Die Enkel des Kolumbus. Rüdiger Euler

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Название Die Enkel des Kolumbus
Автор произведения Rüdiger Euler
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Год выпуска 2025
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einzuberufen, um über den Plan Dorfpflanzungen anzulegen zu sprechen. Ziel der Absprache war mit dem Dorf einen Vertrag abzuschließen, worin das Projekt sich verpflichtete das Pflanzmaterial und die Pflanzgeräte zu stellen sowie den Transport der Pflanzen und die Pflanzarbeit selbst zu organisieren. Das Dorf stellte die Arbeiter zur Durchführung der Pflanzungen, übernahm den Schutz der Pflanzungen und hatte dafür später das exklusive Recht der Holznutzung. Für die Viehherden wurden “Korridore” belassen, um die Möglichkeit zu haben mit den Tieren in die Weidegründe abseits der Pflanzungen zu ziehen. Solche Verträge abzuschließen war einfach, den die Dorfpflanzungen waren begehrt! Es hatte sich im übrigen ja spätestens nach der ersten Djirga in den Gebirgstälern herumgesprochen was wir machten, und die Leute fanden das wirklich gut. Manchmal war es so, dass der Chan im Nachbardorf schon mit den Dorfältesten gesprochen hatte. Wenn wir kamen erhielten wir eine Einladung beim Chan, und ohne spezielle Djirga wurde am gleichen Tag der Pflanzvertrag unterschrieben. Mit Stempelkissen und Daumenabdruck.

      Deshalb hatten unsere Versammlungen manchmal mehr den Sinn sich gegenseitig kennen zu lernen, zusammen Tee zu trinken und sich Geschichten zu erzählen. Aber das war mindestens genau so wichtig. Wir saßen in dem Gästezimmer gleich rechts hinter dem Haustor. Die zweite Eingangstür war verschlossen, damit die Gäste (Gäste sind immer Männer, weil Frauen nicht unterwegs sein können um Besuche zu machen) nicht in das Hausinnere schauen konnten, wo sich die Familie bewegt. Das Zimmer hatte die rötlich-braune Farbe des Lehms mit dem die Wand verputzt war. An den spiegelglatten Wänden entlang lagen große Kissen mit farbenfrohen Mustern, und ein großer roter Afghanteppich füllte den ganzen Raum aus. Durch ein kleines Fenster in der dicken Lehmwand fiel Sonnenlicht und erhellte kontrastreich einige Kissen. Wir saßen entspannt auf den riesigen Kissen und warteten auf das Erscheinen des Chans. Dann öffnete sich die grob geschnitzte Holztür, und er kam: ein alter Mann, gekleidet wie alle: ein langes Hemd über der Pluderhose, darüber eine kurze Weste, auf dem Kopf der Turban. Ein langer roter Bart zierte das spitze Gesicht. Natürlich gehörten auch über der Brust gekreuzte Patronengurte dazu, der dazu gehörige Revolver, und der riesige Pashtunendolch im Gürtel. Das war alles unabdingbarer Bestandteil der Kleidung und hatte nicht im mindesten etwas mit einem Misstrauen gegen uns zu tun.

      Wir erhoben uns zur Begrüßung und erhielten einen warmen Händedruck. Ein klarer ruhiger Blick erfasste uns, ein unmerkliches Lächeln spielte in seinem faltigen Gesicht. Alle Bewegungen waren gemessen, würdig und stolz. Nach den rituellen Begrüßungsformeln (salemaleikum, zangai, djurli, chai, bachai…) bedeutete uns der Chan mit einer leichten Handbewegung wieder Platz zu nehmen. Mein Counterpart, Herr Navor Shah, sprach fließend Deutsch. So ging die Unterhaltung flüssig; die Übersetzungspausen empfand ich manchmal sogar als angenehm, da man Zeit hatte nachzudenken und zu beobachten während Paschtu gesprochen wurde, und es war leicht eine klare Antwort zu formulieren. Nach einem Jahr hatte ich mich so gut auf Paschtu eingehört, dass ich durchaus mitbekam, wenn etwas nicht gut übersetzt wurde (was bei Navor Shah nie der Fall war), obwohl ich nicht Paschtu sprechen konnte.

      Und dann erzählte uns der Chan die viele tausend Jahre alte Geschichte, die alle Afghanen kennen. Wie das mit uns Afghanen war, damals, vor langer, sehr langer Zeit: „.. Die Zeiten waren schwer, weil die Berge nicht mehr alle ernähren konnten. Schnee und Eis kamen immer tiefer die Hänge herab, bedeckte alle Weidegründe, und die Viehherden litten Hunger. Auch das Volk litt Hunger, konnte so in den Bergen nicht mehr überleben. Da beschloss ein Teil des Volkes fortzuwandern, mit den Herden andere Weidegründe zu suchen, um zu überleben. Mehr als die Hälfte von uns wanderte los, nach Nord-Westen. Sie wanderten durch Steppen, Berge, Täler, Wälder, weiter, und weiter.

      Das seid ihr, die Deutschen, unsere Brüder, die damals fortgingen. Ihr seid Arier, wie wir. Ihr seid Afghanen. Heute nennt ihr euch “Almaneidas” (Deutsche), aber ihr seid unsere Brüder. Und nun kommt ihr zurück zu uns, um uns zu helfen. Das ist wunderbar, das ist das Schönste, seid willkommen, wir freuen uns sehr!“

      Ich war sprachlos. Wir schauten uns an. Das ist also die Geschichte, so wie sie von Generation zu Generation weitergegeben wurde, von Mund zu Mund, in den Hindukuschbergen, abgeschnitten von der Welt, in diesen Tälern die nie ein Ausländer je vor uns betreten hatte. Ich dachte an die letzte Eiszeit. So war es wohl gewesen, damals, vor 10.000 Jahren, in Afghanistan. Die Berge versanken Jahr für Jahr tiefer in Schnee und Eis, alles erstarrte in Kälte und Frost, und nur die tiefer gelegenen Talsohlen blieben frei.

      Was wissen wir über die Geschichte in dieser Zeit in Deutschland? Nichts. Die Mund zu Mund Überlieferung ging bei uns verloren. Andere Hinweise gibt es nicht.

      Die Sprache vielleicht: Paschtu ist eine der wenigen Sprachen in der Welt die drei Artikel hat: wie im Deutschen. Beide Sprachen zählen zum Indogermanischen Sprachraum.

      Noch etwas verblüffendes: Deutsche und die Afghanen sehen sich ziemlich ähnlich. Blaue und graue Augen sind keine Seltenheit, der Körperbau ist ähnlich. Die Gesichtszüge sind manchmal ziemlich grob, manchmal jedoch sehen sie ausgesprochen gut aus -, ein Umstand der auch für die Deutschen gelten kann. Wenn man von Deutschland mit dem Auto nach Afghanistan fährt sieht man bereits im Balkan völlig andere Gesichter. Auch die kantigen Züge der Türken und dann die glutäugigen Perser sind uns nicht gerade aus dem Gesicht geschnitten. Aber mit den Paschtunen in Afghanistan ist das anders: nach ca. 9000 km Reise!

      Und da ist noch was -, so etwas wie ein Volkscharakter: die Afghanen sind direkt, ernst und zuverlässig. Das Wort zählt. Ein Versprechen ist mehr wert als ein Vertrag. Auch das ist in vielen Teilen Deutschlands heute noch der Fall.

      Auch hierzu eine Episode:

      Ich war mit dem Auto unterwegs im Norden von Afghanistan. In Mazar-i-Sharif entdeckte ich in einem Teppichladen einen herrlichen alten Kelim: ein gewebter Teppich, mit warmen, harmonischen Farbmustern. Er gefiel mir sehr gut, aber er war recht schmal und ziemlich lang. Ich war mir nicht sicher ob die Maße stimmten für den Platz den ich vor Augen hatte in meiner Wohnung in Kabul. Inzwischen konnte ich gut genug Farsi um mich mit dem Teppichhändler zu unterhalten. Wir saßen auf einem Stapel von Teppichen und tranken grünen Tee mit Kardamom. Ich hatte erzählt, dass ich in Paktia in einem Projekt arbeite, und gerade auf Rundreise bin um Afghanistan kennen zu lernen. Da machte mir der Teppichhändler den Vorschlag, ich solle den Teppich mitnehmen, und wenn er mir gefiele in der Wohnung könne ich das nächste mal bezahlen, wenn ich wieder nach Mazar-i-Sharif käme. Ich fragte nach Papier, um ihm meine Adresse zu geben: die bräuchte er nicht.

      Ich fragte ob ich etwas anzahlen sollte, – nichts von alledem. Zum Abschied gaben wir uns die Hand und wiederholten noch mal kurz wie wir verblieben waren. Das war alles an Sicherheiten. Erst nach Monaten fand ich Zeit wieder nach “Mazar” zu fahren, mit

      Geld um den Teppich zu bezahlen. Der Teppichhändler, das wurde mir klar, hatte nie einen Zweifel dass ich kommen würde um den Kelim zu bezahlen, oder um den Teppich gegebenenfalls zurückzugeben. Er hatte mein Wort. Das genügte ihm vollauf.

      Aber, dass sollte man auch wissen: die Afghanen werden zu unversöhnlichen Feinden, wenn sie betrogen und hintergangen werden. Sie finden, wen sie finden wollen. Und sie sind hart, mutig und unerbittlich… .

      Das ein Versprechen mehr wert ist als ein Vertrag lernten wir bald auch bei der Projektarbeit:

      Für die Dorfpflanzungen schlossen wir mit den Dorfältesten immer schriftliche

      Verträge ab. Wäre ja auch komisch gewesen, wenn wir der GAWI in Deutschland in unseren Halbjahresberichten mitgeteilt hätten wir würden Dorfpflanzungen machen, weil uns die Dorfältesten versprochen hätten die Pflanzungen zu schützen! Nein, in unseren Berichten klang das so: “im Berichtszeitraum schlossen wir soundsoviele Verträge mit soundsovielen Dörfern ab zur Durchführung von dorfnahen Aufforstungen auf soundsoviel Hektar. Dabei kamen die Unterzeichnenden zu folgender Übereinkunft: …“, und so weiter. Das klang gut, so musste das sein, und auch von der Paktia Development Authority (PDA) in Kabul, unserer afghanischen Counterpartbehörde, wurden wir bestärkt so zu verfahren.

      Eines schönen Tages bekamen wir jedoch einen Brief vom Landwirtschaftsministerium in Kabul, worin uns knapp mitgeteilt wurde, dass alle Aufforstungen die das Projekt durchführt dem Landwirtschaftsministerium unterstehen. Erlöse aus dem Verkauf des Holzes gehen als Einnahme an das Finanzministerium… .

      Das