Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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um etwas zu sagen, freundlich an.

      »Hab' nicht die Zeit«, war ihre Antwort. »Wenn die Herrenleut' aber einen Kameraden haben wollen, just vor ein Fingerlang ist – glaub', er wird's gewesen sein – der Förster des Weges gegangen. Kann nicht mehr als drei Büchsenschuß voraus sein.«

      »Na, den Mann werden wir einholen. Guten Tag, Muhme!« Sie schritten fürbaß.

      Sie gingen eine lange Strecke durch Schatten, zuweilen ein goldiges Sonnenbändchen überschreitend, das quer über dem Wege lag.

      Der Wanderer versteht die Zeichen nicht zu lesen, die in weihevollen Stunden seinen Pfad umgaukeln, arglos schreitet er der Erfüllung entgegen.

      Sie kamen auf einen kleinen, von sehr hohen Tannen und Lärchen umstandenen Anger. Auf dem Grase stand das Maßlieb mit seinen schneeweißen und rosenroten Blättchen. Grüngliedrige Heupferdlein schnellten keck darüber hin, an den Baumkronen schwamm ein weißer Schmetterling wie die losgelöste Blüte eines Schlehdornes.

      Am Rande dieses Angers – über welchen die durch das Gestämme funkelnde Sonne einige Strahlenlinien goß – weilte eine Mannesgestalt. Sie kauerte auf dem schattigen Grunde und bewegte sich kaum. Der so Ruhende war auf das rechte Knie niedergelassen, stützte seinen vorgebeugten Oberkörper auf den linken Fuß und hatte sein Gesicht zur Erde gekehrt. – Unsere Wanderer mußten ganz nahe an ihm vorüber und konnten ihn wohl beobachten. Er war in dunkelgrauer Kleidung, die Lodenjacke war mit grünem Tuch besäumt. Ein Bergstock und ein Alpenhut lagen im Grase. Die braunen Locken des Mannes waren wirr und dicht; das jugendliche Antlitz war etwas gebräunt und im Augenblick gerötet; auch war es durch ein leichtes Bärtchen beschattet. Dem schier mattgetragenen Anzuge nach hätte man die Erscheinung wohl für einen Holzschläger oder Hirtenburschen halten mögen, jedoch der feinere Wollkragen am Hals deutete mindestens auf einen Förster oder dergleichen hin.

      Er bemerkte die beiden Wanderer, die leise den Moosweg herankamen, nicht; er war in ein sonderbares Geschäft vertieft. Aus dem Grase wuchs ein verspätetes Veilchen hervor, das seinen zarten Kelch noch nicht geöffnet hatte. »Dir ist ja kühl im Walde,« flüsterte der junge Mann wie scherzend dem Blümchen zu, »die Sonne sucht dich nicht und findet dich nicht. Halte einmal, vielleicht geht es so.« Und er beugte sich über das Pflänzchen und suchte mit der Wärme seines Atemhauches den Kelch des Veilchens zur Entfaltung zu bringen. Schon deuchte ihn, das Knöspchen wolle sich zu lösen beginnen, da hörte er die Schritte.

      Er erhob sich und stand vor dem grauen Alten und vor dem jungen Mädchen mit dem häßlichen Hut. Der Alte neigte lächelnd seinen Kopf zum Gruße; das Mädchen tat sein großes helles Auge gegen ihn auf – dann wollte es an ihm vorübergehen.

      »Gar nicht ein bißchen müde?« sagte der junge Mann.

      Da meinte Ferdinand in seiner Leutseligkeit, sie könnten sich ja wohl ein wenig auf das Gras niederlassen. Er tat es und reckte bald alle viere von sich. Anna blieb stehen und blickte einer Ameise zu, die – gewiß den seltsamsten Weg ihres Lebens – über der Städterin weiches Samtschühlein lief.

      »Mein Fräulein!« sagte der junge Mann, sich artig verbeugend, »am Ende haben Sie mich belauscht, als ich vorhin den Frühling spielte; dieses herzige Blümel wollte ich entfalten« – er pflückte das Veilchen –, »aber ich merke wohl, ich bin nicht zum Schöpfer geboren. Vielleicht behagt es der kleinen Blume bei Ihnen besser, wenn sie angenommen würde?«

      Er hielt ihr zierlich mit zwei Fingern das Pflänzchen hin. Sie wollte nach demselben greifen, aber ihre Hand und ihre Augenlider sanken.

      »Ich bitte!« versetzte der Fremde kühn, »oder denken Sie, für Blumen gehöre ein Körbchen?«

      Anna nahm das Veilchen.

      Ferdinand war davon so überrascht, daß er wie eine Bildsäule dastand.

      Dieser kecke Bursche da mit seiner sonderbaren Anrede! Und dieses sonst so spröde Mädchen!

      »Ich habe gemeint, Sie wären ein Jägersmann oder dergleichen,« sprach er mit unverhohlener Neugierde, »aber Sie tun mir viel zuviel mit Blumen um.«

      »Warum just ein Jägersmann? Sehe ich denn so mörderisch aus?« lachte der andere, »fiele es Ihnen nicht gescheiter ein, daß ich ein Waldgärtner wäre, der die Wesen lieber belebe als sie töte?«

      »Der Herr Förster also!« sagte der Graue und rückte mit Respekt sein Hütchen.

      Der Förster denn wendete sich wieder zum Mädchen: »Es scheint zwar, als treibe die zarte Touristin sich noch nicht lange in den Wildnissen um, und doch macht sie schon die Waldmode mit.«

      Er deutete auf den alten Wetterhut.

      Jetzt hatte Anna Mut bekommen. – Der will sich lustig machen über den Hut?

      »Sie mögen vielleicht keinen solchen Hut haben, Herr Förster,« sagte sie, dem Manne ins Gesicht blickend, »das ist der Hut des ...« Sie sprach's nicht aus.

      »Haben ihn auch auf redlichem Wege erworben,« warf Ferdinand halb scherzend ein, »wir sind eigens von der Stadt gekommen und haben das Heidehaus besucht, wo der Sänger von den – den –«

      »Waldliedern«, ergänzte Anna.

      »Geboren worden ist –«, schloß der Alte.

      Sie machten sich wieder auf den Weg. Der Waldgärtner bat mit leichter Höflichkeit, sich anschließen zu dürfen. Er schritt neben dem Mädchen her. Sein Benehmen war offen, heiter und unbefangen, und bald waren sie zusammen durch ein fröhliches Gespräch verwebt.

      »Sie wären wirklich des alten Heidehauses wegen den weiten Weg von der Hauptstadt in die Einöde gekommen?« fragte der Förster. – »Ja«, sagte das Mädchen.

      »Sie sind wohl die einzigen zwei, die auf solchen Einfall kamen. Sind Sie mit Ihrer Berg- und Waldfahrt auch zufrieden?«

      »Oh, sehr zufrieden,« antwortete Anna, »nur habe ich nach allem, was ich über die Einödwälder gelesen, mir diese Gegend anders vorgestellt.«

      »Haben Sie denn so vieles über diesen Wald gelesen?«

      »Sie kennen gewiß alles, Herr Förster, was Gabriel Stammer darüber geschrieben hat; Sie singen doch auch seine Waldlieder?«

      »Die Sachen sind mir nicht unbekannt,« versetzte der junge Mann, »doch, mein Fräulein, wer im Walde lebt wie ich, und seinem verborgensten Weben und Walten zu lauschen Gelegenheit hat, und wer seine Lieblichkeiten, seine Gewalt, seine Schrecknisse im Laufe der Jahreszeiten erfährt, den können die Waldlieder nicht befriedigen. In den Liedern kommen doch nur Stimmungen des Poeten mittelbar zum Ausdruck; ich ziehe es vor, mir die Stimmung und Schönheit gleich aus erster Hand der Natur zu holen.«

      Gelassen sagte Ferdinand: »'s ist die alte Geschichte. Der Prophet wird in seinem Vaterlande nicht geachtet.«

      Anna fühlte sich seltsam verletzt, daß der Förster ihre Begeisterung für den Lieblingssänger nicht teilte. Es war ihr das vielleicht oft schon geschehen, aber gerade heute tat es ihr weh. – Eine Weile ging sie schweigend neben den beiden Männern her. Da tat der junge Förster die Frage: »Mein Fräulein, Sie scheinen von Stammers Liederbüchlein eine gute Meinung zu haben?«

      Das Mädchen zögerte mit der Antwort.

      »Es ist ihr Gebetbuch«, beschied Ferdinand.

      »Warum nicht?« sagte Anna, »Stammers Lieder haben mich oft genug erbaut, haben mich gelehrt, die Natur und die Natürlichkeit zu lieben.«

      »In diesem Falle hätten Sie dem Verfasser allerdings ein großes Gut zu verdanken,« sprach der Förster, »doch – vergeben Sie mir – Fräulein – ein natürlich geartetes Wesen wäre auch ohne Waldlieder der lieben Natur treu geblieben.«

      »Auf dem Lande, denke ich, wäre das keine Kunst,« meinte Anna, »allein in der Stadt und in Kreisen, in welchen man leben muß, ist vieles nicht echt.«

      »Ei nein!« versetzte der Förster höflich.

      »Und doch,« sagte sie, »nicht