Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | George Sand |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962816148 |
Mein Onkel, meine Tante und der Kaplan begriffen einigermaßen, dass Albert sich eine Moral, eine Religion, die von der ihrigen gänzlich abwich, gemacht hätte; aber ängstlich, wie fromme Leute sind, fürchteten sie zu weit zu gehen, und wagten es nicht, seine Offenherzigkeit noch mehr aufzumuntern. Ich, die ich von den näheren Umständen seiner Kindheit und seiner frühesten Jugend bis dahin nur ganz dunkel etwas vernommen hatte, verstand kein Wort. Außerdem ging es mir damals beinahe ganz wie Ihnen neulich, Nina! ich wusste kaum, was es mit diesen Hussiten und diesem Luthertum auf sich hätte, wovon ich später so oft habe reden hören, und worüber ich die jämmerlichste Langeweile hatte, wenn Albert und der Kaplan die streitigen Lehren durchfochten. Ich wartete also voll Ungeduld auf eine ausführlichere Erklärung, aber sie erfolgte nicht.
– Ich sehe, sagte Albert, von dem Schweigen um ihn her betroffen, dass ihr mich nicht verstehen wollt, aus Furcht, mich zu gut zu verstehen. So geschehe es denn nach euerem Willen! Euere Verblendung hat seit Langem mir das herbe Loos bereitet, welches mich betroffen hat. Ewig unglücklich, ewig allein, ewig ein Fremdling unter denen, die ich liebe, habe ich keine Zuflucht, keine Stütze als an dem Troste, welcher mir verheißen ist.
– Was für ein Trost ist das, mein Sohn? fragte Graf Christian, tödlich betrübt. Können wir ihn dir nicht bieten, können wir nie dahin gelangen, uns zu verstehen? – Nie, mein Vater! Lieben wir uns, da uns das allein vergönnt ist! Der Himmel ist mein Zeuge, dass die ungeheuere, unausfüllbare Kluft zwischen uns die Liebe, die ich zu euch trage, nie in mir hat wandeln können.
– Und ist das nicht genug? sagte das Stiftsfräulein, ihn bei einer Hand ergreifend, während ihr Bruder Albert’s andere Hand in den seinigen drückte; kannst du dich deiner seltsamen Ideen, deiner wunderlichen Glaubensmeinungen nicht entschlagen, um in unserer Mitte ganz der Liebe zu leben?
– Der Liebe lebe ich, versetzte Albert. Die Liebe ist ein Gut, das sich entweder in Wonne oder unter Schmerzen gibt und nimmt, je nachdem der religiöse Glaube übereinstimmend oder entgegengesetzt ist. Unsere Herzen stimmen überein, o meine Tante Wenceslawa! aber unsere Geister bekriegen sich, und das ist ein großes Unglück für uns alle. Ich weiß, dass es nicht enden wird vor mehreren Jahrhunderten, und deshalb will ich in dem gegenwärtigen nur des Gutes harren, welches mir verheißen ist, und welches mir Kraft schenken wird, zu hoffen.
– Was für ein Gut, Albert? Kannst du es nicht sagen?
– Nein! ich kann es nicht sagen, weil ich es nicht weiß; aber kommen wird es. Meine Mutter ließ eine Woche vergehen, ohne es mir im Traume anzuzeigen, und alle Stimmen des Waldes haben es mir wiederholt, so oft ich sie befragte. Ein Engel schwebt oft hernieder, und zeigt mir ihr blasses, leuchtendes Antlitz über dem Schreckenstein; über jenem düsteren Ort, im Schatten jener Eiche, wo ich, als mich die Menschen, meine Zeitgenossen, Ziska nannten, hingerissen ward vom Zorne des Herrn, zum ersten Male ein Werkzeug seiner Rache ward; am Fuße jenes Felses, wo ich, als ich Wratislaw hieß, unter einem Schwertstreich rollen sah das verstümmelte, entstellte Haupt meines Vaters Withold, – furchtbare Buße, die mich lehrte, was Schmerz und was Erbarmen ist, schicksalsschwerer Tag der Vergeltung, wo lutherisches Blut das katholische abwusch, und wo ich ein schwacher, zartempfindender Mensch wurde aus einem fanatischen Würger, was ich hundert Jahre zuvor gewesen war …
– Allgütiger Gott! rief meine Tante, sich bekreuzigend, ein Wahnsinn ergreift ihn wieder.
– Widersprich ihm nicht, Schwester! sagte Graf Christian, indem er sich selbst mit großer Anstrengung Gewalt antat; lass ihn sich aussprechen! Sprich, mein Sohn! was sagte dir der Engel auf dem Schreckensteine?
– Er sagte mir, mein Trost sei nahe, antwortete Albert mit einem von Entzücken strahlenden Gesicht, er werde sich senken in mein Herz, sobald ich mein neun und zwanzigstes Jahr vollendet hätte.
Mein Onkel ließ seinen Kopf auf seine Brust sinken. Albert schien auf seinen Tod anzuspielen, indem er das Alter bezeichnete, in welchem seine Mutter gestorben war, und es scheint, dass sie während ihrer Krankheit öfters vorausgesagt hat, weder sie noch ihre Söhne würden dreißig Jahre alt werden. Es scheint, dass meine Tante Wanda auch ein wenig – um nicht mehr zu sagen – erleuchtet war, aber ich habe nie über diesen Punkt etwas Genaueres erfahren können. Es ist für meinen Onkel eine zu schmerzliche Erinnerung und niemand von seiner Umgebung wagt es, sie in ihm zu wecken.
Der Kaplan versuchte den trüben Gedanken, den diese Vorhersage erregt hatte, zu entfernen, indem er Albert aufforderte, sich über den Abbé auszusprechen. Damit hatte ja die ganze Unterhaltung begonnen.
Albert machte nun auch eine Anstrengung, ihm Antwort zu geben.
– Ich rede euch von himmlischen und ewigen Dingen, entgegnete er nach einem kurzen Zaudern, und ihr haltet mich bei den, kurzen, flüchtigen Momenten fest, bei den kindischen, vorüberschwindenden Sorgen, deren Erinnerung schon aus meiner Seele weicht.
– Sprich nur, mein Sohn! sprich weiter, antwortete Graf Christian, wir müssen heut dich kennen lernen.
– Sie haben mich nicht gekannt, mein Vater! und werden mich nicht kennen in – diesem Leben, wie Ihr’s nennt. Jedoch wenn Sie wissen wollen, warum ich reiste, warum ich ihn ertrug, diesen ungetreuen, unachtsamen Hüter, den Sie an meine Schritte gefesselt hatten wie einen gefräßigen, faulen Hund an den Arm eines Blinden,