Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Ich fühle mein Herz; der Hund hat beigedreht; er hat nicht mehr als fünfzehn Schritte verloren; in wenigen Augenblicken ist die Hasenkatastrophe da. Das Kind hört den Verfolger hinter dem Schweifchen, es ist müde. Ich will dazwischenspringen, aber es dauert so lange, bis der Wille durch die linearen Hosen in die glatten Sohlen fährt, oder vielleicht war der Widerstand schon im Kopf. Zwanzig Schritte von mir – ich müßte phantasiert haben, wenn das Häschen nicht verzagt stehen blieb und seinen Nacken dem Verfolger hinhielt. Der schlug seine Zähne hinein, schleuderte es ein paarmal hin und her, dann warf er es auf die Seite und grub sein Maul zwei-, dreimal in Brust und Bauch.
Ich sah auf. Lachende, erhitzte Gesichter standen umher. Es war plötzlich wie vier Uhr morgens geworden nach durchtanzter Nacht. Der erste von uns, der aus dem Blutrausch erwachte, war der kleine Fox. Er ließ ab, schielte mißtrauisch zur Seite, zog sich zurück; nach wenigen Schritten fiel er in kurzen, eingezogenen Galopp, als erwartete er, daß ihm ein Stein nachflöge. Wir andern aber waren bewegungslos und verlegen. Eine schale Atmosphäre unausgesprochener Worte umgab uns wie «Kampf ums Dasein» oder «Grausamkeit der Natur». Solche Gedanken sind wie die Untiefen eines Meeresbodens, aus ungeheurer Tiefe emporgestiegen und seicht. Am liebsten wäre ich zurückgegangen und hätte die sinnlose kleine Dame geschlagen. Dies war noch eine aufrichtige Empfindung, aber dann kam schon ein Gedanke, schon etwas Ferneres, nämlich wie viel besser erzogen ein Neger ist, der Menschen frißt, aber es nur wegen des großen Geheimnisses tut. Endlich nahm ein hochgewachsener behaglicher Herr den Hasen in beide Hände, zeigte seine Wunden den Hinzugetretenen und trug die dem Hund abgejagte Leiche wie einen kleinen Sarg in die Küche des nahen Hotels. Dieser Mann stieg als erster aus dem Unergründlichen und hatte den festen Boden Europas unter den Füßen.
Der Gläubige
Schob rasch den Vorhang zur Seite: – die sanfte Nacht! Ein mildes Dunkel liegt im Fensterausschnitt des harten Zimmerdunkels wie ein Wasserspiegel im viereckigen Bassin. Ich sehe es wohl gar nicht, aber es ist wie im Sommer, wenn das Wasser so warm ist wie die Luft und die Hand aus dem Boot hängt. Es wird sechs Uhr morgens am ersten November.
Gott hat mich geweckt. Ich bin aus dem Schlaf geschossen. Ich hatte gar keinen andren Grund, aufzuwachen. Ich bin losgerissen worden wie ein Blatt aus einem Buch. Die Mondsichel liegt zart wie eine goldene Augenbraue auf dem blauen Blatt der Nacht.
Aber auf der Morgenseite am anderen Fenster wird es grünlich. Papageienfedrig. Schon laufen auch die faden rötlichen Streifen des Sonnenaufgangs herauf, aber noch ist alles grün, blau und ruhig. Ich springe zum ersten Fenster zurück: Liegt die Mondsichel noch da? Sie liegt da, als ob es tiefste Stunde des nächtlichen Geheimnisses wäre. So überzeugt von der Wirklichkeit ihrer Magie, als ob sie Theater spielte. (Nichts Komischeres gibt es, als wenn man aus vormittägigen Straßen in den Abersinn einer Theaterprobe tritt.) Links pulst schon die Straße, rechts probt die Mondsichel.
Ich entdecke seltsame Brüder, die Schornsteine. In Gruppen zu dritt, zu fünf, zu sieben oder allein stehn sie auf den Dächern; wie Bäume in der Ebene. Der Raum windet sich wie ein Fluß zwischen ihnen in die Tiefe. Ein Uhu schleift zwischen ihnen nachhause; wahrscheinlich war’s eine Krähe oder eine Taube. Die Häuser stehn kreuz und quer; seltsame Umrisse, abstürzende Wände; gar nicht nach Straßen geordnet. Die Stange am Dach mit den sechsunddreißig Porzellanköpfen und den zwölf Verspannungsdrähten steht vor dem Morgenhimmel als ein völlig unerklärliches, geheimnisvolles oberstes Gebilde. Ich bin jetzt ganz wach, aber wohin ich mich wende, gleitet der Blick um Fünfecke, Siebenecke und steile Prismen: Wer bin ich? Die Amphore am Dach mit eisengegossener Flamme, tagsüber eine lächerliche Ananas, verächtliches Geschöpf schlechten Geschmacks, stärkt in dieser Einsamkeit mein Herz wie eine frische Menschenspur.
Endlich kommen zwei Beine durch die Nacht. Der Schritt zweier Frauenbeine und das Ohr. Nicht schaun will ich. Mein Ohr steht auf der Straße wie ein Eingang. Niemals war ich mit einer Frau so vereint wie mit dieser unbekannten, deren Schritte immer tiefer in meinem Ohr verschwinden.
Dann zwei Frauen. Die eine filzig schleichend, die andre stapfend mit der Rücksichtslosigkeit des Alters. Schwarz. Seltsame Formen haben die Kleider alter Frauen. Sie streben zur Kirche. Längst ist die Seele in Betrieb genommen, und ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Der Erwachte
Rasch, listig schob ich den Vorhang zur Seite: – Die sanfte Nacht! Ein mildes Dunkel, liegt die Schlafende im Fensterausschnitt des harten Zimmerdunkels wie ein Wasserspiegel im viereckigen Bassin.
Ich sehe sie wohl gar nicht, aber es ist wie im Sommer, wenn das Wasser so warm ist wie die Luft, und die Hand aus dem Boot hängt, und du mündest aus der Schulter, durch den Arm, mit dem sanft gewundenen Fluß, bis in die runden Meere.
Es wird sechs Uhr morgens am 1. November.
Ich bin aus dem Schlaf geschossen wie ein abgeschnellter Pfeil. Gott hat mich geweckt. Ich hatte keinen anderen Grund aufzuwachen. Ich bin losgerissen worden wie ein Blatt aus einem Buch. Von einer Hand. Da bin ich auf den Erdboden geflattert, hieher, vors Fenster. Die Mondsichel liegt zart wie eine goldene Augenbraue auf dem blauen Blatt der Nacht.
Da bemerkte ich, daß es am anderen Fenster, auf der Morgenseite grünlich wird. Papageienfedrig. Schon laufen auch die faden rötlichen Streifen des Sonnenaufgangs herauf. Aber noch ist alles grün, blau und ruhig. Ich springe zum ersten Fenster zurück: Liegt die Mondsichel noch da? Sie liegt da, als ob es tiefste Stunde des nächtlichen Geheimnisses wäre. So überzeugt von der Wirklichkeit ihrer Magie, als ob sie Theater spielte. (Nichts Komischeres gibt es, als wenn man aus vormittägigen Straßen in den Abersinn einer Theaterprobe tritt.) Links pulst schon die Straße, rechts probt die Mondsichel.
Ich entdecke seltsame Brüder, die Schornsteine. In Gruppen zu dritt, zu fünf, zu sieben oder allein stehen sie auf den Dächern; wie Bäume in der Ebene. Der Raum windet sich wie ein Fluß zwischen ihnen in die Tiefe. Ein Uhu schleift zwischen ihnen nach Hause; aber wahrscheinlich war’s eine Krähe oder gar nur eine Taube. Die Häuser stehen kreuz und quer; seltsame Umrisse, abstürzende Wände; nicht mehr nach Straßen geordnet. Die Stange am Dach mit den sechsunddreißig Porzellanköpfen und den zwölf Verspannungsdrähten steht vor dem Morgenhimmel als ein völlig unerklärliches geheimnisvolles oberstes Gebilde. Ich bin jetzt ganz wach, aber wohin ich mich wende, gleitet der Blick um Fünfecke, Siebenecke und steile Prismen: Was bin ich? In welcher Welt lebe ich, o Gott? Der ich am gütigen Tag gleichgültig vertraute Dinge zu sehen meine? Die Amphore am Dach, tagsüber eine lächerliche Ananas, verächtliches Geschöpf schlechten Geschmacks, stärkt in dieser Einsamkeit mein Herz wie eine frische Menschenspur.
Endlich kommen zwei Beine durch die Nacht. Der Schritt zweier Frauenbeine und das Ohr; nicht schauen will ich; nur mein Ohr steht auf der Straße wie ein Eingang. Und niemals war ich mit einer Frau so vereint wie mit dieser unbekannten, als ihre Schritte immer tiefer in meinem Ohr verschwanden.
Dann zwei Frauen. Die eine filzig schleichend, die andere stapfend mit der Rücksichtslosigkeit des Alters. Schwarz. Seltsame Formen haben Kleider alter Frauen. Sie streben zur Kirche. Und nun weiß ich: Längst ist da und dort um diese Stunde die Seele schon in geordneten Betrieb genommen, die mich als Spuk genarrt hat. Frühstück, Briefträger, Morgenblatt! Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben!
Sarkophagdeckel
Irgendwo hinten am Pincio ruhen