Die Enkel des Kolumbus. Rüdiger Euler

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Название Die Enkel des Kolumbus
Автор произведения Rüdiger Euler
Жанр
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Издательство
Год выпуска 2025
isbn



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noch weniger. Ich glaube der Junge fühlte sich nicht wohl bei uns. Im nächsten Jahr reisten einige Jungs vom unserem Club nach Birmingham, zusammen mit unserem Englischlehrer. Ich war dabei. Mit dem Englisch war das immer noch eine Katastrophe. Der Aufenthalt bei der Familie in Birmingham war nur kurz, denn die Hauptattraktion der Englandreise war eine Wanderung in der Grafschaft Yorkshire, mit Übernachtungen in Jugendherbergen. Wir wanderten mit den britischen Mädels und Jungs für circa 10 Tage von Jugendherberge zu Jugendherberge, querfeldein, kraxelten über Steinwälle, flüchteten vor wütenden Bullen auf der Weide, verpackten uns in Plastik gegen den ziemlich starken Wind und Nieselregen. Ich hatte eine “Agfa-Box” dabei und machte Fotos. Die Einstellung an der Kamerablende mit dem Sonnensymbol konnte ich vergessen. Das Hebelchen blieb konstant auf “Wolken”. Aber die Gesichter unter dem Plastik waren immer fröhlich. Es war wieder ein unglaublich schönes Erlebnis.

      Und da war noch ein anderer “Auslandskontakt”: als Junge hatte ich damals Gelegenheit einige Franzosen kennen zu lernen. Das kam so: mein Vater, Beamter in der Landesverwaltung Rheinland-Pfalz, hatte seinerzeit mit Franzosen zu tun, weil die Hoheitsverwaltung in Rheinland-Pfalz in Händen der französischen Besatzungsmacht lag. Die Franzosen, die diese Aufgabe in Mainz wahrnahmen, sprachen häufig gut Deutsch. Ein Teil ihrer Verwaltung war in der Zitadelle: eine alte Festung auf einem Hügel, mit Blick auf die Stadt und den Rhein. Mein Vater nahm mich mal mit bei einem Besuch auf der Zitadelle: er hatte dort dienstlich etwas mit den Franzosen zu tun. Für mich wurde daraus ein Erlebnis: die Franzosen waren nett zu mir, lachten, ließen mich überall herumlaufen, erlaubten mir sogar in den am Eingang geparkten Kübelwagen zu steigen! Ein Schwimmwagen, der hinten eine kleine Schiffsschraube hatte. Ich bekam zu hören, dass man damit, wenn man wollte, durch den Rhein fahren, konnte! Ich war begeistert.

      Es stellte sich heraus, dass die Franzosen regelmäßig auf die Jagd fuhren. Als mein Vater ihnen gelegentlich erzählte, dass die Jagd sein großes Hobby sei, luden sie eines schönen Tages unsere ganze Familie ein zu einem Wochenende auf einer Jagdhütte in den Wäldern bei Kaub am Rhein. Mein Vater bekam einen Jagderlaubnisschein von den Franzosen, und aus den Jagdausflügen entwickelte sich eine jahrelange Freundschaft die noch lange fortbestand, selbst als die Besatzungsmacht wieder nach Frankreich abgezogen war.

      Immer noch habe ich meine erste (platonische) Liebe vor Augen: ich war 14 Jahre alt, als es zuhause klingelte. Vor der Tür stand eine bildschöne Französin, vielleicht 20 oder 25 Jahre jung, und fragte nach M. Wonson, von dem sie wusste, dass wir mit ihm befreundet waren. Sie war aus Paris angereist um ihn zu suchen. Mit herrlichem französischen Akzent “sang” sie: “Bonjour, ich bin eine Freundin von

      M. Wonson und von Paris hierher ´getreten´ und suche M. Wonson…. “. Während der Zeit der Suche nach M. Wonson wohnte sie bei uns. Ich war fasziniert. Nachmittags gingen wir im verwilderten Park gegenüber unserer Wohnung spazieren, wenn sie da war. Mit unserem Dackel an der Leine. Meine Spielkameraden verstanden die Welt nicht mehr. Ich eigentlich auch nicht.

      Nach einigen Tagen fuhr sie wieder nach Paris zurück: M. Wonson war nicht auffindbar. Später erfuhren wir über gemeinsame französische Bekannte, dass er zu dieser Zeit in Afrika war, auf Abenteuertour.

      Eigentlich war es so, dass ich damals ein bisschen Angst vor den Franzosen hatte. In der Zeit, als wir für einige Monate in Koblenz wohnten nach dem Krieg, war folgendes passiert: als 7 jähriger Knirps warf ich aus meinem Versteck in den Büschen am Straßenrand Steine auf einen französischen Militärwagen der gerade vorbeifuhr. Was ich mir so gar nicht vorgestellt hatte passierte dann: der Stein traf das Auto, der Wagen bremste scharf ab, zwei Soldaten sprangen heraus und fischten mich aus den Büschen. Sie packten den schlotternden Jungen in den Wagen und nahmen ihn mit zur Militärkommandantur. Dort saß ich dann eine ewige Zeit in einem Zimmer, – vielleicht 10 Minuten -, und dann schickten sie mich böse dreinschauend nachhause. Das war schlimm. Irgendwie fand ich sogar, dass ich da was falsch gemacht hatte.

      Danach war bezüglich Kontakten zu Ausländern über 10 Jahre lang absolute Funkstille. Aber ich war bereits “angesteckt”: mir blieb eine Sehnsucht, die mich mein Leben lang nicht mehr los ließ.

      Noch etwas stellte sich als wichtig heraus für mich: später pachtete mein Vater die Jagd bei Kaub, mitsamt der dazugehörigen Jagdhütte. Unzählige Wochenende verbrachten wir auf der Jagdhütte bei Kaub, und die vielen Ansitze und Pirschgänge brachten mich dem Wald, der Natur und der Fauna so nahe, dass ich mich ganz natürlich als Teil des Ganzen fühlte.

      Es war meinem Vater keineswegs unrecht dass ich Förster werden wollte. Mein Bruder hatte auch die Forstlaufbahn eingeschlagen, nicht zuletzt auf Grund einer Familientradition: mein Groß- und der Urgroßvater waren auch Förster. Wegen seiner Kriegsverletzung blieb mein Bruder in der Bezirksforstverwaltung. Mein Vater (geb. 1906) hatte eigentlich auch Förster werden wollen, aber nach dem 1. Weltkrieg war die Forstlaufbahn für viele Jahre für junge Leute gesperrt, da die Regierung die sogenannten „Zwölfender“ (Soldaten die zwölf und mehr Jahre gedient hatten) im Zuge der Zivileingliederung als Forstbeamte einsetzte. Der Schritt später der Forstverwaltung einen paramilitärischen Status zu geben war dann nicht mehr weit, und im zweiten Weltkrieg rekrutierten sich die Soldaten der Jägerbataillone und der Gebirgsjäger weitgehend aus der Forstverwaltung.

      In den 50er Jahren beschlossen die Westmächte Deutschland wieder zu bewaffnen und die Wehrpflicht wurde eingeführt. In den Kriegsszenarien des kalten Krieges war Deutschland damals von der NATO als Schlachtfeld für den 3. Weltkrieg vorgesehen. Die deutschen Soldaten hatten die Aufgabe auf dem Feld der Ehre den Vormarsch der ersten Angriffswellen der Warschauer Paktstaaten zu verlangsamen. Der Zeitgewinn bis zur Vernichtung der Bundeswehr durch die Sowjetarmee war strategisch wichtig um Teil 2 der Abwehrschlacht zu organisieren: Einsatz der alliierten Luftwaffe unter Anwendung der schon im zweitem Weltkrieg erprobten Materialschlachttechniken, diesmal mit Raketenunterstützung. Natürlich musste Teil 2 schnell greifen, damit sich die Front nicht etwa schon jenseits der Westgrenzen Deutschlands installiert hat. Da die Warschauer Pakt – Staaten mit ihren konventionellen Streitkräften eine erdrückende Übermacht hatten musste der Verteidigungsschlag atomar erfolgen. Das Umpflügen von jedem Quadratmeter Erde und allem was darauf war an Sowjetsoldaten, verbliebenen Deutschen, Städten, Wäldern und Feldern hatte in Deutschland stattzufinden.

      Meinem Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht wurde nicht entsprochen. Sechs (6) Monate nach meinem Dienstantritt im Forstdienst der Bezirksregierung Neustadt/ Weinstraße wurde ich zum Wehrdienst einberufen. Ich konnte allerdings erreichen, dass ich als Soldat nicht dem Verteidigungsministerium unterstellt wurde, sondern meine Wehrpflicht in der sogenannten Territorialverteidigung abdienen konnte, welche dem Innenministerium unterstellt war.

      Meine erste Stelle im Forstdienst war im Forstamt Neustadt-Süd. Mein Chef, Forstdirektor Weber, wusste dass ich an Auslandskontakten interessiert war. Zwei (2) mal wöchentlich bekam ich für ein paar Stunden dienstfrei (holte ich an anderen Tagen nach) um an einem Französischkurs an der Volkshochschule Neustadt teilzunehmen. Die Idee dahinter war mich aktiv in die Kontakte des BdF (Bund der Forstleute) mit der französischen Forstverwaltung und französischen Forstleuten einzubringen. Dazu musste ich natürlich erst mal gut Französisch sprechen lernen. Das fiel mir nicht schwer, denn ich hatte Französisch im Gymnasium ab der Sexta als Pflichtfach, da Rheinland-Pfalz französische Besatzungszone war. Dass ich später einmal mein Französisch in Algerien brauchen würde war zu dieser Zeit noch nicht absehbar… .

      Anfang 1967 ging meine 18-monatige Wehrpflichtzeit in Hechtsheim bei Mainz zuende. In dieser Zeit traf in der Kaserne ein Brief für mich ein. Absender: Forstdirektor Weber, Neustadt/ Weinstrasse. Darin teilte er mir mit, dass in der Landesregierung Rheinland-Pfalz eine Stellenausschreibung für vier (4) Forstleute im Umlauf sei die sich für die Arbeit in einem Forstprojekt in Afghanistan interessieren. Postwendend stellte ich die für die Bewerbung notwendigen Unterlagen zusammen und sendete sie auf dem Dienstweg an die GAWI1 in Eschborn bei Frankfurt, die damals zur Abwicklung von Projekten der deutschen technischen Hilfe im Auftrage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zuständig war. Ich wurde zu einem Auswahlgespräch in die Bundesstelle für Entwicklungshilfe (BfE) nach Frankfurt eingeladen, und kurze Zeit später traf die Mitteilung ein, dass ich berücksichtigt worden war. Und dies, obwohl ich nicht verheiratet war! Die Stellen waren nämlich für Verheiratete vorgesehen, da Afghanistan