Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг

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Название Gesammelte Werke von Stefan Zweig
Автор произведения Стефан Цвейг
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027209583



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meine Bedenken ob der Jugend des Meisters; die alten Maler, schrieb mir mein Freund, seien in Italien stolzer als Fürsten, und es hielte schwer, sie auch mit dem verlockendsten Angebot aus ihrer Heimat zu entfernen, wo sie umringt seien von Freunden und Frauen, von Fürsten und Volk. Diesen jungen Meister habe nur der Zufall bestimmt: die Sehnsucht, wegen eines ihm unbekannten Grundes Italien zu verlassen, sei ihm dringender gewesen als alles Geldes Angebot, denn man kenne auch daheim des jungen Malers Wert und wisse ihn zu ehren.

      Es war ein stiller verschlossener Mann, den mir mein Freund gesandt. Nie habe ich von seinem Leben etwas erfahren, nur dunklen Andeutungen entnahm ich, daß eine schöne Frau schmerzlichen Anteil an seinem Geschicke habe und er um ihretwillen die Heimat verlassen. Und, wiewohl ich keinen Beweis dafür habe und mich solches Tun ketzerisch und unchristlich anmutet, so meine ich, daß jenes Bild, das Ihr gesehn und das er im Verlauf weniger Wochen ohne Vorbild und mühsame Bereitung aus der Erinnerung gemalt, jener Frau Züge erhalte, die er geliebt. Denn immer, wenn ich zu ihm kam, fand ich ihn, wie er das gleiche süße Antlitz, das ihr gesehen, von neuem versuchte oder träumend in seiner Betrachtung verweilte. Und als ich nach des Bildes Vollendung in heimlicher Angst ob der Gottlosigkeit, eine Dirne als Gottesmutter zu malen, ihm anbefahl, für das zweite Bild eine andere Gestalt zu wählen, da blieb er stumm. Und des nächsten Tages, als ich zu ihm ging, war er ohne ein Wort des Abschieds von hinnen gereist. Ich trug Bedenken mit diesem Bilde den Altar zu schmücken, doch der Priester, den ich befragte, verstattete es ohne jegliches Besinnen…«

      »Und er hat recht getan«, fiel der Maler beinahe erregt ein. »Denn woher sollten wir die holde Schönheit unserer lieben Frauen zu schildern wissen, wenn nicht von der Schönheit jeder Frau, die uns begegnet. Sind wir nicht nach Gottes Bilde geschaffen und muß nicht, um das Vollkommenste darzubieten, das Vollendetste unter den Menschen eine, wenngleich nur matte Folie des Unsichtbaren sein! Seht! Ich, den ihr bestimmt, das zweite Bild zu schaffen, ich bin einer der Armen, die nicht zu malen wissen ohne die Natur, denen es nicht gegeben ist, von innen zu bilden, sondern die in mühsamer Nachzeichnung des Wahrhaftigen ihr Werk erschaffen. Nicht meine Liebste würde ich wählen, um die Mutter Gottes würdig zu bilden, denn es wäre sündhaft, die Unbefleckte durch einer Sünderin Antlitz zu sehen, aber ich würde nach Schönheit spüren und diejenige malen, deren Antlitz mir am meisten unserer Gottesmutter Züge zeigte, wie ich sie in meinen frommen Träumen erschaut. Und glaubt, obgleich eines sündigen Menschen Antlitz, wenn ihr in frommer Hingebung es schafft, bleibt nichts von Schlacken der Begehrlichkeit und Sündhaftigkeit in diesen Zügen, ja dieser wunderbaren Reinheit Zauber wirkt oft weiter als ein Zeichen in der irdischen Frauen Angesicht. Dies Wunder meint’ ich oftmals selbst zu sehn.«

      »In jedem Fall – Euch traue ich. Ihr seid ein reifer Mann, der viel geduldet und gelebt, und so Ihr keine Sünde darin findet…«

      »Im Gegenteil! Ich find’ es lobenswert, und nur die Protestanten wie andere Sektierer eifern gegen den Schmuck des Gotteshauses!«

      »Da habt ihr recht. Doch bitt’ ich Euch, beginnt bald mit dem Bild, denn wie eine Sünde brennt dies ungelöste Gelübde auf mir. Durch zwanzig Jahre vergaß ich an das zweite Bild: erst jüngst, als ich meines Weibes gramvolles Angesicht sah, wie sie am Krankenbette meines Kindes weinte, fühlte ich diese Schuld und erneute mein Gelübde. Und Ihr wißt, auch diesmal hat die Muttergottes ein Wunder der Genesung dort gewirkt, wo alle Ärzte sich mit Verzweiflung abgewandt hatten. Ich bitte Euch, zögert nicht lange mit dem Werk.«

      »Ich tue, was ich kann, doch frei herausgesagt, fast nie in meiner langen Schaffenszeit ist mir ein Werk so schwer erschienen, denn wenn es nicht als eines Stümpers leichtfertiges Gefüge neben dieses jungen Meisters Bild erscheinen soll – von dessen Wirken ich mehr zu wissen begehre – muß Gottes Hand mit meinem Werke sein.«

      »Der fehlt seinen Treuen nie. Lebt wohl! Und schreitet wohlgemut zum Werk. Ich hoffe, Ihr bringt mir bald frohe Kunde ins Haus.«

      Der Kaufherr schüttelte ihm vor seiner Pforte noch einmal innig die Hand und sah vertrauensvoll in die klaren Augen des Malers, die wie ein helleuchtender Gebirgssee, den verwitterte Zacken und Schroffen umgrenzen, aus dem derbdeutschen, kantigen Gesichte entgegenblauten. Der hatte noch ein entgegnendes Wort auf den Lippen, verschluckte es aber mutig und faßte mit festem Drucke die dargebotene Hand. In innig verstehenden Gefühlen schieden die beiden.

      Der Maler ging langsam den Hafen entlang, wie es stets seine Gewohnheit war, wenn ihn nicht die Arbeit an seine Stube fesselte. Er liebte dieses wilde farbenreiche Bild, darin die Arbeit ungebrochen pulste, und manchmal setzte er sich auf einen Taupflock nieder, um irgend eines Schaffenden seltsame Körperbiegung nachzubilden und der schwierigen Kunst der Verkürzungen ein fußbreit Weges abzuringen. Ihn störte nicht der laute Ruf der Schiffer, das Rasseln der Wagen und das Meer, das sich mit seinem gleichtönigen lallenden Geschwätze an die Ufer warf, ihm waren jene Blicke gegeben, die zwar nicht leuchten vom Abglanz innerer selbstgeschauter Bilder, die aber in allem Lebenden, so gleichgültig es auch sich gebärden mag, jenen Strahl erkennen, der ein Kunstwerk zu erleuchten vermag. Darum ging er auch immer ins Leben, wo es sich am farbigsten ausstrahlte und verwirrende Fülle wechselnder Reize ausatmete; zwischen dem Matrosenvolk streifte er mit langsamen Schritten und suchendem Auge, ohne daß ihn jemand zu verlachen wagte, denn unter dem vielen lärmenden unnützen Volk, das ein Hafen ansammelt, so wie der Strand die tauben Muscheln und zerbröckelndes Gestein, fiel er durch sein stilles Gebaren und die Ehrwürdigkeit seiner Mienen auf.

      Diesmal aber stand er bald von seiner Suche ab. Des Kaufherrn Geschichte hatte ihn im Tiefsten berührt, weil sie leise auch an ein eigenes Schicksal gestreift, und selbst der Kunst sonst so hingebender Zauber versagte heute seinen Dienst. Über allen Frauenantlitzen, und ob sie auch nur plumpe Fischergestalten waren, leuchtete der milde Glanz des Muttergottesbildes von des jungen Meisters Hand. Unschlüssig wandelte er in träumerischen Gedanken eine Zeitlang dem sonntäglich geputzten Getriebe entlang; dann aber mühte er sich nicht mehr, dem sehnsüchtigen Drange zu widerstehen, und durch das dunkle Netz der winkeligen Gassen suchte er wieder zur Kirche zurück zu jener milden Frau wundersamem Konterfei.

      Einige Wochen gingen seit jener Unterredung dahin, in welcher der Maler seinem Freunde die Vollendung des Bildes für den Altar der Gottesmutter zugesagt hatte, und noch immer blickte die unberührte Leinwand vorwurfsvoll den alten Meister an, der sie beinahe zu fürchten begann und die Stunden immer lieber auf der Straße zubrachte, um nicht die grausame Mahnung und den schweigenden Vorwurf seiner Mutlosigkeit fühlen zu müssen. In diesem Leben regsamer Arbeit, das vielleicht sogar zu viel gewirkt hatte, um prüfend in sich selbst zu schauen, war seit jenem Tag, da der Maler des jungen Meisters Bild erblickt, eine Wendung geschehen; Zukunft und Vergangenheit waren jählings aufgerissen und blickten ihn an, wie ein leerer Spiegel, in den nur Dunkelheit und Schatten strömen. Und nichts Furchtbareres gibt es, als den Schauer eines Lebens, das schon auf dem letzten Grat seines Aufstieges aufblickt, vom mutvollen Schreiten und dann von sinnender Angst befallen, es habe den Fehlweg eingeschlagen, die Kraft verliert, die letzten leichtesten Fußtapfen nach vorwärts zu machen. Mit einem Mal schien dem Maler, der in seinem Leben schon hundert und aberhundert frommer Darbildungen gemalt, die Fähigkeit zerronnen, eines Menschen Angesicht würdig zu gestalten, daß es ihm selbst so schiene, als sei es göttlichen Wesens würdig. Er hatte Frauen gesucht, solche, die ihr Antlitz verkauften für die Stunde der Nachbildung, solche, die ihren Leib verkauften, Bürgersfrauen und sanfte Mädchen, deren Gesicht überleuchtet war vom durchglühenden Schimmer innerer Reinheit; aber stets, wenn sie nahe vor ihm standen und er den Pinsel ansetzen wollte zum ersten Strich, da fühlte er ihre Menschlichkeit. Er sah die blonde gefräßige Behäbigkeit in der einen, die wilde verhaltene Gier, sich im Liebeskampfe auszutoben, in der andern, er fühlte die leere Glätte hinter den kurzen glänzenden Mädchenstirnen und erschrak beim plumpen Schritt und bei der verbuhlten Hüftenbiegung der Dirnen. Und die Welt ward ihm mit einem Male so öde, alle diese Menschen, die er um sich sah: der Atem der Göttlichkeit schien ihm ausgelöscht, überwuchert von dem blühenden Fleische dieser begehrlichen Frauen, die nichts mehr wußten von dem mystischen Magdtum und den sanften Schauern unbefleckter Hingebung an die Träume einer andern Welt. Er schämte sich, die Mappen aufzuschlagen, die sein eigenes Werk enthielten, denn ihm schien, als hätte er sich selbst wie von der Erde entfernt und sei sündig gewesen, indem er plumpe Bauern zu Blutzeugen des Heilands und grasse Weiber