Homo Faber / Хомо Фабер. Книга для чтения на немецком языке. Макс Фриш

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hatte geträumt – (Nicht von Hanna!)

      Als wir neuerdings auf offener Strecke hielten, war es Palenque, ein Bahnhöflein irgendwo, wo niemand einsteigt und niemand aussteigt außer uns, ein kleiner Schopf neben dem Geleise, ein Signal, nichts weiter, nicht einmal Verdopplung des Geleises (wenn ich mich richtig erinnere), wir erkundigten uns dreimal, ob das Palenque ist.

      Sofort rann wieder der Schweiß —

      Wir standen mit unserem Gepäck, als der Zug weiterfuhr, wie am Ende der Welt, mindestens am Ende der Zivilisation, und von einem Jeep, der hier hätte warten sollen, um den Herrn aus Düsseldorf sofort zur Plantage hinüberzufahren, war natürlich keine Spur.

      „There we are!“

      Ich lachte.

      Immerhin gab es ein Sträßlein, und nach einer halben Stunde, die uns ziemlich erschöpft hatte, kamen Kinder aus den Büschen, später ein Eseltreiber, der unser Gepäck nahm, ein Indio natürlich, ich behielt nur meine gelbe Aktenmappe mit Reißverschluss.

      Fünf Tage hingen wir in Palenque.

      Wir hingen in Hängematten, allzeit ein Bier in greifbarer Nähe, schwitzend, als wäre Schwitzen unser Lebenszweck, unfähig zu irgendeinem Entschluss, eigentlich ganz zufrieden, denn das Bier ist ausgezeichnet, Yucateca, besser als das Bier im Hochland, wir hingen in unseren Hängematten und tranken, um weiter schwitzen zu können, und ich wusste nicht, was wir eigentlich wollten.

      Wir wollten einen Jeep!

      Wenn man es sich nicht immer wieder sagte, so vergaß man es, und sonst sagten wir wenig den ganzen Tag, ein sonderbarer Zustand.

      Ein Jeep, ja, aber woher?

      Sprechen machte nur durstig.

      Der Wirt unsres winzigen Hotels (Lacroix) hatte einen Landrover, offensichtlich das einzige Fahrzeug in Palenque, das er aber selber brauchte, um Bier und Gäste von der Bahn zu holen, Leute, die sich etwas aus indianischen Ruinen machen, Liebhaber von Pyramiden; zur Zeit war nur ein einziger da, ein junger Amerikaner, der zuviel redete, aber zum Glück war er tagsüber immer weg – draußen auf den Ruinen, die auch wir, meinte er, besichtigen sollten.

      Ich dachte ja nicht daran!

      Jeder Schritt löste Schweiß aus, der sofort mit Bier ersetzt werden musste, und es ging nur, indem man in der Hängematte hing mit bloßen Füßen und sich nicht rührte, rauchend, Apathie als einzig möglicher Zustand – sogar das Gerücht, die Plantage jenseits der Grenze sei seit Monaten verlassen, regte uns nicht auf; wir blickten einander an, Herbert und ich, und tranken unser Bier.

      Unsere einzige Chance: der Landrover.

      Der stand tagelang vor dem Hotelchen —

      Aber der Wirt, wie gesagt, brauchte ihn!

      Erst nach Sonnenuntergang (die Sonne geht eigentlich nicht unter, sondern ermattet im Dunst) wurde es kühler, so dass man wenigstens blödeln konnte. Über die Zukunft der deutschen Zigarre! Ich fand es zum Lachen, nichts weiter, unsere ganze Reiserei und überhaupt. Revolte der Eingeborenen! Daran glaubte ich nicht einen Augenblick lang; dazu sind diese Indios viel zu sanft, zu friedlich, geradezu kindisch. Abende lang hocken sie in ihren weißen Strohhüten auf der Erde, reglos wie Pilze, zufrieden ohne Licht, still. Sonne und Mond sind ihnen Licht genug, ein weibisches Volk, unheimlich, dabei harmlos.

      Herbert fragte, was ich denn glaube.

      Nichts!

      Was man denn machen solle, fragte er.

      Duschen —

      Ich duschte mich von morgens bis abends, ich hasse Schweiß, weil man sich wie ein Kranker vorkommt. (Ich bin in meinem Leben nie krank gewesen, ausgenommen Masern.) Ich glaube, Herbert fand es nicht gerade kameradschaftlich von mir, dass ich überhaupt nichts glaubte, aber es war einfach zu heiß, um etwas zu glauben, oder dann glaubte man geradezu alles – wie Herbert.

      „Komm“, sagte ich, „gehen wir ins Kino!“

      Herbert glaubte im Ernst, dass es in Palenque, das aus lauter indianischen Hütten besteht, ein Kino gibt, und er war wütend, als ich lachte.

      Zum Regnen kam es nie.

      Es wetterleuchtete jede Nacht, unsere einzige Abendunterhaltung, Palenque besitzt einen Dieselmotor, der elektrischen Strom erzeugt, aber um 21.00 Uhr abgestellt wird, so dass man plötzlich in der Finsternis des Dschungels hing und nur noch das Wetterleuchten sah, bläulich wie Quarzlampenlicht, dazu die roten Leuchtkäfer, später Mond, schleimig, Sterne sah man nicht, dazu war es zu dunstig… Joachim schreibt einfach keine Briefe, weil es zu heiß ist, ich konnte es verstehen; er hängt in seiner Hängematte wie wir, gähnend, oder er ist tot – da gab es nichts zu glauben, fand ich, bloß zu warten, bis wir einen Jeep bekommen, um über die Grenze zu fahren und zu sehen.

      Herbert schrie mich an:

      „Ein Jeep! – woher?“

      Kurz darauf schnarchte er.

      Sonst herrschte, sobald der Dieselmotor abgestellt war, meistens Stille; ein Pferd graste im Mondschein, im gleichen Gehege ein Reh, aber lautlos, ferner eine schwarze Sau, ein Truthahn, der das Wetterleuchten nicht vertrug und kreischte, ferner Gänse, die plötzlich, vom Truthahn aufgeregt, ebenfalls schnatterten, plötzlich ein Alarm, dann wieder Stille, Wetterleuchten über dem plat-ten Land, nur das grasende Pferd hörte man die ganze Nacht.

      Ich dachte an Joachim —

      Aber was eigentlich?

      Ich war einfach wach.

      Nur unser Ruinen-Freund schwatzte viel, und wenn man zuhörte, sogar ganz interessant; von Tolteken10, Zapoteken11, Azteken12, die zwar Tempel erbaut, aber das Rad nicht gekannt haben. Er kam aus Boston und war Musiker. Manchmal ging er mir auf die Nerven wie alle Künstler, die sich für höhere oder tiefere Wesen halten, bloß weil sie nicht wissen, was Elektrizität ist.

      Schließlich schlief ich auch.

      Am Morgen, jedesmal, weckte mich ein sonderbarer Lärm, halb Industrie, halb Musik, ein Geräusch, das ich mir nicht erklären konnte, nicht laut, aber rasend wie Grillen, metallisch, monoton, es musste eine Mechanik sein, aber ich erriet sie nicht, und später, wenn wir zum Frühstück ins Dorf gingen, war es verstummt, nichts zu sehen. Wir waren die einzigen Gäste in der einzigen Pinte, wo wir immer das gleiche bestellten: Huevos à la mexicana, sauscharf, aber vermutlich gesund, dazu Tortilla, dazu Bier. Die indianische Wirtin, eine Matrone mit schwarzen Zöpfen, hielt uns für Forscher. Ihre Haare erinnern an Gefieder: schwarz mit einem bläulich-grünen Glanz darin; dazu ihre Elfenbein-Zähne, wenn sie einmal lächeln, ihre ebenfalls schwarzen und weichen Augen.

      „Frag sie doch“, sagte Herbert, „ob sie meinen Bruder kennt und wann sie ihn zuletzt gesehen hat.“

      Viel war nicht zu erfahren.

      „Sie erinnert sich an ein Auto“, sagte ich, „das ist alles —“ Auch der Papagei wusste nichts.

      Gracias, hihi!

      Ich redete spanisch mit ihm.

      Hihi, gracias, hihi!

      Am zweiten oder dritten Morgen, als wir wie üblich frühstückten, begaft von lauter Maya-Kindern, die übrigens nicht betteln, sondern einfach vor unserem Tisch stehen und von Zeit zu Zeit lachen, war Herbert von der fixen Idee besessen, es müsste irgendwo in diesem Hühnerdorf, wenn man es gründlich untersuchte, irgendeinen Jeep geben – irgendwo hinter einer Hütte, irgend-wo im Dickicht von Kürbis und Bananen und Mais. Ich ließ ihn. Es war Blödsinn, schien mir, wie alles, aber es war mir einerlei, ich hing in meiner Hängematte, und Herbert zeigte sich den ganzen Tag nicht.

      Sogar zum Filmen war ich zu faul.

      Außer Bier, Yucateca, das ausgezeichnet war, aber ausgegangen, gab es in Palenque nur noch Rum, miserabel, und Coca-Cola, was ich nicht ausstehen kann —

      Ich trank Rum und schlief.

      Jedenfalls dachte



<p>10</p>

Tolteken – eine mesoamerikanische Kultur, die zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert den größten Teil Zentralmexikos beherrschte

<p>11</p>

Zapoteken – in vorspanischer Zeit eine hochentwickelte Kultur in Südmexiko

<p>12</p>

Azteken – eine mesoamerikanische Kultur in Zentralmexiko mit einer reichhaltigen Mythologie