Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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vernichtet: Dann kann ich ihm gar nichts tun. Dann hat er meine Schande ja nur aufgedeckt.

      Regine: Er kann ja keinen Menschen sehn, ohne so sein zu wollen wie er! Er hält es ja nicht aus, ohne daß man ihm sagt: Du bist gut! Sie alle sind ihm entsetzlich! Aber er ist eitel und schwach! Zu Maria. Weiß du, wie er wirklich über dich denkt?

      Josef trotz seiner Verstörtheit: Aber bitte! Man darf sie nicht ausreden lassen!

      Regine: Du bist unerträglich natürlich. Du würdest dich vortrefflich eignen, Kinder trocken zu legen. Mit einem Küchengriff, wie man einen Karpfen um die Schuppen faßt, packst du einen Mann. Dich die große Arie singen zu hören, müßte man sich schon etwas kosten lassen. Auf Trab bringen. Dynamit hinten –

      Josef immer noch sich verantwortlich fühlend, ist aufgesprungen und versucht ihr den Mund zu schließen: Aber das ist ja –

      Regine: Einen tüchtigen –

      Josef: Widerlich, so ein Frauenzimmer!

      Regine hat sich losgerissen: Dir müßte man einen tüchtigen Stoß vor den Bauch geben! Du stellst ihm nach, hat er gesagt!

      Maria: Ich – stelle Ihnen nach?

      Thomas sich niederhaltend: Hast du das wirklich gesagt …?!

      Regine: Erst gestern hat er es gesagt. Sie wendet sich um Bestätigung an Fräulein Mertens; die zuckt kalt verletzt die Schulter.

      Thomas: Aber schweig du, du Teufel!

      Josef automatisch, als wäre er noch verpflichtet, Regine zu beschützen: Er hat es gesagt! … Nun ist es schon besser, man sagt alles: … Ich glaubte, einige Blätter herausnehmen zu müssen, bevor ich dir die Mappe gab. Ich habe dir ja angedeutet, mit welchen Absichten er in dein Haus gekommen ist.

      Thomas stöhnt lachend auf. Zu Maria: Dein Gefühl und Denken kann in seinem nicht den Schwindler entdecken, welch beschämend grobe Methode: zu zeigen, der äußere Mensch ist es! Aber ein Detektiv ist so wunderbar: Was dir als Schwermut erscheint, erklärt er kurzerhand für Obstipation und – er kuriert es! Wem wirst du jetzt glauben? Ich weiß es nicht. Beiden. Das ist das ewige Geheimnis!

      Anselm zu Maria: Warum sind Sie nicht fort …! Es wäre zu alldem nicht gekommen. Ich wäre ein guter Mensch gewesen.

      Maria weicht zurück. Regine wirft sich Anselm zu Füßen, der sich ihr entzieht.

      Regine: Ich bleibe solange vor dir auf der Erde, wie du aufrecht dastehst. Hast du nichts mehr in dir, dem es gleichgültig ist, ob du recht oder unrecht behältst? Sie schreiben dir vor, was du tun sollst, wie du fühlen sollst, was du denken sollst; keiner sagt dir, wie du sein sollst. Du bist ungeleitet und unbehütet ein dunkles Unberührtes in dir. Was willst du denn noch? Aus ist es! Ich liege auf der Erde und räche mich und triumphiere! Weil du nicht mehr das Vertrauen in dir hast … Und ich auch nicht …

      Maria: So steh doch auf, Regine, schämst du dich nicht? Sie stößt sie leise und angewidert mit der Fußspitze.

      Regine: Stoß mich nur! Unter deinem Kleid kommt etwas hervor, das mich stößt.

      Josef angewidert: Ich kann da nicht zusehn, ich gehe.

      Maria: Ich gehe mit dir.

      Josef: Solchen Kranken gegenüber müßte man einen Bund der gesunden Menschen schließen.

      Thomas: Eher, eher müßte man einen Bund aller ausgeschlossenen Menschen schließen, damit sie nicht so unterliegen. Sprich, Anselm! Finde ein ehrliches Wort!

      Anselm zu Maria: Ich bin bis zuletzt im Haus geblieben, weil ich an Sie geglaubt habe; ich töte mich, wenn Sie das Zimmer verlassen.

      Josef zu Thomas: Ich werde mein Haus reinhalten; tu in deinem, was du willst; meine Pflicht habe ich erfüllt. Er und Maria schicken sich zu gehen an.

      Anselm weist auf das Messer, das seit den Versuchen, die Lade zu sprengen, geöffnet am Schreibtisch liegt: Maria, kennen Sie dieses Messer? Ich nehme es, wenn Sie nicht mehr glauben können!

      Maria in der Türe: Ich glaube Ihnen nie mehr etwas; das Vertrauen ist verloren, Anselm. Sie wendet sich ah und folgt Josef ohne zurückzusehn.

      Anselm ruft ohnmächtig hinter ihr drein: Maria? … Maria!

      Dann greift er nach dem Messer und – man weiß nicht, was geschehen ist, so schnell spielt sich der Vorgang ab – stürzt zusammen. Thomas, der ihn schon während der ganzen Zeit scharf beobachtet hat, sieht ihn starr erstaunt an. Macht einige Schritte auf ihn zu und betrachtet ihn mit dem gleichen Staunen. Steht vor ihm scharf und gespannt, Regine ist auf der Erde hingerutscht, hat Anselms Arm gefaßt und die Hand mit ganzer Kraft gepreßt; erst nur mit den Händen, dann die Nägel einsetzend.

      Regine: Er kann sich so fest etwas einreden, daß er sich martern dafür läßt.

      Thomas: Ich sehe kein Blut; ich wette, er lügt jetzt noch.

      Regine: Er nimmt sich etwas vor und führt es durch, wenn er auch gar nicht mehr mag, bloß weil er nicht aus weiß.

      Sie hat fest und lang in Anselms Hand gebissen, der unwillkürlich sich ein Zeichen des Schmerzes entreißen läßt. Thomas stößt förmlich auf ihn nieder, kniet neben ihn, schüttelt ihn, preßt ihm schmerzhaft die Arme zusammen, reißt ihn an den Haaren.

      Thomas: Simulant! Schwindler! Unter der Haut bist du schöner als jeder, was?! Wenn du die Augen nicht aufmachst, zerstampfe ich dich! Ich reiße dir das Gesicht herunter!

      Regine: Tu ihm nichts! Er ist wehrlos!

      Thomas: Er verstellt sich ja nur.

      Regine: Laß ihn! Er ist gut –: hinter sich! Sie drängt Thomas weg und beißt wieder in Anselms Hand.

      Thomas drängt sich wieder hin: Bloß recht behalten möchte er noch. Du Beschädigter! Schäbiger mit dem Defekt! Der Gesundheit simulieren möchte!

      Anselm hat unter den Mißhandlungen die Augen aufgeschlagen.

      Thomas triumphierend: Hast du einmal die Wahrheit zugeben müssen!! Im nächsten Augenblick steht er aber, angewidert von sich selbst, auf. Qualm! Ist die Lampe zu hoch aufgeschraubt? Die Petroleumlampe, dachte ich, kann explodieren. Ah … – lacht – ich weiß, wir haben schon Elektrizität … einen Augenblick lang war mir, als lebte Mama noch und wir wären klein …

      Regine: Was wütest du gegen ihn! Er haßt dich nicht mehr als er jeden hassen muß, aber er liebt dich viel mehr.

      Thomas: Mich liebt er?! Hergekommen, um Maria zu entwenden!

      Regine: Dich liebt er wie einen Bruder, der stärker ist als er.

      Anselm hat sich mühsam aufgerichtet: Ich hasse dich. Wohin ich gehen wollte, immer warst du zuvor.

      Thomas den Satz ihm hinwerfend: Dir glaubt kein Mensch … Aber was habt ihr aus uns gemacht! Alle verachten euch, verfolgen euch, schließen euch aus!

      Regine: Über mich sind sie weggekrochen. Ich opferte mich, ließ mich beherrschen, spürte, wie ich allmählich wirklich so wurde, wie ich ihnen erschien, und – fühlte mich desto höher schweben; mit noch unsichtbaren Teilen, die auf Gefährten warteten. Sie steht auf. Nun stehe ich in Klarheit und alles ist erloschen. Ich bin heute ein vernünftiger Mensch geworden.

      Anselm zu Thomas: Du hast mich verfolgt, ob du da warst oder nicht. Wenn ein Mensch einen andren verleitet, ihm Böses zu tun, ist er schuld.

      Thomas: Das ist zwar natürlich wieder nur so gesagt, aber –

      Maria tritt ein, er bricht ab.

      Maria die bemerkt, daß etwas vorgefallen ist: Was ist? … Was war?

      Thomas: Er hat einen falschen