Das Heim und die Welt. Rabindranath Tagore

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Название Das Heim und die Welt
Автор произведения Rabindranath Tagore
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066112608



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daß wir ruhig verzichten. Wonach mein Sinn verlangt, das muß meine Umgebung mir schaffen. Dies ist hier auf Erden das einzig wahre Verhältnis zwischen unsrer innern und äußern Welt. Überlaßt die sittlichen Ideale den armen, bleichsüchtigen Geschöpfen, die zu matt sind, um zu begehren, und zu schwach, um zuzugreifen. Die, welche mit ganzer Seele begehren und mit ganzem Herzen genießen, für die es keine Bedenken und Skrupel gibt, sie sind die Auserwählten und Gesalbten der Vorsehung. Für sie breitet die Natur ihre reichsten und schönsten Schätze aus. Sie schwimmen durch Ströme, springen über Mauern, stoßen Türen ein, um sich das zu verschaffen, was ihnen der Mühe wert scheint. Auf diese Weise die Dinge erlangen ist Genuß; denn jedes Ding erhält erst dadurch seinen Wert, daß man darum kämpft.

      Die Natur ist ganz bereit, sich hinzugeben, aber nur dem Räuber. Denn sie hat Lust an diesem ungestümen Verlangen, an dieser gewaltsamen Entführung. Und daher legt sie ihren Kranz nicht um den magern, dürren Hals des Asketen. Die Musik des Hochzeitsmarsches ertönt. Ich darf die Hochzeitsstunde nicht vorbeigehen lassen. Mein Herz ist voll Verlangen. Denn — wer ist der Bräutigam? Ich bin es. Die Braut gehört dem, der mit der Fackel in der Hand zur rechten Stunde kommt. Der Bräutigam im Hochzeitssaal der Natur kommt unerwartet und ungeladen.

      Sollte ich mich schämen? Nein, ich kenne keine Scham! Ich fordere alles, was ich haben möchte, und oft halte ich mich nicht erst mit Fordern auf, bevor ich es nehme. Die, welche verzichten, weil sie sich nicht trauen zuzugreifen, suchen diesen Verzicht mit einer Würde zu umkleiden, indem sie ihn Bescheidenheit nennen.

      Die Welt, in die wir geboren sind, ist eine Welt der Wirklichkeit. Wenn ein Mensch vom Markt der wirklichen Dinge mit leeren Händen und leerem Magen fortgeht und seinen Sack nur mit hochtrabenden Worten füllt, warum ist er denn überhaupt in diese rauhe Welt gekommen? Wurden diese Leute von den Epikuräern des Jenseits angestellt, um in ihrem Lustgarten, wo ätherische Blumen und Früchte blühen und reifen, nach alten, lieblichen Melodien ihre frommen Lieder zu singen? Ich stimme in diese Melodien nicht ein, und jene ätherischen Früchte sind mir nicht nahrhaft genug.

      Was ich begehre, begehre ich ganz und unbedingt. Ich möchte es zerdrücken und zerkneten mit Händen und Füßen; ich möchte mich vom Kopf bis zur Zehe damit salben, ich möchte es verschlingen und mich ganz damit anfüllen. Die quiekenden Pfeifen derer, die sich durch ihr moralisches Fasten aufgerieben haben, bis sie dürr und bleich geworden sind wie verhungertes Ungeziefer in einem lange verlassenen Bett, werden nie an mein Ohr dringen.

      Ich möchte mich nicht verstellen, denn das wäre Feigheit. Aber wenn ich mich nicht zur Verstellung entschließen könnte, wo Verstellung nötig ist, das würde auch feige sein. Aus Habsucht baut ihr eure Mauern; aus Habsucht durchbreche ich sie. Ihr gebraucht eure Macht; ich gebrauche meine Geschicklichkeit. Dies sind die Wirklichkeiten des Lebens. Auf ihnen beruhen König- und Kaiserreiche und alle die großen Unternehmungen der Menschen.

      Es gibt viele Menschen, die nur geboren zu sein scheinen, um sich mit Todesgedanken zu plagen. Vielleicht hat dieser über dem Leben hängende Tod etwas von der Schönheit des Sonnenuntergangs, die sie bezaubert. Nikhil lebt solch ein Leben, wenn man es überhaupt Leben nennen kann. Vor Jahren hatte ich über diesen Punkt eine lange Auseinandersetzung mit ihm.

      »Es ist wahr,« sagte er, »daß man nur durch Gewalt etwas erlangen kann. Aber was heißt denn Gewalt? Und was heißt erlangen? Die Kraft, an die ich glaube, ist die Kraft des Entsagens.«

      »Dich reizt also der Ruhm gänzlichen Bankrotts, der Ruhm, all deiner Habe ledig zu werden?« rief ich aus.

      »Genau so, wie es das Küchlein reizt, seiner Schale ledig zu werden«, erwiderte er. »Die Schale ist sicher etwas Wirkliches, und doch wird sie aufgegeben für Licht und Luft, die beide nichts Greifbares sind. Du würdest das wohl einen armseligen Tausch nennen?«

      Wenn Nikhil einmal anfängt, in Gleichnissen zu reden, so ist es aussichtslos, ihm klarzumachen, daß er nur mit Worten operiert, nicht mit Wirklichkeiten. Nun, meinetwegen mag er glücklich sein mit seinen Gleichnissen. Wir sind die Fleischfresser auf dieser Welt; wir haben Zähne und Krallen, wir verfolgen und packen zu und zerreißen. Wir geben uns nicht damit zufrieden, das Gras, das wir am Morgen gegessen haben, am Abend noch einmal wiederzukäuen. Jedenfalls können wir uns die Tür zu unserm Lebensunterhalt nicht von euch Gleichniskrämern verriegeln lassen. In solchem Fall müssen wir einfach rauben und stehlen; denn leben müssen wir nun einmal.

      Die Leute werden sagen, daß ich ein neues Lebensprinzip aufstelle, weil man in dieser Welt anders zu reden pflegt, obgleich man in Wirklichkeit immer danach handelt. Daher können sie nicht wie ich einsehen, daß dies das einzig herrschende Sittlichkeitsprinzip ist. Ich weiß als Tatsache, daß meine Ansicht durchaus keine abstrakte Theorie ist, denn sie hat sich im praktischen Leben bewährt. Ich habe gefunden, daß meine Art immer die Herzen der Frauen erobert, die mit den Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit stehen und nicht wie die Männer in mit Ideendunst gefüllten Ballons im Traumland umherschweifen.

      Die Frauen spüren in meinen Zügen, meinem Wesen, meiner Haltung, meiner Rede eine despotische Leidenschaft, — nicht eine Leidenschaft, die vom Fieber der Askese verdorrt ist, nicht eine Leidenschaft, die bei jedem Schritt in Zweifel und Bedenken rückwärts sieht, sondern eine vollblütige Leidenschaft. Sie kommt schäumend und brausend wie die Flut daher und brüllt ihr Verlangen hinaus. Die Frauen fühlen im innersten Herzen, daß diese unbezähmbare Leidenschaft das Lebensblut der Welt ist; sie kennt kein Gesetz als sich selbst und daher ist sie siegreich. Daher haben sie sich so oft willig von der Flutwelle meiner Leidenschaft hinreißen lassen, ohne zu fragen, ob Leben oder Tod das Ende ist.

      Die, welche ihre Sehnsucht auf das Jenseits richten, geben ihrer Begehrlichkeit nur eine andere Richtung. Es wird sich zeigen, wie hoch der hervorstürzende Strahl ihres Springbrunnens steigen wird, und wie lange seine Wasser spielen. Soviel ist gewiß: die Frauen sind nicht für diese blassen Geschöpfe geschaffen, — für diese idealistischen Lotusesser.

      »Wahlverwandtschaft!« Wenn es meinem Zweck entsprach, habe ich oft gesagt, daß Gott bestimmte Paare für einander geschaffen hat und daß ihre Vereinigung die einzig legitime Vereinigung ist, die höher ist, als alle Vereinigungen durch das Gesetz. Denn obgleich der Mensch seiner Natur folgen möchte, ist er nicht zufrieden, wenn er sich nicht hinter irgendeiner Phrase verstecken kann — und dies ist der Grund, warum die Welt so von Lügen überschwemmt ist.

      »Wahlverwandtschaft!« Warum sollte es nur eine geben? Man kann sie mit Tausenden haben. Ich habe mich der Natur gegenüber nie verpflichtet, all meine unzähligen Wahlverwandtschaften zu übersehen um einer einzigen willen. Ich habe in meinem bisherigen Leben schon viele entdeckt, aber darum ist die Tür der nächsten nicht verschlossen, — und diese nächste sehe ich deutlich vor Augen. Und auch sie hat ihre Wahlverwandtschaft mit mir entdeckt.

      Und nun?

      Wenn ich sie nun nicht gewinne, will ich ein Feigling heißen.

       Fußnoten:

       Inhaltsverzeichnis