder im Baumgarten bewacht. Mit ihrer eigenen Joppe hatte sie eines der halbnackten Würmer bedeckt, andere auf ihren Schoß gehoben. Mit freundlichen Worten und lächelnd und kosend und Märchen erzählend und Lieder trillernd, suchte sie die Kleinen zu beruhigen. Bei dem Schein des durch das Gestämme herstrahlenden Brandes leerte sie die Taschen ihrer Kleider vor den Kindern aus, um sie zu zerstreuen, bot ihre Sackuhr, nahm ihr goldenes Kreuz vom Halse ihnen zum Spielzeug. Dabei zitterte sie selbst vor Frost und Angst, und still betend hielt sie die Hände zusammen.

      Die Menschen hasteten irr und dumpf klagend umher, und jeder dachte sich, der Unglücklichste zu sein von allen.

      Da war plötzlich neue Aufregung. »Verunglückt ist einer!« hieß es. »Heidepeters Gabriel ist verunglückt!« flog's von Mund zu Mund. – Gabriel, der Waldsing! – Auch Anna vernahm bald die Kunde, da verging ihr schier Hören und Sehen. Seit Stunden hatte sie kaum mehr an den Waldsänger gedacht; der Förster, die wüste Nacht hatten sie seltsam genug zerstreut. Um so greller schlug die Nachricht an ihr Herz. Der Mann, dessen Namen sie so verehrte, dessen Heimat sie mit der Stimmung und Andacht einer Wallfahrerin besucht hatte – er in der Nähe? Und verunglückt?! –

      »Bei der Rettung eines Kindes hat ihn ein stürzender Dachdrämling getroffen!«

      Anna hatte keine Gedanken mehr, sie eilte fort, um etwa helfen zu können. Weinend und schreiend zappelten ihr die Kleinen nach, hingen sich an ihr Kleid; so konnte sie die Kinder nicht verlassen. Jedem Vorüberstürzenden rief sie die Frage zu: »Ist's denn wahr? Ist's gefährlich?« Aber ihre Stimme war allzu verzagt, sie erhielt keine Antwort. Erst als einige Weiber kamen und mit Freudentränen ihre Kinder unter der Hut der fremden Jungfrau fanden, da ging Anna und suchte den Verunglückten.

      Über den Wäldern her schimmerte schon das Morgenrot. Über den Kornfeldern wirbelten die Lerchen.

      Abseits von den rauchenden Stätten, unter einem Apfelbaum, standen Leute in einer Gruppe. Auf dem taunassen Rasen lag er.

      Die Stirnwunde war mit einem weißen Tuch verbunden, an den braunen versengten Locken zitterten etliche Blutstropfen. Die Augen hatte der Verwundete halb geschlossen, in seinem Antlitz spielte es nicht wie Schmerz, eher wie Behagen. – Es werde bald gut sein, meinte er, man möge ihn nur ein wenig ruhen lassen auf dem Rasen.

      Als Anna diesen jungen Mann – Gabriel Stammer genannt von allen Seiten – hier liegen sah, sprang über ihre Lippen ein kurzer Laut – ein einziger nur, dann verdeckte sie ihr Angesicht mit den Händen.

      Der Verwundete war – der Förster, an dessen Arm sie gestern durch die Wälder gegangen. Und dieser Förster war Gabriel.

      Als der im Grase Ruhende das Mädchen sah, streckte er nach ihm die Hand aus: »Nicht wahr, Anna Mildau, Sie haben es bös' getroffen in Karnstein!«

      Sie stand ganz unbeweglich und sprachlos da. Eine große Träne im Auge. Sie reichte ihm nicht die Hand.

      »Sie müssen mir«, fuhr der Verwundete fort, »die Unaufrichtigkeit von gestern nicht übel deuten.«

      Anna schwieg.

      »Wenn Sie böse wären, das täte mir weh...« Er brach ab und schlug sein Auge bittend zu dem Mädchen auf.

      Anna schluchzte nicht und zitterte nicht mehr. Mit einem wunderbar seltsamen Blick – mit einem Blick voll unbeschreiblicher Milde und Reinheit – beugte sie sich über den Mann mit der Stirnwunde.

      In diesem Augenblick kam laut weinend ein Weib herbeigestürzt – die Mutter des von Gabriel geretteten Kindes.

      »Maria und Joseph!« rief sie, die Hände faltend, »da liegt er. O du mein Herrgott im Himmel, lass' ihn nicht versterben, lass' ihn leben, gib ihm deinen Segen! Er hat mir mein Kind aus dem Feuer getragen.«

      »Wie hat sich's begeben?« fragten mehrere Stimmen.

      »Das weiß der Herr Christus, ich nicht!« rief das Weib. »Mit dem Nachtwächter hab' ich zu reden; wo ist er denn? Das zerspringende Fenster hat mich erst aus dem Schlaf wecken müssen. Auf die Gasse gesprungen bin ich im ersten Schreck; und wie ich wieder zurück will in die Dachkammer, da brennt das Haus, und was ich um und um lauf' in der Angst, und was ich mir die Knochen an die Wand renn', ich hab' euch im Rauch die Stiege nicht mehr gefunden. Herr und mein Heiland, das Kind höre ich schreien oben bei den prasselnden Flammen – – weiter hab' ich nichts mehr gehört und gesehen!«

      »Das glaub' ich wohl,« sagte einer der Umstehenden, »weil du auf den Erdboden gefallen und liegengeblieben bist wie ein Block. 's ist viel Geschrei gewesen ums Haus herum, wer kann in die Dachkammer, wenn die Stiege brennt? Im Fenster steht ein eisern' Gatter, es winseln schon die Flammen hinein. – Wer kann dafür! schreit noch der Kirchenschneider, lange wird's nicht leiden, das arme Geschöpf, 's ist bald vorbei.«

      »Ein sauberer Trost!« riefen mehrere.

      »Heiliges Kreuz, wie haben die Leute geschrien, da jetzt auf einmal der Heidepetersohn auf dem Dach steht und die Bretter aufreißt, daß es kracht und im Rauch die Splitter stiegen. Ich hab's gesehen, er steigt hinein in die wilde Höllen. Und nachher – wir sehen nichts – hören auch das Kind nicht mehr. Das Dach lodert in Glut über und über. – Hin ist er! Hin ist er! hat alles geschrien, da taumelt er unten zur Tür heraus – mit dem Kinde – mit dem lebendigen Kinde. – 's wär' alles glückselig gewesen – da stürzt euch der Dachstuhl ein, und ein sprühender Balken saust dem Gabriel an das Haupt.«

      »Du lieber, du goldener Herr!« rief das Weib wieder und kniete vor dem Verunglückten auf die Erde und wollte nicht aufhören, seine Hände und die blutige Binde seiner Stirn zu küssen.

      Gabriel richtete sich mit Hilfe des Mädchens ein wenig empor und sagte: »Da geht's ja gerade zu wie in einer Komödie! – Ein wenig schlafen möcht' ich jetzt.« Die barmherzige Schwester

      In einem Stübchen des Pfarrhofes schlief der Waldsing.

      An seinem Lager saß Anna Mildau. Sonst niemand war um ihn in der Verwirrung und Not des Ortes.

      Ferdinand mochte wollen oder nicht, er mußte an diesem Tage noch den Rauch und Brandgeruch von Karnstein atmen. – »Na, das ist just wieder einmal das Rechte für sie,« brummte er, »jetzt hat sie ihren Waldsing, und krank ist er noch dazu. Nicht im Traum könnt' sie's besser