Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | George Sand |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816148 |
Consuelo vertraute sich demnach mit neuem Mute den geheimnisvollen Klüften an, diesmal auf die Beschaffenheit des Bodens sorgsam achtend und bedacht stets die aufwärts geneigten Pfade zu wählen, ohne sich durch scheinbar geräumigere und geradere Stollen, welche sich jeden Augenblick darboten, abführen zu lassen. Auf diese Weise war sie sicher, sowohl nicht mehr auf Wasserströmungen zu stoßen als ihren Ausweg wiederzufinden.
Sie ging unter tausend Hindernisse: mächtige Steine versperrten ihr den Weg und zerrissen ihre Füße; riesige Fledermäuse, aus ihren düsteren Schlafstätten durch den Lichtschein aufgestört, stießen haufenweise gegen die Laterne und umschwirrten die Wanderin wie Nachtgespenster. Nachdem sie bei jedem neuen Schrecken die erste Erschütterung überwunden hatte, fühlte sie ihren Mut nur immer wachsen.
Bisweilen musste sie über ungeheure Blöcke klimmen, welche sich von der Decke des zerklüfteten Gewölbes losgerissen hatten, während oben andere drohende Massen schwebten, kaum noch in den erweiterten Spalten zwanzig Fuß hoch über ihrem Kopfe festgehalten. Bisweilen verengte sich die Wölbung und wurde so niedrig, dass sie in der spärlichen, erstickenden Luft gezwungen war zu kriechen. Sie war so seit einer halben Stunde fortgegangen, als sie, aus einer Spalte hervortretend, durch welche sich ihr schlanker, biegsamer Körper nur mit Mühe drängen konnte, plötzlich aus der Charybdis in die Scylla fiel: sie fand sich Aug’ in Auge mit Zdenko – mit Zdenko, der sich zuerst starr vor Staunen und versteint vom Schrecken, aber bald in Zorn, Wut, drohend zeigte, ganz wie sie ihn schon einmal gesehen hatte.
In diesem Labyrinthe, unter den zahllosen Hindernissen beim unsicheren Lichte einer Kerze, welche der Luftmangel jeden Augenblick zu ersticken drohte, war Flucht unmöglich. Consuelo war bereit sich gegen einen Mordversuch zur Wehre zu setzen. Die irren Augen, der schäumende Mund Zdenko’s kündeten deutlich genug an, dass er diesmal nicht bei Drohungen stehen bleiben würde.
Auf einmal hatte er einen seltsam wilden Entschluss gefasst: er fing an große Steine zusammenzutragen und schichtete sie übereinander zwischen sich und Consuelo, um den engen Stollen, in welchem sie sich befand, zu vermauern. Auf diese Weise konnte er gewiss sein, wenn er mehrere Tage das Wasser nicht abließe, sie durch Hunger zu töten, wie eine Biene in ihrer Zelle die eingedrungene Hornis einschließt, eine Wand von Wachs vor die Öffnung klebend.
Es war aber Granit, womit Zdenko baute, und er arbeitete mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Die ungeheuere Muskelkraft, die dieser so magere und anscheinend so schwächliche Mensch offenbarte, indem er diese Steinblöcke schwang und auf einander türmte, belehrte Consuelo nur zu gut, dass Widerstand unmöglich, und dass es besser wäre, Rettung durch einen anderen Ausgang, den sie rückwärts vielleicht noch finden könnte, zu hoffen, als Zdenko zu reizen und sich der äußersten Gefahr auszusetzen. Sie versuchte, ihm zuzureden, und ihn mit ihrem Worte zu besänftigen und zu zähmen.
– Zdenko! sagte sie, was tust du da, Unsinniger? Albert wird dir meinen Tod anrechnen. Albert erwartet und ruft mich. Ich bin seine Freundin, sein Trost und sein Heil. Du tötest deinen Freund und Bruder, wenn du mich tötest.
Aber Zdenko, der wohl fürchtete, sich gewinnen zu lassen und doch fest entschlossen war sein Werk auszuführen, begann in seiner Sprache nach einer lebhaften, lustigen Melodie zu singen, während er mit ämsiger und leichter Hand an seiner Cyclopenmauer fortbaute.
Nur noch ein Stein fehlte, um den Bau zu schließen. Consuelo folgte mit angstvollen Blicken seinen Bewegungen. Nie, dachte sie, werde ich imstande sein diese Mauer abzutragen. Ich müsste dazu die Arme eines Riesen haben.
Der letzte Stein war gelegt. Sie bemerkte, dass Zdenko eine zweite Wand zur Unterstützung der ersten zu bauen anfing. Einen ganzen Steinbruch, eine ganze Festung wollte er zwischen ihr und Albert aufschichten. Er sang immer fort und schien ein außerordentliches Vergnügen an seiner Arbeit zu finden.
Siehe, da kam ihr plötzlich eine wunderbare Eingebung. Sie erinnerte sich der verrufenen ketzerischen Formel, nach deren Sinn sie Amalien gefragt, und die dem Kaplan so großes Ärgernis gegeben hatte.
– Zdenko, lieber Zdenko! rief sie durch eine Spalte des schlecht zusammengefügten Bauwerks, und fügte auf Böhmisch hinzu: Grüß dich der, dem Unrecht geschehen!
Kaum war dies Wort von ihren Lippen, als es auf Zdenko wie ein Zauber wirkte; er ließ den gewaltigen Block, den er ergriffen hatte, fallen, stieß einen tiefen Seufzer aus und fing an seine Mauer noch geschwinder abzutragen, als er sie aufgeführt hatte. Dann reichte er Consuelo die Hand, half ihr schweigend über die Trümmer, betrachtete sie von Kopf zu Fuß, stöhnte seltsam, und ihr drei an einem roten Bande hängende Schlüssel gebend, wies er ihr den Weg, der vor ihr lag und sprach:
– Grüß’ dich der, dem Unrecht geschehen ist!
– Willst du nicht mein Führer sein? sagte sie. Bringe mich zu deinem Herrn.
Zdenko schüttelte den Kopf und sprach:
– Ich habe keinen Herrn. Ich hatte einen Freund. Du nimmst ihn mir. Das Schicksal erfüllt sich. Geh, wohin dich Gott treibt. Ich, ich will hier weinen, bis du wiederkommst.
Und sich auf das Gestein setzend, legte er seinen Kopf in seine Hände und wollte nichts mehr reden.
Consuelo hielt sich nicht damit auf, ihn zu trösten. Sie fürchtete einen Rückfall seiner Wut, und den Augenblick ihres Übergewichts benutzend, und nun gewiss, dass sie sich auf dem Wege zu Albert befand, flog sie wie ein Pfeil dahin.
Auf dem bisherigen unsicheren und mühevollen Pfade hatte sie keine weite Strecke zurückgelegt, da Zdenko, der einen weit längeren, aber dem Wasser unzugänglichen Weg genommen hatte, mit ihr bei dem Vereinigungspunkte der beiden unterirdischen Gänge zusammentraf, welche, der eine in einem von Menschenhand durch den Felsen gebrochenen und bequem angelegten Bogen, der andere schwerlich, wild und gefährlich, auf entgegengesetzten Seiten um das Schloss, seine Nebengebäude und den Bergsaum liefen.
Consuelo wusste nicht, dass sie sich in diesem Augenblicke unter dem Park befand, aber sie überschritt in der Tat dessen Gatter und Gräben auf einem Pfade, den alle Schlüssel und alle Vorsichtsmaßregeln des Stiftsfräuleins ihr nicht versperren konnten.
Sie dachte, nachdem sie eine kleine Strecke zurückgelegt