Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

Читать онлайн.
Название Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
Жанр
Серия
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783754957998



Скачать книгу

Ich in bereit, zu schwören, wenn die Aussagen der anderen Zeugen für falsch erklärt werden. (Heiterkeit.)

      Vors.: Sie werden doch selbst einsehen, daß das nicht ausführbar ist. Ich frage Sie also nochmals, wollen Sie Ihre Aussage beschwören?

      Nitter: Unter diesen Umständen kann ich nicht schwören. Der Herr Staatsanwalt sagte, ich käme bei dem Morde als Mittäter in Betracht, gleichviel, ob ich geschossen habe oder nicht. Ich bemerke: wenn zwei Einbrecher verabreden, im Falle sie überrascht werden, zu schießen, so wird bei einer Überraschung nicht erst beraten werden. wer schießen soll, sondern es werden beide gleichzeitig schießen.

      Vors.: Ihre Ausführungen interessieren uns nicht. Der Gerichtshof wird in der Pause beraten, ob Sie zu vereidigen sind.

      Der Vorsitzende, Geh. Justizrat Landgerichtsdirektor Goldschmidt, eröffnet die Nachmittagssitzung mit folgenden Worten: Ich habe dem Zeugen Schriftsetzer Feller aus Berlin gestattet, mit Nitter zu sprechen. Ich ersuche den Zeugen Feller, vorzutreten.

      Feller äußerte hierauf: Ich habe mit Nitter gesprochen. Ich habe ihm gesagt: Ich habe von seiner Schwester den Auftrag, ihm mitzuteilen: Wenn er sich bessert, dann würde sie alles tun, damit er wieder ein ordentlicher Mensch wird. Er solle aber die Wahrheit sagen, er habe augenscheinlich nicht die Wahrheit gesagt. Nitter hat erwidert: Ich fürchte einmal die Rache von Knitelius und andererseits würde mir ja doch nicht geglaubt werden, wenn ich jetzt die Wahrheit sage.

      Vors.: Nun, Nitter, treten Sie einmal an den Zeugentisch.

      Nitter weinte während der Vernehmung des Feller heftig. Er trat laut weinend mit vorgehaltenem Taschentuch an den Richtertisch.

      Vors.: Nitter, der Gerichtshof hat den Beschluß, ob Sie zu vereidigen sind, noch einstweilen ausgesetzt. Ich frage Sie nun, wollen Sie jetzt die Wahrheit sagen? Ist Knitelius in Magdeburg gewesen? Sagen Sie die Wahrheit!

      Nitter weinte und führte augenscheinlich in seinem Innern einen heftigen Kampf.

      Vors.: Ich frage Sie nochmals, Nitter: Ist Knitelius in Magdeburg gewesen?

      Nitter, nach einigem Zögern: Ja. (Große allgemeine Bewegung.)

      Vors.: Das ist die Wahrheit?

      Nitter (weinend): Ja.

      Vors.: Dann erzählen Sie noch einmal von Ihrer Begegnung im »Kronen-Café« in Berlin an, was geschehen ist.

      Nitter: Am 23. Oktober 1908 trafen wir uns in Berlin im »Kronen-Café«. Wir beschlossen, am folgenden Tage nach Magdeburg zu fahren, um einen Einbruch zu begehen. Ich fuhr am Sonnabend, den 24. Oktober, mittags ein Uhr, nach Magdeburg und holte Knitelius, der erst acht Uhr abends ankam, vom Bahnhof ab. Wir mieteten uns hier eine Wohnung und besuchten verschiedene Lokale. Am Sonntag waren wir im »Café Hohenzollern«; wir kauften uns bei Loeser & Wolff Zigarren. Nachmittags versuchten wir in eine Drogerie in der Wilhelmstraße einzubrechen; es gelang uns aber nicht. Wir gingen weiter. Als wir am Breiten Weg an der Hirsch-Apotheke vorüberkamen, beschlossen wir, in diese einzubrechen. Dies gelang uns sehr schnell, da Knitelius gute Einbruchswerkzeuge hatte. Wir suchten in mehreren Kästen nach Geld, schließlich hörten wir schließen und sahen uns einem Herrn gegenüber. Dieser sagte guten Abend. Ich erwiderte den Gruß. In demselben Augenblick krachte ein Schuß.

      Vors.:Knitelius hatte den Mann geschossen?

      Nitter (nach einigem Zögern): Ja.

      Vors.: Weshalb haben Sie bis jetzt die Unwahrheit gesagt?

      Nitter: Ich befand mich zwischen Baum und Borke. Ich befürchtete einmal die Rache des Knitelius und wurde auch von seinen Blicken hier im Saale fortwährend beeinflußt Andererseits bedrückte mich mein Gewissen. Ich halte es für meine moralische Pflicht, jetzt die Wahrheit zu sagen, da es sich um einen Mord handelt. Ich bin der Meinung, ein Mensch, der einen Mann, dem er sein Eigentum rauben will, mordet, gehört nicht in die Freiheit. Ich habe schon einmal gesagt, ich habe den Schuß nicht gebilligt.

      Vors.: Sie hätten nicht geschossen?

      Nitter: Niemals.

      Vors.: Sie haben also jetzt die volle Wahrheit gesagt?

      Nitter (heftig weinend): Ja. jetzt habe ich die volle Wahrheit gesagt.

      Vors.: Wollten Sie in der Apotheke Geld stehlen oder ein Betäubungsmittel rauben?

      Zeuge: Wir wollten Geld stehlen.

      Vors.: Nun, Angeklagter Knitelius, was sagen Sie dazu?

      Der Angeklagte saß wie versteinert da; er wurde aschfahl im Gesicht und schwieg.

      Vors.: Angeklagter, ich frage Sie nochmals, was sagen Sie zu diesem Geständnis des Nitter?

      Angekl.: Ich bitte, mit meinem Verteidiger sprechen zu dürfen.

      Der Vorsitzende unterbrach die Sitzung und gestattete, daß der Verteidiger sich mit dem Angeklagten in ein Zimmer zurückzog.

      Nach etwa zehn Minuten trat der Verteidiger mit dem Angeklagten in den Sitzungssaal wieder ein. Die Spannung der zahlreichen Zuhörer war aufs höchste gestiegen.

      Vert. R.-A. Dr. Boré: Der Angeklagte hat mich ermächtigt, zu erklären, daß er den Schuß auf den Apothekenbesitzer Rathge abgegeben hat. (Große allgemeine Bewegung.) Der Angeklagte bestreitet aber, einen Mord beabsichtigt zu haben. Der Angeklagte läßt den Herrn Vorsitzenden außerdem ersuchen, die Sitzung auf eine Stunde zu unterbrechen. Der Angeklagte ist derartig erregt Und erschöpft, daß er dringend der Erholung bedarf.

      Es trat darauf eine einstündige Pause ein.

      Nach Wiedereröffnung der Sitzung war der Andrang des Publikums geradezu beängstigend, Aber auch der Innenraum war zum Brechen voll, so daß die Berichterstatter im Schreiben ganz außerordentlich behindert wurden.

      Der Vorsitzende ließ den Angeklagten vor den Richtertisch treten. Der Angeklagte erzählte auf Befragen des Vorsitzenden: Am Freitag, den 23. Oktober, abends, habe ich im »Kronen-Café« in Berlin mit Nitter beschlossen, nach Magdeburg zu fahren, um uns dort ordentlich zu amüsieren und auch Pfandscheine zu verkaufen. Von Magdeburg wollten wir nach Halle fahren. Wir wollten hauptsächlich deshalb nach Magdeburg fahren, weil ich in Berlin schon wegen der Bethge behindert war. Am folgenden Tage, Sonnabend den 24. Oktober, mittags ein Uhr, fuhr Nitter nach Magdeburg, ich traf um acht Uhr abends in Magdeburg ein. Nachdem ich im Nebenhaus von Nitter, in der Anhaltstraße hierselbst, ein Zimmer gemietet hatte, besuchten wir verschiedene Lokale.

      Vors.: Hatten Sie nicht auch die Absicht, einen Einbruch zu verüben?

      Angekl.: Nein, davon war keine Rede. Am folgenden Sonntag machte Nitter beim Mittagessen den Vorschlag, etwas auszuführen. Ich muß bemerken, daß ich kein Gepäck nach Magdeburg mitgebracht hatte. Die Einbruchswerkzeuge hatte Nitter mitgebracht. Nitter sagte: »Ich habe schon ausbaldowert.« Ich muß ausdrücklich hervorheben, daß ich das Wort »ausbaldowert« gar nicht kannte. Ich habe manches gekauft, dadurch kam ich mit Verbrechern zusammen, die Verbrechersprache war mir aber vollständig fremd. Ich hatte, offen gestanden, keine Lust, einen Einbruch zu begehen, wenn nicht wenigstens Aussicht vorhanden war, 50 bis 60000 Mark dabei zu holen, so daß man ein Geschäft anfangen konnte. Nitter drang aber in mich. In der Wilhelmstraße wollten wir in eine Drogenhandlung einbrechen, das gelang uns aber nicht. Wir gingen alsdann den Breiten Weg entlang und kamen bei der Hirsch-Apotheke vorüber. Da hing ein Zettel draußen: »Von drei Uhr nachmittags ab geschlossen.« Nitter schlug vor, in die Apotheke einzubrechen. Ich lehnte ab. Da sagte Nitter: »Willst du es vielleicht noch bequemer haben? Du siehst hier den Zettel, sollen sie dich vielleicht erst zum Kaffee einladen?« Ich wollte aber nicht und sagte: »Was ist denn in einer Apotheke zu holen?« Nitter erwiderte: »Du bist doch sonst ein mutiger Mensch, hier, wo die Sache so günstig liegt, verlierst du den Mut!« Dieser Appell an meinen Mut und die günstige Gelegenheit veranlaßten mich schließlich,