Die Grundlagen der Arithmetik. Frege Gottlob

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Название Die Grundlagen der Arithmetik
Автор произведения Frege Gottlob
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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und eben dies führt Kant für die synthetische Natur dieser Sätze an. Es spricht aber vielmehr gegen ihre Unbeweisbarkeit; denn wie sollen sie anders eingesehen werden als durch einen Beweis, da sie unmittelbar nicht einleuchten? Kant will die Anschauung von Fingern oder Punkten zu Hilfe nehmen, wodurch er in Gefahr geräth, diese Sätze gegen seine Meinung als empirische erscheinen zu lassen; denn die Anschauung von 37863 Fingern ist doch jedenfalls keine reine. Der Ausdruck »Anschauung« scheint auch nicht recht zu passen, da schon 10 Finger durch ihre Stellungen zu einander die verschiedensten Anschauungen hervorrufen können. Haben wir denn überhaupt eine Anschauung von 135664 Fingern oder Punkten? Hätten wir sie und hätten wir eine von 37863 Fingern und eine von 173527 Fingern, so müsste die Richtigkeit unserer Gleichung sofort einleuchten, wenigstens für Finger, wenn sie unbeweisbar wäre; aber dies ist nicht der Fall.

      Kant hat offenbar nur kleine Zahlen im Sinne gehabt. Dann würden die Formeln für grosse Zahlen beweisbar sein, die für kleine durch die Anschauung unmittelbar einleuchten. Aber es ist misslich, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen kleinen und grossen Zahlen zu machen, besonders da eine scharfe Grenze nicht zu ziehen sein möchte. Wenn die Zahlformeln etwa von 10 an beweisbar wären, so würde man mit Recht fragen: warum nicht von 5 an, von 2 an, von 1 an?

      § 6. Andere Philosophen und Mathematiker haben denn auch die Beweisbarkeit der Zahlformeln behauptet. Leibniz11 sagt:

      »Es ist keine unmittelbare Wahrheit, dass 2 und 2 4 sind; vorausgesetzt, dass 4 bezeichnet 3 und 1. Man kann sie beweisen und zwar so:

      Axiom: Wenn man Gleiches an die Stelle setzt, bleibt die Gleichung bestehen.

      Also: nach dem Axiom: 2 + 2 = 4.«

      Dieser Beweis scheint zunächst ganz aus Definitionen und dem angeführten Axiome aufgebaut zu sein. Auch dieses könnte in eine Definition verwandelt werden, wie es Leibniz an einem andern Orte12 selbst gethan hat. Es scheint, dass man von 1, 2, 3, 4 weiter nichts zu wissen braucht, als was in den Definitionen enthalten ist. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man jedoch eine Lücke, die durch das Weglassen der Klammern verdeckt ist. Genauer müsste nämlich geschrieben werden:

2 + 2 = 2 + (1 + 1)(2 + 1) + 1 = 3 + 1 = 4

      Hier fehlt der Satz

2 + (1 + 1) = (2 + 1) + 1,

      der ein besonderer Fall von

a + (b + c) = (a + b) + c

      ist. Setzt man dies Gesetz voraus, so sieht man leicht, dass jede Formel des Einsundeins so bewiesen werden kann. Es ist dann jede Zahl aus der vorhergehenden zu definiren. In der That sehe ich nicht, wie uns etwa die Zahl 437986 angemessener gegeben werden könnte als in der leibnizischen Weise. Wir bekommen sie so, auch ohne eine Vorstellung von ihr zu haben, doch in unsere Gewalt. Die unendliche Menge der Zahlen wird durch solche Definitionen auf die Eins und die Vermehrung um eins zurückgeführt, und jede der unendlich vielen Zahlformeln kann aus einigen allgemeinen Sätzen bewiesen werden.

      Dies ist auch die Meinung von H. Grassmann und H. Hankel. Jener will das Gesetz durch eine Definition gewinnen, indem er sagt13:

a + (b + 1) = (a + b) + 1

      »Wenn a und b beliebige Glieder der Grundreihe sind, so versteht man unter der Summe a + b dasjenige Glied der Grundreihe, für welches die Formel

a + (b + e) = a + b + e

      gilt.«

      Hierbei soll e die positive Einheit bedeuten. Gegen diese Erklärung lässt sich zweierlei einwenden. Zunächst wird die Summe durch sich selbst erklärt. Wenn man noch nicht weiss, was a + b bedeuten soll, versteht man auch den Ausdruck a + (b + e) nicht. Aber dieser Einwand lässt sich vielleicht dadurch beseitigen, dass man freilich im Widerspruch mit dem Wortlaute sagt, nicht die Summe, sondern die Addition solle erklärt werden. Dann würde immer noch eingewendet werden können, dass a + b ein leeres Zeichen wäre, wenn es kein Glied der Grundreihe oder deren mehre von der verlangten Art gäbe. Dass dies nicht statthabe, setzt Grassmann einfach voraus, ohne es zu beweisen, sodass die Strenge nur scheinbar ist.

      § 7. Man sollte denken, dass die Zahlformeln synthetisch oder analytisch, aposteriori oder apriori sind, je nachdem die allgemeinen Gesetze es sind, auf die sich ihr Beweis stützt. Dem steht jedoch die Meinung John Stuart Mill's entgegen. Zwar scheint er zunächst wie Leibniz die Wissenschaft auf Definitionen gründen zu wollen,14 da er die einzelnen Zahlen wie dieser erklärt; aber sein Vorurtheil, dass alles Wissen empirisch sei, verdirbt sofort den richtigen Gedanken wieder. Er belehrt uns nämlich,15 dass jene Definitionen keine im logischen Sinne seien, dass sie nicht nur die Bedeutung eines Ausdruckes festsetzen, sondern damit auch eine beobachtete Thatsache behaupten. Was in aller Welt mag die beobachtete oder, wie Mill auch sagt, physikalische Thatsache sein, die in der Definition der Zahl 777864 behauptet wird? Von dem ganzen Reichthume an physikalischen Thatsachen, der sich hier vor uns aufthut, nennt uns Mill nur eine einzige, die in der Definition der Zahl 3 behauptet werden soll. Sie besteht nach ihm darin, dass es Zusammenfügungen von Gegenständen giebt, welche, während sie diesen Eindruck ⁰₀⁰ auf die Sinne machen, in zwei Theile getrennt werden können, wie folgt: ∘∘ ∘. Wie gut doch, dass nicht Alles in der Welt niet- und nagelfest ist; dann könnten wir diese Trennung nicht vornehmen, und 2 + 1 wäre nicht 3! Wie schade, dass Mill nicht auch die physikalischen Thatsachen abgebildet hat, welche den Zahlen 0 und 1 zu Grunde liegen!

      Mill fährt fort: »Nachdem dieser Satz zugegeben ist, nennen wir alle dergleichen Theile 3«. Man erkennt hieraus, dass es eigentlich unrichtig ist, wenn die Uhr drei schlägt, von drei Schlägen zu sprechen, oder süss, sauer, bitter drei Geschmacksempfindungen zu nennen; ebensowenig ist der Ausdruck »drei Auflösungsweisen einer Gleichung« zu billigen; denn man hat niemals davon den sinnlichen Eindruck wie von ⁰₀⁰.

      Nun sagt Mill: »Die Rechnungen folgen nicht aus der Definition selbst, sondern aus der beobachteten Thatsache.« Aber wo hätte sich Leibniz in dem oben mitgetheilten Beweise des Satzes 2 + 2 = 4 auf die erwähnte Thatsache berufen sollen? Mill unterlässt es die Lücke nachzuweisen, obwohl er einen dem leibnizischen ganz entsprechenden Beweis des Satzes 5 + 2 = 7 giebt.16 Die wirklich vorhandene Lücke, die in dem Weglassen der Klammern liegt, übersieht er wie Leibniz.

      Wenn wirklich die Definition jeder einzelnen Zahl eine besondere physikalische Thatsache behauptete, so würde man einen Mann, der mit neunziffrigen Zahlen rechnet, nicht genug wegen seines physikalischen Wissens bewundern können. Vielleicht geht indessen Mill's Meinung nicht dahin, dass alle diese Thatsachen einzeln beobachtet werden müssten, sondern es genüge, durch Induction ein allgemeines Gesetz abgeleitet zu haben, in dem sie sämmtlich eingeschlossen seien. Aber man versuche, dies Gesetz auszusprechen, und man wird finden, dass es unmöglich ist. Es reicht nicht hin, zu sagen: es giebt grosse Sammlungen von Dingen, die zerlegt werden können; denn damit ist nicht gesagt, dass es so grosse Sammlungen und von der Art giebt, wie zur Definition etwa der Zahl 1000000 erfordert werden, und die Weise der Theilung ist auch nicht genauer angegeben. Die millsche Auffassung führt nothwendig zu der Forderung, dass für jede Zahl eine Thatsache besonders beobachtet werde, weil in einem allgemeinen Gesetze grade das Eigenthümliche der Zahl 1000000, das zu deren Definition nothwendig gehört, verloren gehen würde. Man dürfte nach Mill in der That nicht setzen 1000000 = 999999 + 1, wenn man nicht grade diese eigenthümliche Weise der Zerlegung einer Sammlung von Dingen beobachtet hätte, die von der irgendeiner andern Zahl zukommenden verschieden ist.

      § 8. Mill scheint zu meinen, dass die Definitionen 2 = 1 + 1, 3 = 2 + 1, 4 = 3 + 1 u. s. w. nicht gemacht werden dürften, ehe nicht die von ihm erwähnten Thatsachen beobachtet wären. In der That darf man die 3 nicht als (2 + 1) definiren, wenn man mit (2 + 1) gar keinen Sinn verbindet. Es fragt sich aber, ob es dazu nöthig ist, jene Sammlung und ihre Trennung zu beobachten. Räthselhaft



<p>11</p>

B: Nouveaux Essais, IV. § 10. Erdm. S. 363.

<p>12</p>

C: Non inelegans specimen demonstrandi in abstractis. Erdm. S. 94.

<p>13</p>

Lehrbuch der Mathematik für höhere Lehranstalten. I. Theil: Arithmetik, Stettin 1860, S. 4.

<p>14</p>

A System der deductiven und inductiven Logik, übersetzt von J. Schiel. III. Buch, XXIV. Cap., § 5.

<p>15</p>

A. a. O. II. Buch, VI. Cap., § 2.

<p>16</p>

A. a. O. III. Buch, XXIV. Cap., § 5.