Die Enkel des Kolumbus. Rüdiger Euler

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Название Die Enkel des Kolumbus
Автор произведения Rüdiger Euler
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Год выпуска 2025
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Verträgen für die Holznutzung und die Einnahmen aus Holzverkauf die Dorfgemeinschaft zuständig war.

      Ich dachte ich kann mich nun sicher nicht mehr ins Projektgebiet trauen. Wenn die Paschtunen das erfahren denken sie vielleicht wir seien wortbrüchig und wir hätten sie getäuscht, hintergangen, doppeltes Spiel gemacht mit dem Landwirtschaftsministerium. Nach den ungeschriebenen Regeln der Paschtunen (das Paschtunwali) hätte das bedeuten können, das sie das Projekt nicht mehr akzeptieren und uns das Gastrecht entziehen, wenn nicht noch schlimmeres. Ich besprach das Problem mit meinem Counterpart, Herrn Navor Shah. „Was nun?“ Das war meine bange Frage.

      Nun, Herr Navor Shah sah das schon gelassener. Er meinte: keine Angst. Wir fahren in die Dörfer, wir reden mit ihnen. Es wird nichts passieren.

      Die erste Dorfversammlung begann, wir zogen den Brief des Landwirtschaftsministeriums heraus und Herr Navor Shah teilte den Dorfältesten mit, dass der vom Projekt mit ihnen abgeschlossenen Aufforstungsvertrag vom Landwirtschaftsministerium ignoriert wird. Der Wald gehöre nicht ihnen, sondern dem Landwirtschaftsministerium. Ein langes Schweigen folgte. Wir schauten uns gegenseitig an. Dann sprach der Chan. Navor Shah übersetzte mir Satz für Satz.

      “Hört mir gut zu”, sagte er. “Was bedeutet für uns der Vertrag? Er bedeutet uns nichts. Das ist ein Stück Papier, sonst nichts. Aber wir haben versprochen die Pflanzungen zu schützen. Die Zedern und Kiefern die dort wachsen sind uns. Unsere Kinder und Kindeskinder werden die Bäume für sich nutzen, das gute Holz verkaufen, die Äste und das schlechte Holz als Brennholz nutzen. Dazu fragen wir nicht das Landwirtschaftsministerium. Die Leute die diesen Brief geschrieben haben sind längst gestorben, wenn die Bäume 70 oder 80 Jahre alt sind. Aber unser Dorf wird existieren. Und die Bäume werden existieren, weil wir sie schützen werden.

      Wir wissen, dass das Projekt mit uns ist. Wir wissen, das sie nichts mit dem Brief des Landwirtschaftsministeriums zu tun haben.

      Was werden wir also tun? Wir wissen von diesem Brief, und das ist alles. Wir werden nichts weiter tun als das was wir beschlossen haben”.

      In diesem Moment wurde ich ein Paschtune!

      Das Projekt führte Forstwirtschaft auf breiter Ebene ein. Es hatte folgende Komponenten:

      – eine Forstschule, zur Ausbildung von Waldarbeitern und Forstfachleuten;

      – ein Pflanzennachzuchtprogramm, zur Produktion von Jungpflanzen für die ausgedehnten Aufforstungen;

      – eine Forsteinrichtungseinheit, um die vorhandenen Wälder auf ihre Vorräte hin zu erfassen;

      – eine Betriebsdienstkomponente: Einrichtung eines Musterforstbetriebes im Waldgebiet “Mandaher”;

      – Aufbau eines Sägewerkes, um durch die Vermarktung verkaufsfertiger Holzsortimente Einnahmegewinne zu erzielen;

      – Aufbau einer Zentralwerkstatt;

      All das war vollkommen neu in Paktia. Nach cirka 5 Jahren waren die vorstehenden Komponenten zufriedenstellend installiert und wurden von qualifizierten afghanischen Fachkräften geleitet. In diese Zeit fiel ein Projektbesuch von seiner Majestät, König Sahir Shah.

      Die afghanische Regierung reagierte sehr wohlwollend auf die Projektaktivitäten und beantragte die Erweiterung des Projektes auf die gesamte Provinz Paktia. Paktia ist etwa so groß wie ein durchschnittliches Bundesland in Deutschland.

      Eine neue Komponente wurde hierbei erforderlich: agroforstliche Aktivitäten im subtropischen Süden der Provinz Paktia, im Raum von Khost.

      Die Forsteinrichtung wurde auf Nuristan ausgedehnt: eine waldreiche Provinz entlang der pakistanischen Grenze, nördlich von Paktia.Wesentlich erweitert wurden die Aufforstungsprogramme in verschiedenen Waldzonen von Paktia.

      Und es war nunmehr unumgänglich eine Forstabteilung im Landwirtschaftsministerium in Kabul einzurichten, um die Forstwirtschaft definitiv in Afghanistan zu verankern. Damit kam das Projekt an seine Leistungsgrenze. Insbesondere der letzte Punkt gestaltete sich zähflüssig, denn die Afghanen kamen jetzt in Zugzwang in ihrem Haushalt ein Forstbudget einzuplanen. Bei der knappen Finanzlage hätten hierzu teilweise Mittel der PDA (Paktia Development Authority) abgezweigt werden müssen, was auf Schwierigkeiten stieß. Das Finanzministerium forderte dann die deutsche Seite auf seine Projektmittel über den offiziellen afghanischen Haushalt einzubringen, zur Stärkung des Forsthaushaltes. Das hätte bedeutet, dass die deutschen Steuergelder in den Sumpf der undurchsichtigen Verteilungskanäle des afghanischen Haushalts gelangt wären. Auszahlungen auf der Basis von genehmigten Haushaltsplänen erfolgten meist erst spät im Jahr und hätten sich letztendlich überhaupt nur auf einem Bruchteil dessen eingependelt was an Barem von der deutschen Seite geleistet wurde.

      All das führte nach 10 Projektjahren zu einem Patt zwischen den Wünschen der afghanischen Regierung und den Erfordernissen der deutschen Entwicklungshilfe.

      Es kam dann so, dass das Paktiaprojekt noch ein Jahr in Eigenregie gezielt besonders förderungswürdige Aktivitäten komplett finanzierte, diese mit Erfolg abschloss und sich dann einvernehmlich im Jahr 1976 aus dem Projekt zurückzog.

      Das Forstprojekt Paktia war als technisches Projekt konzipiert worden, hatte als solches Erfolg, und wuchs dann in eine Dimension hinein der es nicht mehr gewachsen war. Das war eine der bitteren Erfahrungen aus der “Gründerzeit” der deutschen Entwicklungshilfe. Das Forstprojekt Paktia war dabei nur eine Komponente des Regionalentwicklungsprojektes Paktia. Bis heute ist es das größte Projekt geblieben welches je im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe durchgeführt wurde. Die Idee dahinter war: klotzen, nicht kleckern. Die Entwicklungshilfe war beseelt von dem Wunsch wirklich etwas ausrichten zu wollen, wirklich dem Land zu helfen. So kam man folgerichtig dazu große Projekte zu konzipieren, da „Entwicklung“ ja ein umfassender Prozess ist, der auf möglichst breiter Ebene das Entwicklungspotenzial der Region abdecken muss, um nicht wie der berühmte Tropfen auf heißem Stein zu verdampfen. Die größte Teilkomponente des Regionalentwicklungsprojektes Paktia war das Landwirtschaftsprojekt, mit Schwerpunkt Obst- und Gemüseanbau. Weitere Komponenten waren ein Schulprojekt, ein Krankenhaus, ein Hoch- und ein Tiefbauprojekt, ein “Wasserprojekt” (Trinkwasserversorgung, Bewässerungsvorhaben, Pumpentechnik) und eine Werkstatt.

      Der Fehler in der Projektkonzeption war sicherlich, dass bezüglich der Nachhaltigkeit der Projektwirkungen zwar peinlich darauf geachtet wurde dass jeder deutsche Experte einen möglichst gut ausgebildeten Counterpart hatte der dann später in der Lage war den Experten in der Projektarbeit zu ersetzen. Die institutionelle Verankerung des Projektes durch die lokale Verwaltung und die Ministerien lag jedoch im argen.

      Die Projektkonstruktion war auf das afghanische Ansinnen sowohl die Projektsteuerung wie auch die Projektfinanzierung über die Ministerien abzuwickeln in keiner Weise vorbereitet. Das führte dann zu dem knirschenden Kollaps des Regionalprojektes Paktia. Nun darf man aber nicht in den Fehler verfallen zu unterstellen, dass es dem deutschen Projektkoordinator in Kabul, den Verantwortlichen in Eschborn (GAWI) und in der Bundesstelle für

      Entwicklungshilfe (BfE) in Frankfurt sowie dem Ressortchef im BMZ an dem notwendigen Überblick gemangelt habe. Man kannte sehr wohl die Ministerien in Kabul. Man kannte sie so gut, das man davor zurückscheute sich in diesen Sumpf zu begeben. Das Personal in den Ministerien wurde so schlecht bezahlt, dass sie davon nicht leben konnten. Folge: Korruption. Es gab keine Schreibmaschinen, kein Papier, auch kein Kohlepapier für Kopien, kein Geld für Aktenordner. Die Vorgänge wurden zwischen zwei Pappdeckeln abgelegt die mit einer Schnur umwickelt waren. Es gab kein Telefon, außer beim Minister. Dort stand auch die afghanische Fahne auf dem Schreibtisch. Eine Fachausbildung auf Verwaltungsebene existierte nicht. Es gab keine Heizung im Winter, – bei minus 20 Grad Außentemperatur. Die Fensterscheiben waren häufig zerbrochen. Die Löcher waren mit Pappstücken oder Brettern oder mit Lappen zugestopft. Die Elektro-Heizspiralen, die eigentlich einmal zum Essenwärmen vorgesehen waren, standen zwar unter einigen Schreibtischen und hätten vielleicht geholfen, – wenn es nicht die Stromausfälle gegeben hätte. Aus ein paar Räumen drang Qualm. Dort glühte auf einem Stück Blech etwas Holzkohle. Da der Strom nicht funktionierte gab es auch kein Licht. Aus den Wasserhähnen lief kein Wasser. Die Toiletten funktionierten natürlich auch nicht. Zu essen gab es nirgends