Название | Die Seele Chinas |
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Автор произведения | Richard Wilhelm |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kleine historische Reihe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843800495 |
Am revolutionärsten ist sein drittes Werk, in dem er dazu übergeht, selbstständige Theorien für die Gestaltung der menschlichen Gesellschaft aufzustellen. Dieses Werk »Das Buch von der großen Gemeinsamkeit« ist freilich nur in wenigen als Manuskript gedruckten Exemplaren verbreitet, weil er der Überzeugung ist, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei. Er geht darin zurück auf eine Stelle im alten Buch der Sitten, wo eine dreifache Menschheitszeit in Aussicht genommen ist: Eine Zeit der Unordnung, eine Zeit der kleinen Kräftigung und eine Zeit der großen Gemeinsamkeit. Die Grundsätze für die Zeit der großen Gemeinsamkeit führt er in seinem Buch aus. Es ist nicht nur als Utopie gedacht, sondern als ganz ernsthafte Grundlage für die künftige Gestaltung der menschlichen Gesellschaft. Die Hauptgedanken dieses Werkes sind:
1. Abschaffung des Staats. Die ganze Welt hat eine gemeinsame Regierung, die sich in einzelne Unterabteilungen nach Nationen gliedert.
2. Die Gesamtregierung und die Unterregierungen werden vom Volk gewählt.
3. Abschaffung der Familie. Mann und Frau leben nicht länger als ein Jahr zusammen. Nach Ablauf der Zeit findet Wechsel statt.
4. Frauen, die schwanger sind, gehen in eine Mutterschaftsschule; die Neugeborenen kommen in ein Säuglingsheim.
5. Die Kinder kommen ihrem Alter entsprechend in Kindergärten, später in die Schule.
6. Die Erwachsenen erhalten von der Regierung das Gebiet ihrer Berufstätigkeit zugewiesen.
7. Für die Kranken sind Krankenhäuser, für die Alten Altersheime da.
8. Die Mutterschaftsschulen, Säuglingsheime, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altersheime sind alle sorgfältig ausgestattet, so dass die Insassen sich wirklich wohl darin fühlen.
9. Erwachsene Männer und Frauen müssen dem jetzigen Militärdienst entsprechend an diesen Anstalten eine bestimmte Anzahl von Dienstjahren verbringen.
10. Wohnungen und Speiseräume sind öffentlich. Jedem bleibt die freie Verfügung über den Ertrag seiner Arbeit.
11. Alle Faulheit wird durch strenge Strafen verhindert.
12. Förderer der Wissenschaft und solche, die in den öffentlichen Anstalten besondere Dienste geleistet, werden besonders ausgezeichnet.
13. Die Toten werden verbrannt. Neben den Verbrennungsanstalten befinden sich die Fabriken für Kunstdünger.
Man muss bedenken, dass diese Gedanken, die sicher so radikal sind, dass sie nichts zu wünschen übrig lassen, durchaus selbstständig gefunden sind. Sie liegen dreißig Jahre zurück und sind in einer Zeit gedacht, da K’ang Yu We noch keinerlei Fühlung mit sozialistischen und kommunistischen Ideen im Westen haben konnte. Das Zentrum seines Systems liegt in der Abschaffung der Familie, wodurch der Buddhismus, der sich durch Flucht aus der Familie den Bitternissen des Lebens entziehen will, ganz von selbst überflüssig wird, ebenso wie aller Streit und Kampf um das Eigentum ganz von selbst gegenstandslos wird, wenn eine Vererbung des Eigentums nicht mehr möglich ist. Dass in dem System einige Härten sich finden, entspricht ganz dem Feuerkopf, der es erdacht hat.
Freilich, eine Sache ist sehr merkwürdig: Er hat diese Gesellschaftsordnung fix und fertig ausgedacht, aber er hat sie immer geheim gehalten. Nur ausgewählten Schülern gewährte er Zugang zu diesen Lehren, und wenn sie begeistert an ihre Verwirklichung gehen wollten, hielt er sie zurück. Er hat, auch als er die Macht in Händen hatte, nie versucht, die Gedanken in Wirklichkeit umzusetzen, da er der Überzeugung war, dass man zunächst über die Methoden der »kleinen Kräftigung« noch nicht hinausgehen dürfe. So ist er denn bis zuletzt ein Anhänger der Mandschudynastie geblieben. Erst seit ganz Kurzem hat er erlaubt, dass dieses Zukunftsvermächtnis gedruckt wurde. Bei meinem Abschied aus China hat er mir auch einige Exemplare davon sowie von seinen übrigen Werken geschenkt. Es gehört zu den merkwürdigen Erinnerungen meines Lebens, wie der alte Mann mit sichtlicher Rührung Abschied nahm und mir seine guten Wünsche mit über das Meer gab. – Ich bin auf ihn etwas näher eingegangen, weil er ein Beweis dafür ist, wie in China oft unbekannt und ganz verborgen weltstürzende Ideen ausgesprochen werden, ohne dass man in Europa eine Ahnung davon hat. Ruhig spricht man weiterhin von dem stagnierenden Geistesleben der Chinesen. – Nun liegt der Fall K’ang Yu We allerdings etwas eigenartig. Er ist auch mit der chinesischen Welt des Neuen ganz auseinandergekommen durch den merkwürdigen Zwiespalt in seinem Leben.
Unter den Schülern K’ang Yu Wes ragt bei weitem Liang K’i Tsch’ao am meisten hervor, wohl der fruchtbarste Schriftsteller, den das moderne China besitzt. Die Veröffentlichungen des heute in den Anfängen der fünfziger Jahre stehenden Mannes gehen schon ziemlich weit zurück. Er hat mit K’ang Yu We zusammen sich für die Aufnahme westlicher Bildung und westlicher Methoden eingesetzt und hat mit ihm zusammen den neuen literarischen Stil geschaffen, dessen Gewalt die öffentliche Meinung Chinas in der Zeit des großen Übergangs vom Alten zum Neuen beeinflusste. Liang K’i Tsch’ao ist von Anfang an viel radikaler in seinen Gesinnungen gewesen als K’ang Yu We. Er machte mit den Gedanken seines Lehrers, die dieser halb schüchtern vor der Welt versteckte, ernst. Von Japan aus, wohin er nach dem Misserfolg des gemeinsamen Reformversuchs unter Kaiser Kuanghsü geflüchtet war, arbeitete er aktiv am Umsturz des Alten und an der Vorbereitung des Neuen mit. Nach der Revolution von 1911 kam er nach China zurück und hat eine Zeitlang verschiedene Ämter in der Regierung der jungen Republik innegehabt. Er hat sich dann wieder von der amtlichen Laufbahn zurückgezogen, da sie zu viele Kompromisse notwendig machte, und lebt nun das Leben eines Gelehrten und Schriftstellers. Er ist von ungemein beweglichem und anpassungsfähigem Geiste und gehört noch heute zu den meistgehörten Führern der Jugend. Er steht in seinen religiösen Ansichten dem Buddhismus nahe, den er für die Religion Chinas hält, nachdem er durch eine eingehende Reformation seine Schlacken abgestreift haben würde. Volkswirtschaftlich steht er sozialistischen Überzeugungen nahe, was ja auch bei der ganzen klassischen Literatur der Chinesen der Fall ist. Wenn man neuerdings so viel von der bolschewistischen Gefahr für China redet, so liegt dem ein großer Irrtum zugrunde. China wird nicht gewaltsam bolschewisiert werden, weil viele der lebendigen Gedanken, die dem Bolschewismus seine Triebkraft geben, in China schon längst an der Arbeit sind und zum Teil sogar die realen Verhältnisse gestaltet haben. Daher findet man im neuen China ja auch trotz aller Kämpfe und Parteiunterschiede ein durchaus einheitliches Volksempfinden, das sich neuerdings immer mehr in einer geschlossenen öffentlichen Meinung ausdrückt. Liang K’i Tsch’ao hat einmal den Inhalt dieser öffentlichen Meinung in zwei grundlegenden Sätzen zusammengefasst:
1. Alle, die keine Chinesen sind, haben kein Recht, sich in chinesische Angelegenheiten einzumischen.
2. Alle, die Chinesen sind, haben das Recht, in chinesischen Angelegenheiten mitzubestimmen.
Er führt diese Punkte dann noch folgendermaßen weiter aus: »Der erste Satz spricht den Geist des nationalen Staates aus, der zweite den Geist der Republik. Diese doppelte Gesinnung war früher keineswegs vollständig abwesend, doch die öffentliche Meinung schlief und träumte und fand keinen klaren Ausdruck. Aber im Verlauf dieser letzten 50 Jahre, oder noch genauer der letzten 30 Jahre, hat sie einen ganz deutlichen Ausdruck gefunden. Ich wage zu behaupten, dass, wenn nach dem Sturz der Mandschus wieder ein fremder Stamm dem Beispiel der Wu Hu, Toba, Liao, Kin, Mongolen oder Mandschus folgen und das alte Lied von der Invasion und Beherrschung Chinas von Neuem beginnen wollte, eher das Meer austrocknen und die Felsen verfaulen könnten, als dass sie noch einmal Erfolg hätten. Ich wage zu behaupten, dass das Schild der Republik, das jetzt über uns hängt, auch nicht in Jahrtausenden wieder herabgerissen werden kann. Ganz einerlei, ob einer so heilig wäre wie Yao und Schun oder so mächtig wie Ts’in Schï Huang oder der Ahn der Ming oder so listig wie Ts’ao Ts’ao oder Sï-Ma I: Wenn er Kaiser von China werden wollte, würde kein Mensch es dulden. Diese Tatsache darf man nicht leicht nehmen, man darf nicht sagen, dass es sich hier nur um Worte, nicht um Wirklichkeiten handle. Ein altes Wort sagt sehr richtig: ›Der Name ist der Gast der Wirklichkeit.‹ Alles,