Название | Homo Faber / Хомо Фабер. Книга для чтения на немецком языке |
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Автор произведения | Макс Фриш |
Жанр | Прочая образовательная литература |
Серия | |
Издательство | Прочая образовательная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 978-5-9925-0641-9 |
Nachher hatte man es an den Rädern.
Der süßliche Gestank begleitete uns noch stundenlang, bis man sich überwand; das Zeug klebte in den Pneu-Rillen, und es half nichts als peinliche Handarbeit, Rille um Rille. – Zum Glück hatten wir Rum! – Ohne Rum, glaube ich, wären wir umgekehrt – spätestens am dritten Tag – nicht aus Angst, aber aus Vernunft.
Wir hatten keine Ahnung, wo wir sind.
Irgendwo am 18. Breitengrad…
Marcel sang, il était un petit navire, oder er schwatzte wieder die halbe Nacht lang: – von Cortez und Montezuma13 (das ging noch, weil historische Tatsache) und vom Untergang der weißen Rasse (es war einfach zu heiß und zu feucht, um zu widersprechen), vom katastrophalen Scheinsieg des abendländischen Technikers (Cortez als Techniker, weil er Schießpulver hatte!) über die indianische Seele und was weiß ich, ganze Vorträge über die unweigerliche Wiederkehr der alten Götter (nach Abwurf der H-Bombe!) und über das Aussterben des Todes (wörtlich!) dank Penicillin, über Rückzug der Seele aus sämtlichen zivilisierten Gebieten der Erde, die Seele im Maquis usw., Herbert erwachte an dem Wort Maquis, das er verstand, und fragte: Was sagt er? Ich sagte: Künstlerquatsch! und wir ließen ihm seine Theorie über Amerika, das keine Zukunft habe, The American Way of Life: Ein Versuch, das Leben zu kosmetisieren, aber das Leben lasse sich nicht kosmetisieren —
Ich versuchte zu schlafen.
Ich platzte nur, wenn Marcel sich über meine Tätigkeit äußerte, beziehungsweise über die Unesco: der Techniker als letzte Ausgabe des weißen Missionars, Industrialisierung als letztes Evangelium einer sterbenden Rasse, Lebensstandard als Ersatz für Lebenssinn —
Ich fragte ihn, ob er Kommunist sei.
Marcel bestritt es.
Am dritten Tag, als wir wieder durch Gebüsche fuhren, ohne eine Fährte zu haben, einfach Richtung Guatemala, hatte ich es satt —
Ich war für Umkehren.
„Weil es idiotisch ist“, sagte ich, „einfach aufs Geratewohl weiterzufahren, bis wir kein Gasoline mehr haben.“
Herbert holte seine Karte —
Was mir auf die Nerven ging: die Molche in jedem Tümpel, in jeder Eintagspfütze ein Gewimmel von Molchen – überhaupt diese Fortpflanzerei überall, es stinkt nach Fruchtbarkeit, nach blühender Verwesung.
Wo man hinspuckt, keimt es!
Ich kannte sie, diese Karte 1: 500 000, die nicht einmal unter der Lupe etwas hergibt, nichts als weißes Papier: ein blaues Flüßchen, eine Landesgrenze schnurgerade, die Linie eines Breitengrades im leeren Weiß!… Ich war für Umkehren. Ich hatte keine Angst (wovor denn!), aber es hat-te keinen Sinn. Nur Herbert zuliebe fuhr man noch weiter, unglücklicherweise, denn kurz darauf kamen wir tatsächlich an einen Fluss, beziehungsweise ein Flussbett, das nichts anderes sein konnte als der Rio Usumacinta, Grenze zwischen Mexico und Guatemala, teilweise trocken, teilweise voll Wasser, das kaum zu fließen schien, nicht ohne weiteres zu überqueren, aber es musste Stellen geben, wo es auch ohne Brücke möglich ist, und Herbert ließ keine Ruhe, obschon ich baden wollte, er steuerte am Ufer entlang, bis die Stelle gefunden war, wo man überqueren konnte und wo auch Joachim (wie sich später herausstellte) überquert hatte.
Ich badete.
Marcel badete ebenfalls, und wir lagen rücklings im Wasser, Mund geschlossen, um nichts zu schlucken, es war ein trübes und warmes Wasser, das stank, jede Bewegung hinterlässt Bläschen, immerhin Wasser, lästig nur die zahllosen Libellen und Herbert, der weiter drängte, und der Gedanke, es könnte Schlangen geben.
Herbert blieb an Land.
Unser Landrover stand bis zur Achse in dem schlüpfrigen Mergel (oder was es ist), Herbert tankte —
Es wimmelte von Schmetterlingen.
Als ich einen rostigen Kanister im Wasser sah, was darauf schließen ließ, dass auch Joachim (wer sonst?) an dieser Stelle einmal getankt hatte, sagte ich kein Wort, sondern badete weiter, während Herbert versuchte, unseren Landrover aus dem schlüpfrigen Mergel zu steuern…
Ich war für Umkehren.
Ich blieb im Wasser, obschon es mich plötzlich ekelte, das Ungeziefer, die Bläschen auf dem braunen Wasser, das faule Blinken der Sonne, ein Himmel voll Gemüse, wenn man rücklings im Wasser lag und hinaufblickte, Wedel mit meterlangen Blättern, reglos, dazwischen Akazien-Filigran, Flechten, Luftwurzeln, reglos, ab und zu ein roter Vogel, der über den Fluss flog, sonst Totenstille (wenn Herbert nicht gerade Vollgas-Versuche machte —) unter einem weißlichen Himmel, die Sonne wie in Watte, klebrig und heiß, dunstig mit einem Regenbogenring.
Ich war für Umkehren.
„Weil es Unsinn ist“, sagte ich, „weil wir diese verfluchte Plantage nie finden werden —“
Ich war für Abstimmen.
Marcel war auch für Umkehren, da er seine Ferien zu Ende gehen sah, und es handelte sich, als Herbert es tatsächlich geschaft hatte und un-ser Landrover am anderen Ufer stand, nur noch darum, Herbert zu überzeugen von dem Unsinn, ohne jede Fährte weiterzufahren. Zuerst beschimpfte er mich, weil er meine Gründe nicht widerlegen konnte, dann schwieg er und hörte zu, und eigentlich hatte ich ihn soweit – wäre nicht Marcel gewesen, der dazwischenfunkte.
„Voilà“, rief er, „les traces d’une Nash!“
Wir nahmen’s für einen Witz.
„Mais regardez“, rief er, „sans blague —“
Die verkrusteten Spuren waren teilweise verschwemmt, so dass es auch Karrenspuren sein konnten; an andern Stellen, je nach Bodenart, erkannte man tatsächlich das Pneu-Muster.
Damit hatten wir die Fährte.
Sonst wäre ich nicht gefahren, wie gesagt, und es wäre (ich werde diesen Gedanken nicht los) alles anders gekommen —
Nun gab es kein Umkehren.
(Leider!)
Am Morgen des vierten Tages sahen wir zwei Indios, die übers Feld gingen mit gekrümmten Säbeln in der Hand, genau wie die beiden, die Herbert schon in Palenque gesehen und für Mörder gehalten hatte; ihre krummen Säbel waren nichts anderes als Sicheln.
Dann die ersten Tabakfelder —
Die Hoffnung, noch vor Einbruch der Nacht hinzukommen, machte uns nervöser als je, dazu die Hitze wie noch nie, ringsum Tabak, Gräben dazwischen, Menschenwerk, schnurgerade, aber nirgends ein Mensch.
Wir hatten wieder die Spur verloren —
Wieder die Suche nach Pneu-Muster!
Bald ging die Sonne unter; wir stellten uns auf unseren Landrover und pfiffen, die Finger im Mund, so laut wir konnten. Wir mussten in nächster Nähe sein. Wir pfiffen und hupten, während die Sonne bereits in den grünen Tabak sank – wie gedunsen, im Dunst wie eine Blase voll Blut, widerlich, wie eine Niere oder so etwas.
Ebenso der Mond.
Es fehlte nur noch, dass wir einander in der Dämmerung verloren, indem jeder, um Pneu-Spuren zu finden, irgendwohin stapfte. Wir verteilten uns auf Bezirke, die jeder abzuschreiten hatte. Wer etwas findet, was irgendwie nach Pneu aussieht, sollte pfeifen.
Nur die Vögel pfiffen —
Wir suchten noch bei Mondschein, bis Herbert auf die Zopilote stieß, Zopilote auf einem toten Esel – er schrie und fluchte und schleuderte Steine gegen die schwarzen Vögel, nicht abzuhalten in seiner Wut. Es war scheußlich. Die Augen des Esels waren ausgehackt, zwei rote Löcher, ebenso die Zunge; nun versuchten sie, während Herbert noch immer seine Steine schleuderte,
13
Hernán (Hernando) Cortés – ein spanischer Konquistador und Entdecker. Cortés eroberte mit wenigen hundert Mann Mexiko. Er zerstörte das Aztekenreich und dessen Hauptstadt Tenochtitlan, die größte Stadt der damaligen Zeit, besiegte die letzten Azteken-Herrscher Montezuma II.