Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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Es gibt Menschen, die wahr sind hinter Lügen und unaufrichtig vor der Wahrheit.

      Thomas: Man findet einen Gefährten und es ist ein Betrüger! Man entlarvt einen Betrüger und es ist ein Gefährte!

      Maria: Ich verstehe kein Wort.

      Fräulein Mertens die man bisher nicht bemerkt hat: Ich bitte gehen zu dürfen. Ich vermag nicht mehr zu folgen. Ich vermag offenbar nicht, solche »vulkanische Menschen«, in denen »ein Rest von der Schöpfung her« noch nicht fest geworden ist, zu verstehn.

      Thomas: Sind auch Schwindel in dieser Zeit. Sie duldet nur kurze Gefühle, lange Nachdenklichkeiten.

      Maria: Ich verstehe kein Wort. Ihr habt euch versöhnt? Ich verzeihe es ihm nicht!

      Anselm: Ich habe schlecht von Ihnen gesprochen, um mein Gefühl vor fremder Berührung zu schützen!

      Thomas: Schweig, Anselm, du mußt zu Bett. Du mußt schlafen. Du mußt morgen früh fort. Ich möchte beinahe an deiner Statt dahingehen, eingewiegt von Planlosigkeit. Ihr habt ja recht. Man ist nie so sehr bei sich, als wenn man sich verliert.

      vorhang

      Dritter Aufzug

      Ein hallenartiger Mittelraum im ersten Stockwerk. Türen. Eine hölzerne Innentreppe führt hindurch. Seltsame Arabesken im Teppich. Hinten ein sehr großes Fenster mit Blick auf die Landschaft. Morgengrauen. Schwere, bequeme Holz-und Ledermöbel.

      Vom Charakter der Dinge gilt das gleiche wie im zweiten Akt; der Gesamtraum wirkt aber geschlossen, schrankinnerlich.

      Regine und Thomas in phantastischer Hauskleidung. Thomas steht von einer Lederbank im Hintergrund auf, reckt sich und kommt nach vorn, wo Regine kauert.

      Thomas: Ich schäme mich.

      Regine: Gar keinen Mann anschaun oder jeden ist das gleiche. Man kann sich ihnen ans Herz werfen, bloß weil man verrückt wird vom Fremdsein; vom Nichtverstehenkönnen wie man auch nur ihre Hand länger als nötig in der eigenen halten mag.

      Thomas: Ich habe, bevor ich für den Rest der Nacht hierher kam, noch einmal diese Notizen von dir oder Anselm über dich gelesen: ich schäme mich.

      Regine stimmt zu: Erkaltete Einbildungen. Widerwärtig nackt wie aus dem Nest gefallene Vögel. Trotzdem sie starr ins Licht blickt. Ich kann ja nicht ins Licht schaun, diesen zum Erbrechen schönen Morgen; wie ein verdorbener Weltmagen hebt er sich schon in fader Klarheit.

      Thomas: Und während ich las, war dieser Stader in unsrem Haus. Und in einem andren Zimmer schlief Josef. Und in einem dritten Anselm. Angst hatte ich vor der Frage, ob nicht einer von ihnen noch einmal bei dir schläft.

      Regine: Warum sagst du nicht: Verworfene?! Warum suchst du mich nicht zu heben wie ein gefallenes Mädchen?! Sieh es doch wenigstens natürlich, wenn man schon nimmer die Kraft hat, dahinter etwas zu sehn! – Im Dorf war kein Platz. Josef hat diesen Adjutanten hergeschleppt, konnte man ihn im Park schlafen lassen?

      Thomas: Natürlich nicht! Dieses verdammte menschliche »natürlich« ist es, unter das man sich am Eingang jeder Niedrigkeit bückt.

      Regine ergänzt: Und Anselm ist schon unnatürlich!

      Thomas die Schmalheit der Zwischenzone betonend: Und Anselm ist unnatürlich.

      Pause.

      Thomas gequält: Wenn du wüßtest, wie Männer solch eine Frau verachten!

      Regine: Ich weiß es ja. Und sie haben recht. Ich habe es jedesmal bemerkt, aber es war mir immer eine Rache; weiter innen. Denn das ist es ja auch heute nicht: daß man es getan hat. Sondern daß man davon niedergeworfen wurde; daß man das wird, was man tut! Auflehnung, riesiger Wille, unbenannte Kraft stürzen in die Welt und werden – – nun in deinem Fall werden sie Professor.

      Thomas halb zugebend: Ja, vielleicht bleibt jeder zeitlebens der Gefangene eines Nebenerfolgs. Ich muß mich vielleicht daran gewöhnen.

      Regine: Herrliches Mädchengefühl, wie ein Zaubervogel im Schaukelring die Welt entlang zu schweben! Später erst kommt man darauf, daß man in einem herumgezogenen Käfig saß, der plötzlich stehen gelassen wird.

      Thomas: Ich habe wahrhaftig gestern, als ich mit deinem Mann sprach, noch an deinen Männerabscheu geglaubt; nun muß ich mich daran gewöhnen, meine wilde Schwester, daß du das gleiche in einer niederträchtig häßlichen Weise ausgedrückt hast.

      Regine: Es ist etwas in mir, das wurde nie davon berührt.

      Thomas: Ich fand immer so schön, daß wir nie zuviel voneinander gewollt haben. Es blieb freier Bewegungsraum zwischen uns. Nie dieses idealische Aneinandergepresse, bei dem einem Hören, Sehen und Denken vergeht. Sondern – selbst wenn wir uns durch Jahre weder sahen noch schrieben – ruhiger Schlaf einer unlösbaren Beziehung seit den Kindertagen. Am äußersten Rande war sie Musik wie alles Ferne. Es paßte sogar dazu, daß du Josef geheiratet hast. Das menschlichste Geheimnis der Musik ist ja nicht, daß sie Musik ist, sondern daß es mit Hilfe eines getrockneten Schafdarms gelingt, uns Gott nahe zu bringen.

      Regine: Ich bin vielleicht nur bös, es könnte ja sein; ich mag niemand, ich tue alles heimlich. Aber immer hatte ich den Trost: wenn es einmal ganz schief geht, du kannst Ordnung schaffen; du wirst machen, daß alles, was ich getan habe, gut war. Nun bist du niedergeworfen!

      Thomas: Sorg dich nicht, ich – stehe schon wieder auf!

      Regine: Komm, ziehen wir Schuhe und Strümpfe aus; komm in den Park! Über die nassen Wiesen. Thomas wehrt erleichtert ab. Erinnerst du dich noch an diesen alten Satan Sabine?

      Thomas: Unsere Kinderfrau, die uns zur Tugend anhielt? Endlich weiß ich, an wen mich dein Fräulein Mertens immerzu erinnert hat!

      Regine: Komm über die nassen Wiesen; der blanke Morgentau wird feindlich rein wie ihr Schwamm unsre Füße baden. Auf unsren Schultern wird die Sonne dampfen. Sieh, wie sie aufgeht! Blöd wie ein Knall! Sie höhnt wild und grotesk gegen die Sonne. A-a-a-h!!! Das ist die Schönheit!!! Unsre nackten Sohlen werden die Erde fühlen; das Tier, dem wir entsprungen, ohne uns wegschwingen zu können. Dann finden sie uns tot unter einem Busch. Und werden sich den Kopf zerbrechen, warum wir nackte Füße haben.

      Thomas: Spielst du noch immer damit?! Du bist schon wie Anselm!

      Regine: Ich habe nie daran gedacht; selbst nicht nach Johannes’ Tod. Aber ich glaube, daß man von Anfang an dazu bestimmt ist oder nicht. Es wächst unterirdisch und eines Tags erkennt man seinen Beruf.

      Thomas: Aber – das ist nicht wirklich dein Ernst?

      Regine: Du hast doch Mut für zwei. Soll man am Schlusse wie ein leerer Sack daliegen? Werden wie alle? Was erwartest du denn noch?! Dieses einzige hat man noch nicht versucht; vielleicht ist es auch Schwindel, vielleicht ist es – –: es nahe wissen, macht schon himmlisch frei und furchtlos.

      Thomas packt sie an der Schulter und rüttelt sie: Unsinn! Schön ist es! Verlassenwerden ist schön! Alles verlieren ist schön! Mit seiner Weisheit zu Ende sein ist schön! Wie eine Pupille, die sich ganz klein zusammenzieht, visiert man sein Leben an. Sieht nichts, tritt auf der höchsten Stufe fehl. Und schaukelt langsam wie ein Blatt durch einen tiefen, weiten Raum.

      Maria tritt mit einer Kerze in der Hand ein: Hier ist es hell! Bläst das Licht aus. Ihr seid wach? Habt auch ihr nicht schlafen können? Ich habe, nachdem Regine von mir gegangen war, höchstens zwei Stunden geschlafen. Ich wußte nicht, was wird Anselm machen, was machst du? Du warst gar nicht ins Schlafzimmer gekommen.

      Thomas: Anselm wird sich ausschlafen; er muß heute fort. Er betrachtet Maria von Zeit zu Zeit mit Blicken, die staunen, sie vergeblich ganz umfassen und aufheben wollen.

      Maria setzt sich neben Regine und hüllt sie in ihren Schal: Er tut gewiß viel Schlechtes, ohne es recht zu wollen, wie ein Junge aus innerer Ungelenkigkeit. Und läuft dann davor weg.

      Thomas: