Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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's ist die Geiß beim Mehlsack.«

      Anna stand auf, blickte von einem Alten auf den anderen und wußte nicht, was sie tun sollte.

      »Bleib nur da,« sagte Ferdinand, die Sache durchschauend, »es wird nichts Ungebührliches sein, was der Vater Stammer erzählt!«

      »Weiß es nicht!« sagte dieser kleinlaut. »Nicht lang, so hat der Junge lauter Vierzeilige gedichtet; aus den Liebfrauenliedern sind Liebsg'sangeln worden, kecke; und die hat ihm das junge Volk nachgesungen, zuerst, glaube ich, in der Stadt drin, und jetzt auch schon im Hinterwald, in Karnstein, auf dem Seeboden bei den Sennhütten, in den Schroffen, überall, hör' ich, täten sie die nichtsnutzigen G'sangeln von meinem Buben singen.«

      »Nichtsnutzig? Nein,« sagte Ferdinand, »die Lieder sind gedruckt worden.«

      »Das ist ja noch das Schlechteste,« versetzte der Heidepeter, »daß sich auch die hohen Herren um so was annehmen. Wird mir der Bub Vorzeit mit Herrenleuten bekannt, und so weit ist's gekommen, daß er ganz fort ist von heim, daß er in die Stadt studieren gegangen und nur zur Sommerszeit im Gebirg herumstreift – weil er's doch nicht vergessen kann. Ja, hab' ich gesagt, studiert er, so wird er wohl gescheiter werden. Jetzt treibt er's erst recht.«

      So der Weißkopf, und inzwischen hatte er mehrmals mißtrauisch auf den Schinken gelugt, der ein wenig aus dem Papier hervorguckte. Als jetzt der Graue anhub, mit kühnen Schnitten Stücke davon loszutrennen und auch den Peter dazu einlud, sprang dieser auf und sprach: »So! Jetzt weiß ich's, wie's mit meinem Sohn steht; lutherische Leut' haben ihn gelobt. – Geht mir weg!« rief er aufgeregt, »ihr seid lutherische Leut'! Heut' Fleisch essen, heut', am heiligen Freitag!«

      Da blickten sich die beiden Reisenden verblüfft an. Dem Mädchen war, als müsse es vor dem Erzürnten auf die Knie fallen.

      Ferdinand der Graue aber verlor die Fassung nicht. – »Freitag!« rief er, »köpfen will ich mich lassen, wenn heut' Freitag ist! – Und es wär'? 's wär' richtig? – – Du elendiglicher Knochen! Deinetweg das Gebot zu übertreten!« Er faßte den Schinken und machte Miene, ihn zur Tür hinauszuschleudern. »Nein,« sagte er dann gelassener, »du guter Brocken kannst nichts dafür, der Freitag ist daran schuld, zum Sonntag kommst du aber dran, verlaß dich drauf.«

      Er schob den »guten Brocken« in die Ledertasche und trank Wein.

      Und der Peter war durch die so sichtbar zutage getretene Selbstentrüstung besänftigt und beruhigt und trachtete nun, seinen Gästen durch einen Eierkuchen Entschädigung zu bieten.

      Ferdinand mahnte zum Aufbruch. Anna wäre lieber noch ein wenig sitzengeblieben und hätte für ihr Leben gern gefragt, was der Herr Sohn, wenn er daheim sei, denn treibe, wo er herumgehe und mit wem, auf welchem Platz er am liebsten sitze, ob er auch etwas esse usw. – Sie brachte dazu aber den Mund nicht auf. Sie blickte in der Stube umher und suchte in Gedanken jeden kleinen Gegenstand mit dem Sänger und seinen Liedern in Verbindung zu bringen.

      Etliche Strohhalme aus dem Bettschaub wollte sie zupfen zum Andenken an dieses Haus. Vielleicht hatte Gabriel Stammer diese Halme selbst geschnitten auf dem Felde, er soll ja gern noch manchmal den Pflug und die Sichel führen; vielleicht hatte er sogar einmal auf diesem Schaub geruht.

      Doch sollte das schwärmerische Kind zu was Besserem kommen. Auf einem Wandnagel hinter dem Ofen hing ein alter halbverwitterter Hut mit grünem, verschlissenem Bande, schwer und breitkrempig und mit schwammigem Filze. Im Bande stak noch eine kecke Hahnenfeder und ein borstiger Gemsbart.

      »Welcher Waldteufel hat denn das getragen?« fragte Ferdinand, mit der Stockspitze den Filz betupfend.

      »Der da,« sagte der Peter, »der gehört meinem Sohn – heißt das, jetzt tragt er ihn nimmer viel, es sind schon die Schaben dran, und man muß ihn wegwerfen.« Er schickte sich an, dieses Vorhaben sofort auszuführen.

      »Je, Vetter!« sagte der Graue, der ein Zupfen seiner Genossin am Rockschoß wohl wahrnahm, »wenn Ihr das Kleidungsstück wegwerft, so hebe ich es wieder auf, und Ihr geht leer aus. Ich gebe Euch daher den guten Rat: Verkauft mir den Hut!«

      »So, so,« antwortete der Heidepeter darauf, »Ihr seid so einer, der alte Kleider zusammenkauft. Nu, wartet ein wenig, 'leicht finde ich noch mehr solche Sachen.«

      Hellauf lachte Ferdinand. Es lag ihm wohl daran, die Mutmaßung des Bauers zu zerstreuen, doch erstand er den Hut und setzte denselben scherzend Annen auf das Köpfchen.

      Alls das Mädchen nun aus diesem Hause wieder davongehen sollte, war es in einer großen Bedrängnis. Endlich wagte es etwas. Ganz in der Nähe zum alten Vater stand es, drückte warmherzig dessen Hand, und mit errötendem Antlitz preßte es in dieselbe ein Papierschächtelchen: »Zu einem ganz, ganz kleinen Angedenken.«

      Der Alte meinte, es wäre gewiß ein Heiligenbildel drin und bedankte sich gar schön.

      Als aber die Fremden fort waren und er das Schächtelchen öffnete, fand er in demselben, auf schneeweiße Baumwolle gebettet, drei funkelnde Kreuzer, wovon jeder genau so aussah wie der Dukaten, den vor Wochen erst ein Kohlenmann mit in die Einöde gebracht und unter den Waldleuten herumgezeigt hatte. Der Alte schlug die Hände zusammen: »Drei Dukaten für eine Schale Milch! Wer sind diese Leut' gewesen?«

      Das Blümchen wollt' er entfalten

       Inhaltsverzeichnis

      Als unsere beiden Reisenden das alte Heidehaus verließen, huben schon die Schatten der Bäume und der Berge zu wachsen an.

      Der graue Ferdinand war ein wenig hinkend geworden, jedoch trillerte er allerlei Waldliederfragmente und war guter Dinge. Auch gab er sich mit der goldkronigen Arnika und mit dem wilden Wegerich ab; er rieb sich mit diesen Kräutern die Glieder – das sei gut gegen das Alter.

      Anna ging still hinter dem Alten her und blickte zu Boden. Das zierliche Strohhütchen hatte sie mittels seines blauen Bandes an den Arm gestreift; auf dem Haupte, über den weichen, stets gelösten Locken, trug sie den schweren, häßlichen Hut aus dem Waldhause. Er drückte sie, er ängstigte sie schier, aber sie wollte ihn nicht lassen. Das war ja des Lieblingssängers Hut, ein ehrwürdiger, aber auch ein unheimlicher Hut.

      Das Mädchen war nicht ganz so heiter als am Vormittag. Der Wunsch war jetzt erfüllt, sie hatte die Einödwälder und Gabriel Stammers Geburtshaus gesehen; ja noch mehr, sie trug von der ihr so merkwürdigen Stätte Reliquien mit sich. Und dennoch hatte Anna das Gefühl der Befriedigung nicht in ihrem Herzen.

      Am Bache dahinschreitend, sah sie zuweilen ein rotgesterntes Forellchen im braunklaren Wasser schwimmen. Sie erschrak vor dem sausenden Fluge der bunt-farbigen Libellen; sie ergötzte sich an den flinken Bachstelzen, die über das schimmernde Weidegebüsch schwirrten, aber sie konnte nicht mehr recht in die helle Lustigkeit kommen, die sie sich vorgenommen hatte auf ihrer Gebirgsreise zu hegen. Morgen soll sie ja schon wieder in das schwüle, staubige Gewirre der Stadt hinein, und der Traum von den schönen Einödwäldern war vorbei.

      Die Meisen und Goldhähnchen hatten freilich lustig hüpfen in dem dämmerigen Astgeflechte des Waldes; das Drößchen sang auf dem höchsten Zweig der Wipfel – sie alle konnten ja in den Wäldern verbleiben.

      »Ferdinand,« sagte Anna plötzlich, »hast du es bemerkt, wie der alte Vater Stammer seine Schuhe zugeriemt hat, wenn von seinem Weibe die Rede war? Ich habe es gewahrt, daß die Riemen gar nicht lose gewesen sind; er hat sich nur gebückt, um uns seine Augen zu verbergen. Die lieben Leute müssen sich wohl sehr gern gehabt haben!«

      »Je nun,« sagte der Graue, »eine bessere Ehe mag's schon gewesen sein als die des Grafen Franggi, der vor einigen Tagen in den Zeitungen bekanntmachen ließ, daß seine kleine Gemahlin, die auf den Ruf Maribella höre, sich verlaufen oder verfahren habe, und daß der redliche Finder gebeten werde, dieselbe gefälligst als Belohnung für sich zu behalten –«

      Das Mädchen hielt dem Begleiter rasch die flache Hand vor den Mund: »Ich bitte dich, verdirb mir mit so Reden den Wald nicht ...«