Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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hundert Brüder dieser eine,

      Und er ißt ihr Herz, und sie das seine.

      Heimweh

      Bin ein trübseliger Wetterling;

      Vor meinem Haus zwei gelb Schmetterling

      Flackern im Grau.

      Du, meine Frau!

      Traumgaukelding!

      Tückischer Zaubervogel, schwankst

      Still in mir wie im Schaukelring.

      An ein Zimmer

[1920]

      Leises Zimmer, so heimlich weit

      Wie einer toten Großvater-Cousine Kleid

      Hingst Du im duftenden Schrank der Welt.

      Oh Kinderglühn, vom Dunkel verzweit!

      Oh Einsamkeit

      Unter seidenen Röcken, über uns gestellt,

      Von der Geliebten goldenem Dattel-Leib

      Schimmernd erhellt!

      Das Namenlose

[1920]

      Aus einem Abend wie ein aufgesprungner Schrein

      Schwebt Ding nach Ding leis in die Nacht hinein,

      Geliebte, diese Welt ist Dein und mein!

      Ist wie ein Tanz durch einen sanften Wiesenhang,

      Der sacht gedrehten Grüns um uns entgleitet …

      Indes er den entzückten Fuß noch abwärts leitet,

      Fühlst Du und ich entgrenzt schon unsren Gang,

      Um den der Raum so segelhaft sich weitet.

      Und nun der Tanz uns mählig auseinanderbreitet –

      An allen Stellen trunken uns verwebend

      Im Drehn, das groß und geisterhaft schon schreitet, –

      Fühlst Du und ich, bis in die Mitte bebend,

      Die Erde sinkt, uns einsam umeinander hebend.

      Die Hitze

[Vermutlich 1904-06]

      Eine Hitzewelle und ein Maximum

      Wälzen sich über Berlin herum …….

      30 Grade zählst Du im Schatten

      Der Nacht und zahlreiche Bräutigatten.

      Sie flüstern unter jedem Baum und hinter jedem Strauch

      Und in allen Haustoren flüstern sie auch.

      Die Bräutigattinen jedoch zählst Du besser

      Nicht, denn sonst regnet’s bei der Hitze Messer.

      … So gehst Du nach Hause und trinkst versonnen

      Da und dort unterwegs einen Schultheißbronnen ….

      Und führt Dein Weg an einer Bank vorbei,

      So merkst Du befriedigt: dort sitzen zwei,

      Und legt sich Dir Park-oder Buschwerk die quer,

      So merkst Du sicher: dort sitzen mehr

      Und wenn Du dann Augen hast, siehst du Weißes

      Und hast Du Ohren, hörst Du ungemein Heißes

      Und überhaupt mußt Du allseits vor Seufzen und Schmatzen

      Beklommen Deine vereinsamten Lippen kratzen.

      Und weil Du langsam wandelst der Hitze wegen,

      Hast Du reichlich Zeit, Dir zu überlegen,

      Wie bei solch einem Wetter doch unerwartet

      öffentlich die gute Sitte entartet,

      Wodurch es auch der Tugendhafte nicht vermeidet,

      Daß sein Schamgefühl unter der Hitze leidet.

      So merkst Du sicher bald ihrer mehr

      Denn manchmal raschelt vor Dir etwas Weißes

      Und manchmal wispert hinter Dir etwas Heißes

      Und links u rechts hörst Du es seufzen u schmatzen

      Und siehst selig Verschlungne sich sinnend betatzen

      Wie bei solch einem Wetter doch niemand vermeidet

      Daß sein Schamgefühl unter der Hitze leidet.

      Dernburg

[Etwa 1910]

      Das intellektuelle Niveau eines Parlamentes

      Freundlich unter uns gesagt: na, man kennt es

      Wogegen sich mit Dernburg das Versehen ereignete,

      Daß man sein Amt einem gab, der sich dafür eignete.

      Und ich meine, nach diesen beiden Prämissen

      Konnte man das Ende invorhinein wissen.

      Nun geht er, und alles kehrt wieder zum Alten

      Der berühmte Erzberger bleibt uns erhalten

      Und im Kolonialamt anstelle der Börsenjobber

      Regiert wieder lautlos der geheime Ober

      Der Bürger endlich blickt still in die Weite

      Und spart Steuergelder für die kommende Pleite

      [Schön ist die Zeit]

[Ohne Titel – vermutlich 1910 oder später]

      Schön ist die Zeit, doch ungesund

      Man sündigt im Civilstand und

      Mit Stiefeln und mit Spornen

      Von hinten und von vornen

      Was jüngst passiert, habn wir gehört das wissen wir

      Doch auch das Weib hat sich verkehrt es wird zum

      Tier im Weibe steckt das Tier

      Die Keuschheit geht kapores

      O tempora o mores!

      Es schreit illegitim und bleich

      Nach Mutterschaft, am liebsten gleich

      Von hinten und von vornen

      Mit Stiefeln und mit Spornen, (u flucht den Ungebornen)

      Selbst der Primaner sündigt still

      Nicht mehr für sich, beim Mädchen will

      Er lindern die dolores

      O tempora, o mores!

      So bläht die Unzucht sich im Schmutz

      Passiert etwas – der Mutterschutz

      Nimmt an sich der Verlornen

      Von hinten und von vornen

      2. Widmungen

      Thomas Mann zum 60. Geburtstag am 6. Juni 1935

      Wenn sich die Menge verläuft

      stehen die Sterne am Himmel

      und ins verschlossene Haus

      kommen die Gäste von oben.

      An Otto Pächt In einem Exemplar des «Nachlaß zu Lebzeiten» «zu Weihnachten 1935»

      Urheberrechtlich, wie ich dächt’,

      Fällt dieses Buch an Otto Pächt.

      Mißfällt’s, so tragen wir’s zu zwein,

      Gefällt’s, so tu’ ich’s auch allein,

      Der Fall könnt’ gar nicht besser sein.

      So ist das Schenken eben

      Nicht einmal Wiedergeben.

      An «E. u B