Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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das Entsetzlichste, und es kommt ganz gleichgültig herauf, ohne Grauen und Spannung. Weil gerade ein Telephon in der Nähe ist oder nicht in der Nähe ist, aus Langweile, aus Sinnlosigkeit des Widerstands. Weil das ganze Dahinleben so schrecklich von selbst und ohne dich geht, ohne Schuld und Unschuld, wenn man es einmal begonnen hat.

      Thomas geht zu ihr und sieht sie unschlüssig an: Aus tausend Gründen quellend; die ein Detektiv oder ein Menschenkenner erforschen kann; nur nicht aus dem einen, dem tiefsten Grund: aus dir.

      Regine abwehrend: Wir können es nicht noch einmal machen. Sie geht weiter weg von ihm. Menschen glauben dich zu besitzen, dein ganzes Wesen liefert sich ihnen aus und du bist gar nicht vorhanden in diesem wahnsinnig abschnurrenden Spielwerk …: Das war einmal schön, Geheimnis, Zauberei, eine Formel von wahnsinniger Kraft. Irgendwie gut und groß.

      Thomas: Aber doch auch bloß: die Anfangsillusion, die jeder junge Mensch von sich hat, das Morgengefühl. Man kann tun, was man will, denn alles kommt zu einem selbst zurück wie ein in die Luft geworfener Bumerang.

      Regine: Man hatte Freude daran, sich exzentrisch zu parfümieren und komplizierte leichte Speisen zu essen. Und eines Tags ertappt man sich dabei, daß man nur mehr Tee trinkt, Bonbons ißt und Zigaretten raucht. Hineingezogen fühlt man sich in einen Plan, der vor allem Anfang gemacht war, und eingeschlossen. Das Vorherberechnete kommt über dich, das was alle wissen; der Schlaf zu bestimmten Stunden, die Mahlzeiten zu bestimmten Stunden, der Rhythmus der Verdauung, der mit der Sonne um die Erde geht …

      Thomas: Und im Sommer nehmen die Zeugungen zu und im Herbst die Selbstmorde.

      Regine: Es zieht dich hinein! Und die Männer werden noch immer wie etwas unverständlich Kriechendes zu mir kommen; wie Tausendfüßer, wie Würmer; du merkst keinen Unterschied und fühlst doch, daß in jedem von ihnen das Leben verschieden ist …!

      Thomas wie mit einer Vision vor sich, sieht von fern durchs Fenster ins Ferne: Bald wird jetzt Maria mit Anselm weit draußen stehn; in einer fremden Landschaft. Die Sonne wird auf Gras und Sträucher scheinen wie hier, das Gestrüpp wird dampfen und alles in der Luft fliegende Fleisch wird jubeln. Anselm wird vielleicht lügen, aber in jener fernen Landschaft kann ich gar nicht wissen, was er sagt …

      Regine: Bist du unglücklich?

      Thomas: Jeder Konflikt hat seine Bedeutung nur in einer bestimmten Luft; sowie ich sie in dieser fernen Landschaft sehe, ist alles vorbei. Das ist nicht in Einklang zu bringen, Regine; alle letzten Dinge sind nicht in Einklang mit uns zu bringen. Wohl ist nur denen, die es nicht brauchen.

      Regine: Hilf mir, Thomas, rate mir, wenn du es kannst.

      Thomas: Wie soll ich dir helfen? Man muß einfach die Kraft haben, diese Widersprüche zu lieben.

      Regine: Was wirst du denn tun?

      Thomas: Ich weiß nicht. Jetzt denke ich so, aber vielleicht denke ich später anders. Ich möchte bloß vor mich hingehn …

      Regine: Geh mit mir fort! Machen wir etwas! Nur irgend etwas! Hilf mir doch! Mein Wille von einst wird sonst zu einem Brei von Ekel!

      Thomas: Aber Regine. Fast körperlich weiter erscheint die Welt, wenn vordem die rechte Seite immer durch die Nachbarschaft eines andren Menschen abgeblendet war. So steht man mit einemmal erstaunt in einem weiten Halbkreis. Allein.

      Regine: Bleiben wie ich bin, kann ich nicht! Und anders werden, wie denn?! Wie Maria?!

      Thomas: Man wandert einfach so umher. Feindlich sind dir alle, die ihren bestimmten Weg gehn, während du auf der unbestimmten Bettlerfahrt des Geistes durch die Welt bist. Trotzdem gehörst du ihnen irgendwie zu. Nicht viel sagen, wenn sie dich streng anschaun; Stille; man verkriecht sich hinter seiner Haut.

      Regine mit plötzlicher Wendung zum Gehen: So hast du mir nur noch eins zu tun übriggelassen! Das, was ich dir nicht gesagt habe!

      Thomas: Übertriebenheiten! Ich habe dich absichtlich nicht mehr danach gefragt. In diesen letzten Tagen dachte ich auch manchmal daran. Aber wenn man nachher an seiner eigenen Leiche stehn könnte, würde man sich der Voreiligkeit schämen. Denn die Gelsen würden einen an diesen schönen Sommertagen respektlos stechen und man würde sowohl vom Schauer der Unendlichkeit ergriffen sein als sich kratzen.

      Regine lächelnd: Thomas, Thomas, du bist ein fühlloser Verstandesmensch.

      Thomas: Nein nein, Regine, wenn irgendwer, so bin gerade ich ein Träumer. Und du ein Träumer. Das sind scheinbar die gefühllosen Menschen. Sie wandern, sehn zu, was die Leute machen, die sich in der Welt zu Hause fühlen. Und tragen etwas in sich, das die nicht spüren. Ein Sinken in jedem Augenblick durch alles hindurch ins Bodenlose. Ohne unterzugehn. Den Schöpfungszustand.

      Regine küßt ihn rasch und eilt hinaus, bevor er nach ihr greifen kann.

      Thomas: Aber Regine! … Nein, nein, sie wird doch keinen Unsinn tun. Steht aber doch auf und geht ihr nach.

      vorhang

      Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer

Posse in drei Akten[1924]

      Personen

      Alpha

      Bärli, Großkaufmann

      Der Gelehrte

      Der Musiker

      Der Politiker

      Der Reformer

      Ein junger Mann

      Die Freundin

      Dr. Apulejus-Halm

      Vinzenz

      Erster Akt

      Nächtliches Zimmer. Von einer Straßenlampe zum Teil schwach erhellt. Hinten, etwas erhöht, durch einen halb zurückgezogenen großen Vorhang abgetrennt, ein alkovenartiger zweiter Raum, in welchem ganz abgedämpft eine Ampel brennt. Man unterscheidet im Vorderzimmer eine Ottomane, sonst nur unbestimmt ragende dunkle Gegenstände. Etwa drei Uhr morgens. Durch die Seitenwand treten Alpha und Bärli ein. Beide Gesellschaftskleid und Theatermantel darüber. Alpha dreht die Lampe eines Spiegeltischchens im Vordergrund auf; Stehschirme daneben, sodaß nur der nächste Umkreis bestrahlt wird. Alpha beschäftigt sich vor dem Spiegel; Bärli steht neben ihr.

      Bärli: Das muß ein Ende haben!

      Alpha: Sagen Sie mir, warum muß es ein Ende haben? Sehen Sie diese Bürste an; sie hat zwei Enden. Nein, sie hat überhaupt so viel Enden wie Haare. Zählen Sie ihre Enden. Ich möchte wahrhaftig einmal erfahren, woher man solche Gewißheiten nimmt!

      Bärli: Sie müssen mich heiraten!

      Alpha: Ihr Kopf ist phantasieloser als meine Kopf bürste.

      Bärli: Mein Kopf ist in dieser Richtung ganz phantasielos. Aber ich habe schon Männer vor mir auf den Knien gesehn, die um Schonung ihres Geschäfts und ihrer Familie baten, – Alpha: Und –?

      Bärli: Ich habe sie ihnen niemals gewährt.

      Alpha: Ich glaube, das ist etwas, was mir an Ihnen gefällt.

      Bärli: Ich habe Frauen hinausweisen lassen, die für ihre Männer baten –

      Alpha: Waren es stolze Frauen?

      Bärli: Ja, es mögen schöne Frauen darunter gewesen sein, und auch weinende Mütter.

      Alpha: Ich glaube, das gefällt mir sehr an Ihnen. Ich bin auch so. Mich würde auch eine weinende Frau nicht rühren.

      Bärli: Ich darf sagen, daß ich mit meinen Unternehmungen ein wirtschaftlicher Faktor im Staat bin, und ich habe mehr als einmal diese ganze Macht auf eine einzige Karte gesetzt, bloß um sie in die Luft zu werfen und wieder zu gewinnen. In dieser Richtung habe ich Phantasie, Alpha, eine genügend wilde Phantasie!

      Alpha: Und?

      Bärli