Название | Gesammelte Werke von Stefan Zweig |
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Автор произведения | Стефан Цвейг |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209583 |
Solche selbstquälerische Betrachtung ließ ihn keinen Tag ruhen und trieb ihn mit zwingender Gewalt aus seiner Stube, wo ihn die leere Leinwand und die sorgsam bereiteten Utensilien wie höhnische Stimmen verfolgten. Mehrmals wollte er dem Kaufherrn seine Not beichten, aber er fürchtete, daß dieser zwar fromme und auch wohlgesinnte Mann ihn nie ganz verstehen könnte und eher an eine ungeschickte Ausflucht werde glauben wollen, als seine Unfähigkeit, ein solches Werk zu beginnen, wie er sie schon in großer Zahl und zum allgemeinen Beifall der Meister und Laien vollendet hatte. Und so irrte er gewöhnlich ratlos und rastlos in den Straßen umher, geheim erschreckend, wie ihn der Zufall oder eine verborgene Magie aus seinen wandelnden Träumen immer wieder vor jener Kirche erwachen ließ, gleichsam als binde ihn ein unsichtbares Band an dieses Bild oder eine göttliche Kraft, die seine Seele selbst im Traume regiere. Manchmal trat er ein, mit der geheimen Hoffnung, daß er Makel und Fehl entdecken könne und so der zwingende Zauber gebrochen sei; vor dem Bilde aber vergaß er gänzlich des jungen Meisters Schöpfung neidlich nach Kunst und Handwerk zu messen, sondern er fühlte es wie Schwingen um sich rauschen, die ihn auftrugen in Sphären sanfteren und verklärteren Genießens und Anschauens. Und erst wenn er die Kirche verließ und begann, seiner selbst und eigenen Bemühens zu gedenken, fühlte er den alten Schmerz mit doppelter Gewalt.
Eines Nachmittags war er wieder durch die hellerleuchteten Straßen geirrt, und diesmal fühlte er seine quälerischen Zweifel milder werden. Von Süden her war der erste Frühlingswind gekommen und trug, wenn auch nicht die Wärme, so doch die Helle vieler heranblühender Lenztage in sich. Zum ersten Male schien dem Maler jener graue stumpfe Glanz, den sein eigener Gram über die Welt gelegt, sich zu lösen und Gottes Gnade in sein Herz zu rauschen, wie immer, wenn das große Auferstehungswunder in flüchtigen Zeichen sich verkündete. Eine klare Märzsonne wusch alle Dächer und Straßen blank, die Wimpel wehten bunt im Hafen, der zwischen den sanft sich wiegenden Schiffen hervorblaute und im steten Lärmen der Stadt brauste es wie jubelndes Singen. Ein Pikett spanischer Reiter trabte über den Platz; man sah sie heute nicht mit feindlichen Blicken, wie sonst, sondern freute sich des sonnigen Widerspiels ihrer Rüstungen und der blinkenden Helme. Die weißen Hauben der Frauen, die der Wind mutwillig zurückschlug, wiesen frische und farbige Gesichter; über das Pflaster aber trappte flink der holzschuhklappernde Tanz der Kinder, die sich bei den Händen faßten und singend in Ringelreihn sich drehten.
Auch in den sonst so dunklen Hafengassen, denen sich nun der immer froher werdende Wandler zuwandte, flackerte ein leichter Schimmer, wie ein sinkender Regen des Lichts. Die Sonne konnte nicht ganz ihr leuchtendes Angesicht zwischen diese vorgeneigten Giebeldächer blicken lassen, denn die neigten sich dicht zusammen, schwarz und verknittert, wie uralte Hauben zweier Mütterchen, die in stetem geschwätzigem Gespräche stehen. Aber von Fenster zu Fenster gab sich das spiegelnde Leuchten weiter, wie wenn funkelnde Hände flirrend hinabgriffen und es hin-und herschnellten in übermütigem Spiel. Und manchen Fleck gab es, da das Leuchten still und mild blieb, wie ein träumendes Auge in der ersten Dämmerung des Abends. Denn unten, auf der Straße, lag das Dunkel, unbeweglich und seit Jahren, nur selten im Winter unter schneeigem Mantel geborgen. Und die da wohnten, trugen in ihren Augen die Unlust und Traurigkeit steter Dämmerung; nur die Kinder, denen die Seele brannte vor Sehnsucht nach Licht und Helle, ließen sich von diesem ersten Strahl des Frühlings vertrauensvoll verführen und spielten in leichter Gewandung auf dem schmutzigen, holprigen Pflaster, in ihrer Unbewußtheit tief beglückt durch den schmalen, blauen Streif, der zwischen den Dächern lugte und durch den goldenen Tanz der Sonnenkringel.
Der Maler ging und ging, ohne ein Müdewerden zu fühlen. Es war ihm, als sei auch ihm ein geheimer Jubel beschieden und als sei jedes Sonnenfunkens flüchtiger Schein Gottes leuchtender Gnadenstrahl, der zu seinem Herzen ginge. Alle Bitternis war verloschen in seinem Angesicht, das so milde und begütigend durchleuchtet war, daß die spielenden Kinder aufstaunten und ihn fürchtig grüßten, weil sie einen Priester in ihm zu sehen meinten. Er ging und ging, ohne an Ziel und Ende zu denken, denn in seinen Gliedern drängte der neue Frühlingstrieb, wie in alten verknisterten Bäumen die Blüten bittend an den haltenden Bast klopfen, daß er ihre junge Kraft aufschießen lasse ins Licht. Sein Schritt war froh und leicht wie der eines Jünglings; frischer und lebendiger schien er zu werden, obgleich der Weg schon Stunden währte, und rascher geschmeidiger Takt maß die rasch zurückgelegten Strecken.
Plötzlich hielt der Maler wie versteinert inne und fuhr sich mit der Hand schützend über die Augen, wie einer, den ein blitzender Strahl verletzt oder ein schrecksames und unglaubliches Ereignis. Aufschauend zum sonneüberleuchteten Schein eines Fensters hatte er den vollen Strahl des zurückspiegelnden Lichtes schmerzhaft in den Augen gefühlt, aber durch jenen Nebel von Purpur und Gold war eine seltsame Erscheinung, ein wunderbares Trugbild auf dem wirrenden Scharlachschleier erschienen: die Madonna jenes jungen Meisters, träumerisch und leise schmerzlich zurückgelehnt, wie auf jenem Bild. Ein Schauer überlief ihn, die grausame Angst der Enttäuschung vereint mit jenem selig zitternden Rausch eines Begnadeten, dem die wundersame Vision der Gottesmutter nicht im Dunkel eines Traumes, sondern in Tageshelle erschienen, ein Wunder, das viele bezeugten und wenige wirklich erschaut hatten. Noch wagte er den Blick nicht zu erheben, weil er sich nicht stark genug fühlte, um den niederschmetternden Augenblick unseliger Entscheidung auf seinen zitternden Schultern tragen zu können, weil er fürchtete, daß diese eine Sekunde sein Leben noch grimmiger zerstampfen könnte, als die unerbittliche Selbstqual seines verzagten Herzens. Erst als seine Pulse langsamer und ruhiger gingen und er nicht mehr schmerzvoll ihren Hammerschlag in der Kehle spürte, raffte er sich auf und sah langsam, unter der überschattenden, zitternden Hand zu jenem Fenster auf, in dessen Rahmen er das verführerische Bild gesehn.
Er hatte sich getäuscht. Es war nicht das Mädchen von des jungen Meisters Marienbild. Aber die erhobene Hand sank darum nicht verzagend herab. Denn auch das, was er erschaute, schien ihm ein Wunder zu sein, wenn auch ein viel lieblicheres, milderes und menschlicheres, als eines Gottes Erscheinung, die im glühenden Strahl einer begnadeten Stunde erscheint. Nur eine ferne und verlorene Ähnlichkeit hatte jenes Mädchen, das sich nachdenklich über die leuchtende Brüstung des Fensters lehnte, mit jenem Altarbild: auch ihr Gesicht war von schwarzen Locken umfaltet, und auch sie blühte in jener geheimnisvollen und phantastischen Blässe, aber ihre Züge waren härter, geschärfter, fast zornig, und um den Mund legte sich ein verweinter und trotziger Zorn, den nicht einmal der verlorene Ausdruck ihrer träumerischen Augen mäßigen konnte, aus denen eine alte und tiefe Trauer empordämmerte. Kindischer Mutwille und vererbtes vergrabenes Leid funkelten zusammen in dieser mühsam gebändigten Unrast. Eine Stille war in ihrem Ruhen, die sich jeden Augenblick in einer jähzornigen