Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Die Schafe sind ängstlich und blöd, wenn der Mensch kommt; sie haben Steinwürfe und Schläge des Übermuts kennen gelernt. Aber wenn er ruhig stehen bleibt und in die Weite starrt, vergessen sie ihn. Sie stecken die Köpfe zusammen und bilden, zehn oder fünfzehn, einen Strahlenkreis, mit dem großen schwarzen Mittelpunkt der Köpfe und den Strahlen der Rücken. Die Schädeldecken pressen sie fest gegeneinander. So stehn stundenlang sie und der Mensch in der hohen Kapsel von Himmel und Meer, und das Blut pocht gegen die kleine Knochenkapsel ihrer Schädel. Immer lächerlicher, trauriger und unerträglicher wird der Sekundenschlag der Unendlichkeit.
Wie spritzt das Blut, wenn der Mensch, um sich von solcher Gesellschaft zu befreien, nach einem Tier greift und es schlachtet! Sein Herz wird wieder groß und hart. Aber die übrigen Herzen setzen den Wanderzug fort, Hügel auf und ab im Dunkel, uralte Begleiter des Menschen; sie haben die weißen Felle übergeworfen, und aus den schwarzen Hauben des Todes spähn ihre unergründlichen Augen nach Futter.
Der Malsteller
Wenn man durch mehrere Jahre gezwungen ist, Gemäldeausstellungen zu besuchen, so muß man eines Tages den Begriff Malsteller erfinden. Er verhält sich zum Maler wie der Schriftsteller zum Dichter. Das Wort bringt Ordnung in verwirrte Erscheinungen. Es leben die Schriftsteller seit Beginn unserer Zeitrechnung von der Umstellung der zehn Gebote Gottes und einigen Fabeln, welche ihnen die Antike überliefert hat; die Hypothese ist daher schon an sich nicht unwahrscheinlich, daß auch die Malerei nur von zehn malerischen Grundeinfällen lebt, und das ist gar nicht wenig. Denn wenn man diese zehn Einfälle richtig variiert, das heißt, in wechselnder Reihenfolge anwendet, so gibt das 3,628.800 verschiedene Kombinationen. Man kann also viele Kilometer Bilderwände zurücklegen und zählen: 1, 2, 3, 4, 5 …; 2, 1, 3, 4, 5 .. 3, 2, 1, 4, 5 … usw.: es ist jedesmal etwas anderes und doch immer das Gleiche.
Bestätigt wird das durch den Eindruck, den die Bilderausstellungen machen. Es scheint nämlich, daß es ungefähr nach der ersten Million den Malstellern selbst zu dumm wird, und sie wechseln dann die Richtung. Was eine «Richtung» ist, sieht man auf den ersten Blick, wenn man in einen Ausstellungssaal eintritt. Man würde es viel schwerer erkennen, wenn man vor ein einzelnes Bild träte; aber von der Tür aus erkennt man mühelos, daß die ganze Wand eine einheitliche Tapete ist. Die Richtungen unterscheiden sich dann nur durch das Tapetenmuster. Ich will den Malstellern damit nicht nahetreten, sie geben rechtschaffene Arbeit, können viel und sind durchaus Individualitäten. Aber die Statistik ebnet das ein.
Einen Nachteil haben die Malsteller überhaupt: daß sie offen an der Wand hängen; Bücher haben den Vorteil, daß sie eingebunden und unaufgeschnitten sind, dadurch bleiben sie länger berühmt. Dafür haben aber die Malsteller den Vorteil, daß sie «gefragt werden» und «notieren». Wenn es den Kunsthandel nicht gäbe, wie schwer wäre es zu unterscheiden, ob einem 1, 2, 3 oder 2, 1, 3 besser gefällt! Christus hat seinerzeit die Händler aus dem Tempel getrieben; ich bin aber überzeugt: wenn man den rechten Glauben besitzen könnte, dann könnte man ihn auch verkaufen, dann könnte man sich auch mit ihm schmücken, und dann gäbe es sehr viel mehr Glauben in der Welt als jetzt. Ein anderer Vorzug der Malerei ist ihre Technik. Schreiben kann jedermann. Malen kann zwar auch jedermann, aber man weiß es nicht so. Man erfindet Techniken, um es zu verheimlichen. Denn so malen wie ein anderer: das kann nicht jedermann; das muß man studiert haben. Die mit Recht jetzt beliebten Zeichnungen der Volksschulkinder würden in der Akademie durchfallen, wogegen der umlernende Akademiker viel Mühe darauf verwenden muß, um sich an Stelle seiner Konvention das kindliche Zeichnen anzueignen. Es ist ein historischer Irrtum zu glauben, daß die Meister Schule machen, die Schüler machen sie.
Genauer betrachtet, ist es aber gar nicht wahr, daß jedermann schreiben kann; im Gegenteil, niemand kann es, jeder schreibt bloß ab und mit. Es ist unmöglich, daß ein Gedicht von Goethe heute auf die Welt käme, und wenn es durch ein Wunder dennoch geschähe, so wäre das herrliche alte ein anachronistisches, unbegreifliches, ja schlechtes neues Gedicht, und zwar offenbar aus keinem anderen Grund, als weil es von keinem zeitgenössischen Gedicht abgeschrieben ist. Gleichzeitigkeit ist immer Abschreiben. Unsere Ahnen schrieben Prosa in langen, schön wie Locken gedrehten Sätzen, wir – obgleich auch wir es noch in der Schule so gelernt haben – tun es in kurzen, die Sache rasch zu Boden setzenden, und niemand in aller Welt kann seine Gedanken von den Punkten, Strichpunkten und Beistrichen samt allen ihren Konsequenzen befreien, von den Worten und der Art, wie seine Zeit das Sprachkleid trägt. Kein Mensch weiß deshalb genau, wieviel von dem er meint, was er schreibt, und beim Sprechen verdrehn die Menschen lang nicht so die Worte, wie die Worte den Menschen.
Vielleicht also kann doch auch nicht jedermann malen? Sehr richtig, und ich glaube: der Maler kann es nicht. Er verhält sich zum Malsteller wie der Dichter zum Schriftsteller, und auch der Dichter ist der, welchem das Schreiben schwer fällt, weil er irgendwie bloß mit dem Abschreiben nicht auskommt, so lange, bis das Allerweltskleid an ihm eine andere Fasson hat und wie neu aussieht. Er ist nach Ansicht seiner Zeitgenossen immer bloß der, welcher das nicht kann, was der Schriftsteller kann. Weshalb sich so viele Schriftsteller für Dichter halten und Malsteller für Maler. Der Unterschied stellt sich gewöhnlich erst heraus, bis es zu spät ist. Denn dann ist bereits eine neue Generation von -Stellern da, welche das schon kann, was der Maler und der Dichter eben erst gelernt haben.
Man kann daher auch sagen, der Maler und der Dichter gehören der Zukunft an oder der Vergangenheit, sie werden immer erwartet oder als ausgestorben beklagt. Wenn aber einer einmal leibhaftig dafür gilt – ist es gewöhnlich nicht der Richtige.
Hasenkatastrophe
Die Dame war gewiß erst am gestrigen Tag aus der Glasscheibe eines großen Geschäfts herausgetreten, niedlich war ihr Puppengesichtchen; ich meine zuweilen, man müßte erst tüchtig mit dem Stiefelabsatz in solch einem Gesicht herumrühren dürfen, bevor ein wenig Originalität hineinkäme. Aber man trägt Schuhe mit seifenglatten Büffelledersohlen und Beinkleider, die wie mit dem Lineal und weißer Kreide entworfen sind. Man entzückte sich am Wind. Er preßte das Kleid an die Dame und machte ein jämmerliches kleines Gerippe aus ihr, ein dummes Gesicht mit einem ganz kleinen Mund. Dem Zuschauer machte er natürlich ein kühnes Gesicht. Geradenwegs von Gott kam dieser Wind, besessen noch von den sieben Schöpfungstagen, als Gott blies, um die Erde zu kühlen, und niemand noch wußte, was dabei herauskommen würde.
Kleine Hasen leben ahnungslos zwischen den weißen Bügelfalten und den teetassendünnen Röcken. Schwarzgrün wie Lorbeer dehnt sich sonst der Heroismus der Insel um sie. Möwenscharen hocken in den Mulden der Heide, wie Beete voll weißer Schneeblüten, die der Wind bewegt. Der kleine, weiße, langhaarige Terrier der kleinen, mit einem Pelzkragen geschmückten weißen Dame stöbert durch das Kraut, die Nase fingerbreit über der Erde; weit und breit ist auf dieser Insel kein anderer Hund zu wittern, nichts ist da als die ungeheure Romantik vieler, kleiner, unbekannter, die Insel durchkreuzender Fährten. Riesengroß wird der Hund in dieser Einsamkeit, ein Held. Aufgeregt, messerscharf gibt er Laut, die Zähne blecken wie die eines Seeungeheuers. Vergebens spitzt die Dame das Mündchen, um zu pfeifen, der Wind reißt ihr das kleine Schällchen, das sie hervorbringen möchte, von den Lippen.
Mit solch einem stichligen Fox habe ich schon Gletscherwege gemacht; wir glatt auf den Skiern, er blutend, bis zum Bauch einbrechend, vom Eis zerschnitten und dennoch voll wilder, nie ermüdender Seligkeit. Jetzt hat er etwas aufgespürt, die Beine galoppieren wie Hölzchen, der Laut wird ein Schluchzen. Merkwürdig ist an diesem Augenblick, wie sehr solche, flach auf dem Meer schwebende Insel an die großen Kare und Tafeln im Hochgebirge erinnert. Die schädelgelben, vom Wind geglätteten Dünen sind wie Felskränze aufgesetzt. Zwischen ihnen und dem Himmel ist die Leere der unvollendeten Schöpfung. Licht leuchtet nicht auf dies und das, sondern schwemmt wie aus einem versehentlich umgestoßenen Eimer über alles. Man ist jedesmal erstaunt, wenn man entdeckt, daß Tiere diese Einsamkeit bewohnen. Sie gewinnen etwas Geheimnisvolles; ihre kleinen weichwolligen und -fedrigen Brüste bergen den Funken des Lebens. Es ist ein kleiner Hase, den der Fox vor sich hertreibt. Ich denke: eine kleine, wetterharte Bergart, nie wird er ihn erreichen. Eine Erinnerung aus der Geographieschule wird lebendig: Insel – eigentlich stehn wir ja auf