Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Josef: Ach, unpassende Geistreicheleien, mit denen du gern groß tust. Man müßte sie Anspruchslosigkeit lehren und Achtung vor den festen Grundlagen des Daseins.
Thomas: Josef, eben das ist es: die hat sie nicht, diese Achtung. Für dich gibt es Gesetze, Regeln; Gefühle, die man respektieren muß, Menschen, auf die man Rücksicht zu nehmen hat. Sie hat mit all dem geschöpft wie mit einem Sieb; erstaunt, daß es ihr nie gelingt. Inmitten einer ungeheuren Wohlordnung, gegen die sie nicht das geringste Stichhaltige einzuwenden weiß, bleibt etwas in ihr uneingeordnet. Der Keim einer anderen Ordnung, die sie nicht ausdenken wird. Ein Stückchen vom noch flüssigen Feuerkern der Schöpfung.
Josef: Du willst sie also wohl gar noch als einen Ausnahmemenschen hinstellen? Steht auf. Ironisch, entschlossen, mit verstellter Feierlichkeit. Ich danke dir; du hast mich sehen gelehrt. Weißt du, daß du damit auch den verteidigt hast, mit dem deine Frau geht?
Thomas: Ja. Das weiß ich. Und das will ich ja doch. Du verlangst Ideale; aber auch, daß man keinen extremen Gebrauch von ihnen mache. Du läßt die Witwer wieder heiraten, aber erklärst die Liebe für unendlich, damit die Wiederverehelichung erst nach dem Tode erfolgt. Du glaubst an den struggle of life, aber milderst ihn durch das Gebot: Liebe deinen Nächsten. Du glaubst an die Nächstenliebe, aber milderst sie durch den struggle of life. Du verschaffst den Gesetzen unbedingt Geltung, aber begnadigst hinterdrein. Du bist für Besitz und Wohltätigkeit. Du erklärst, daß man für die höchsten Güter sterben müsse, weil du schon voraussetzt, daß keiner auch nur eine Stunde lang für sie lebt –
Josef unterbricht ihn: Du möchtest also mit einem Wort behaupten, daß ich überfordere; am Ende, daß ich zu rigoros war. Oder umgekehrt: daß ich solch eine gewöhnliche Kompromißnatur bin?
Thomas: Ich will nur behaupten, was niemand bestreitet, daß du ein tüchtiger Mensch bist, der sich eine solide Grundlage schaffen muß! Ich will gar nichts andres behaupten. Du gehst auf einem ausgelegten Balkennetz; es gibt aber Menschen, die von den dazwischenliegenden Löchern angezogen werden hinunterzublicken.
Josef: Ich danke; ich erkenne jetzt doch, wer du bist. Du bist zwischen den Kranken ein Angekränkelter.
Thomas: Ich meine, daß man gegen Menschen wie dich um die Berechtigung kämpfen muß, hie und da krank zu sein und die Welt aus der Horizontale zu sehn.
Josef geht nahe zu ihm: Glaubst du, daß man mit solchen Anschauungen das Vertrauen verdient, Schüler zu haben und an der Universität lehren zu dürfen?
Thomas: Ich pfeife auch drauf. Verstehst du: ich – pfeif – dir drauf. Ich möchte mir das Gefühl bewahren, durch eine fremde Stadt zu gehn, in der ich noch ungeheure Möglichkeiten vor mir habe.
Josef: Also so weit geht deine Übereinstimmung mit diesem davongejagten Privatdozenten?
Thomas schreit ihn an: Ich finde ihn lächerlich!! … Ich verteidige ihn ja nur gegen dich.
Josef: Thomas, du bist noch immer verwirrt! Zehn Jahre hast du wissenschaftlich gearbeitet; und ich muß sagen, tüchtig. Du sprichst unverantwortlich, aber ich fühle mich für dich verantwortlich.
Thomas: Sieh um dich! Unsre Kollegen fliegen, durchbohren Berge, fahren unter Wasser, zucken vor keiner noch so tiefen Neuerung ihrer Systeme zurück. Alles, was sie seit Jahrhunderten machen, ist kühn als Gleichnis einer ungeheuren, abenteuerlichen neuen Menschlichkeit. Die niemals kommt. Denn ihr habt über eurem Tun längst seine Seele vergessen. Und wenn ihr Seele haben wollt, verliert ihr den Verstand so wie ein Student die Couleur ablegt, bevor er zu Weibern geht.
Josef: Das ist mangelnder Ernst! Macht, was ich wollt! Euer armer Vater auf seinem Totenbett hat euch Geschwister und Vettern zwar meiner als des Älteren Sorge anvertraut, aber Gott sei mein Zeuge, ich kann mich nicht länger damit einlassen. Ich will mit euch nichts zu tun haben. Nichts! Zornig ab.
Thomas lacht hinter ihm drein. Regine öffnet leise die Tür.
Regine: Ich habe gehorcht.
Thomas gespielt: Das sollst du nicht mehr tun, Regine.
Regine putzt ihren Rock ab: Was liegt daran, ob ich zuletzt das noch tue. Oh, ich wollte es noch einmal versuchen; aber – sie sagt das, wie man von einem bösen Zeichen spricht – ich habe mich geschämt.
Thomas: Reginchen, Träumelinchen, das darfst du nicht tun, das schickt sich nicht. Du bist jetzt ein edler, erwachsener, kämpfender Mensch. Weißt du schon? Maria ist fort. Wein doch nicht! Natürlich: Anselm!
Regine kämpft mit den Tränen: Nicht um Anselm, nicht um Anselm! Soll ihn sich Maria nur holen! Mir war er nie auch nur sympathisch; immer blieb etwas fremd; eilig in den Beinen, schnüffelnd um die Nase. Ich hatte nie dieses einfach körperliche Vertrauen zu ihm, wie ich es, solange ich denken kann, zu dir hatte … Aber ich habe gefühlt, mein Leben wird besser; er hat soviel Interesse für mich gehabt; er findet an jedem etwas heraus; da durfte nichts mehr nur beiläufig geschehn …
Thomas: Ach? Und die Narretei mit Johannes?
Regine: Thomas, für mich hat Johannes gelebt, nur für mich! Er hatte keinen andren Zweck und Lebensinhalt anerkannt als mich! So verrückt war ich nie, zu vergessen, daß das alles war; an Wirklichkeit. Aber daß es dieses Wesen in der Welt nicht mehr gab: dagegen lehnte ich mich auf. Es war Flucht in die Unwirklichkeit, gut – Sie denkt nach und wiederholt es ohne die Mißbilligung im Ton. Flucht in die Unwirklichkeit: auch das hat er immer gesagt, Anselm … In die Nochnichtwirklichkeit, auf den Berg. Es ist etwas in uns, das zwischen diesen Menschen nicht zu Hause ist: wissen wir, was es ist? Und hat nicht den Mut dazu gehabt! … Ich war ja plötzlich ganz blöd und keusch geworden, als ich merkte, es handelt sich um andres. Das war nicht mehr dieses traumhaft einfache einen Menschen hineinziehn hinter die vier Papierwände der Phantasie. Seine Ideen schoben einen Widerstand davor. Zum erstenmal war es nicht dieser sinnlos direkte Weiberweg von den Augen unter das Herz; ich begriff: starke Menschen sind rein. Und ob du mich auslachst: ich wäre immer gern stark gewesen wie ein Riese, von dem man noch nach Geschlechtern erzählt! Und jeder kann es; jeder läßt sich nur in sich hineinpacken wie in einen zu kleinen Koffer. Aber er hat den Mut nicht gehabt! Er hat sich gerettet! Thomas! Was er mit Maria tut: das ist feige Flucht in die Wirklichkeit!
Thomas: So einfach geht es bei Maria nicht, du wirst sehn.
Regine bereitet sich Tee: Ich war, bevor ich an die Tür kam, noch einmal durch das Haus gegangen. Zu den alten Kinderzimmern, zu den Bodenkammern, zu allen Plätzen unsrer Phantasie. Auch an der Stelle, wo sich Johannes getötet hat, war ich. Sie zuckt die Achseln mit dem Ausdruck: es war nichts. Alles war fast genau so wie einst. Die Dienstleute standen hinter ihren Türen auf; etwas später, so warten sie in ihren Zimmern darauf, daß man klingle. Alles ist dann aufgeräumt und aufgezogen. Bereit, loszuschnurren wie an allen den fünfzehnmal dreihundertfünfundsechzig nicht mehr vorhandenen Tagen. Darunter die Tage, wo ich nicht hier war, wo ich unglücklich war, wo ich in einem fremden Haus ins Bettlaken biß und weinte.
Thomas: Immer leerer wird das Haus. Anselm ist fort. Maria ist fort; ich wette, daß Josef den nächsten Zug nimmt.
Regine: Oh, ich möchte mich noch einmal niederwerfen dürfen auf die Erde, zwischen die Blumen des Teppichs. Sieh mich nur so an – halt mich mit deinen bösen nüchternen Augen, damit ich es nicht tue!
Thomas: Auf solchen großen Blumen sind wir manchmal Ornamente gegangen. So groß waren sie nicht, aber sinnlos verschlungen.
Regine: Die Blumen wachsen maßlos, wenn man auf der Erde liegt. Die Stuhlbeine stehen wie Bäume ohne Kronen steif und warumlos in ihre Stellen gepflanzt: Das ist die Welt. Die große Welt.
Thomas: Wir saßen einmal in einem Schrank – erinnerst du dich noch? – versteckt.
Regine geht aufmerksam den paar großen Kurven des Teppichmusters nach; vor und zurück, manchmal von der einen zur andren übertretend: Das ist so unheimlich. Ich