Название | Handbuch des Strafrechts |
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Автор произведения | Jörg Eisele |
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Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811449664 |
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Im Anschluss an die Einführung dieses besonderen Schutzes von Polizeibeamten*Polizeibeamtinnen ist von Vertretern*Vertreterinnen anderer Berufsstände die Forderung erhoben worden, auch ihre jeweilige Berufsgruppe besonders zu schützen. Hierzu zählen etwa Lehrkräfte, ärztliches Personal und Mitarbeiter*innen in Ämtern. Nicht anders als bei der Polizei sind diese Ansinnen aus strafrechtlicher Sicht zweifelhaft und vor allem symbolischer Natur. Die körperliche Unversehrtheit der genannten Berufsgruppen ist bereits jetzt umfassend und mit massiven Strafdrohungen durch das Strafrecht geschützt. Die Einführung weiterer Sondertatbestände würde daher vor allem dem Ziel dienen, besondere Problemstellungen der einzelnen Berufe in Gesetzesform hervorzuheben.
4. Reformbestrebungen des Gesetzgebers
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Die Reformtätigkeit des Gesetzgebers weist im Bereich des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit eine gewisse Ambivalenz auf. Zum einen ist für den 17. Abschnitt seit dem 6. StrRG wenig Bewegung zu konstatieren.[476] Dies lässt sich u.a. auf das restriktive Rechtsgutverständnis zurückführen, welches psychische Gewalt weitgehend ausschließt. Zum anderen und damit in Verbindung stehend wird ein gleichwohl bejahter Regelungsbedarf in anderen Abschnitten des StGB wie auch in anderen Rechtsgebieten umgesetzt. So wurde beispielsweise das Stalking als Nachstellung in § 238 StGB geregelt, der seit seiner Einführung bereits mehrfach ausgeweitet wurde.[477] Die Neufassung der §§ 113, 114 StGB[478] hat dazu geführt, dass der „tätliche Angriff“ auf Amtsträger*innen heute faktisch zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung pönalisiert ist.[479]
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Betrachtet man die Reformtätigkeit des Gesetzgebers der letzten Jahrzehnte, so ist der Bereich der Körperverletzungstatbestände – nicht anders als das sonstige Strafrecht[480] – von einer Tendenz der Ausweitung und Vorverlagerung von Strafbarkeit geprägt, auch wenn diese Entwicklung im Bereich der §§ 223 ff. StGB weniger stark ausgeprägt ist. Zwar wurden im Laufe der Zeit einzelne Delikte modifiziert oder gestrichen – z.B. der Vergiftungstatbestand, § 229 StGB a.F., welcher jedoch in den heutigen § 224 StGB überführt wurde.[481] Insbesondere die Einführung der Versuchsstrafbarkeit in § 223 Abs. 2 StGB und die Novellierung des § 224 StGB mit einer erheblichen Erhöhung des Strafrahmens durch das 6. StrRG stehen jedoch für eine Entwicklung der Verschärfung, ebenso wie die Einführung des § 226a StGB. Ein Vorstoß im Bundesrat zur Neuschaffung eines § 224a StGB, welcher die Körperverletzung aus niedrigen Beweggründen erfassen und extremistische Gewalttaten besonders bestrafen sollte, wurde indes überwiegend kritisiert und verlief schließlich im Sande.[482] Weitere Änderungen werden durch das europäische und internationale Recht angestoßen.[483]
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Weitgehend abseits der gesetzgeberischen Aufmerksamkeit werden in der Literatur zahlreiche Reformdiskussionen grundlegenderer Art geführt. Die prominenteste und älteste Diskussion dreht sich um die Einführung eines Sondertatbestandes für eigenmächtige ärztliche Heilbehandlungen.[484] Diverse Anstöße dazu wurden vom Gesetzgeber bisher nicht umgesetzt,[485] entsprechende Änderungen jedoch weiter beständig eingefordert.[486] Hinsichtlich § 227 StGB wird gefordert, dass die klassische rechtsdogmatische Problematik um die Unmittelbarkeit der Todesfolge gesetzgeberisch geklärt werden müsse.[487] Weiterhin wird bei § 228 StGB angeregt, dass für die Einwilligung nicht mehr an dem Merkmal der Sittenwidrigkeit festgehalten werden solle.[488] Eine weitere größere Reformüberlegung bezieht sich auf die strafrechtliche Handhabung von fahrlässigen Körperverletzungsdelikten im Straßenverkehr.[489] Vorschläge, die auf eine Herausnahme von Sachverhalten mit Straßenverkehrsbezug aus § 229 StGB zielen (vgl. bereits Rn. 74), wurden bisher vom Gesetzgeber aber nicht weiter aufgenommen.[490] Zudem wird diskutiert, ob bei § 229 StGB die Bestrafung von fahrlässigen Bagatellen angesichts des oftmals geringen Unrechts- und Schuldgehalts adäquat ist.[491]
1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben › § 4 Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit › D. Sonstiges
I. Historische Entwicklung der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit im deutschen StGB
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Die Strafbarkeit von Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit (traditionell: Körperverletzungsdelikte) kennt die deutsche Strafgesetzgebung seit jeher, wenn auch die namentliche Bezeichnung und der Umfang der inkriminierten Handlungen einem Wandel unterlagen. Ausgehend von einzelnen aufgezählten Körperverletzungsvarianten schon im Zwölftafelgesetz (451–449 v.Chr.) wurde in der Folge nach dem weiten Verständnis des römischen Rechts als „injuria“ jegliche körperliche und seelische Misshandlung erfasst.[492] Auch das germanische Recht kannte die Körperverletzung als eigenen Deliktstypus, welcher im Hinblick auf äußerlich erkennbare Wunden, Verstümmelungen und sonstige Beschädigungen des Körpers weiter ausdifferenziert wurde.[493] In der peinlichen Gerichtsordnung von Karl V. aus dem Jahre 1532 verlor sich die Körperverletzung als eigenständiges Delikt.[494] Die Constitutio Criminalis Carolina erfasste die Körperverletzungsdelikte nur in Sonderfällen, erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich – offenbar durch die Gerichtspraxis – ein eigener Begriff der Körperverletzung (violatio corporis).[495]
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Die die Rechtslage bis in die Gegenwart prägende Definition der Körperverletzung stammt von Feuerbach und entspricht der Kodifikation in Art. 178 BayStGB I. Teil aus dem Jahr 1831: „Wer (…) einen Anderen an seinem Körper misshandelt, oder dessen Gesundheit durch Verwundung, Verletzung oder sonst auf irgendeine Weise beschädiget, soll in folgenden Fällen des Verbrechens der Körperverletzung schuldig geachtet werden“. Diese einseitige Fixierung auf den Körper prägt das deutsche Rechtsverständnis bis heute. Rein seelische Beeinträchtigungen werden außerhalb von Sondertatbeständen grundsätzlich nicht erfasst.[496] Eine bedeutsame Ausnahme ist der 1912 eingefügte § 223a Abs. 2 StGB,[497] der am 26. Mai 1933 durch Gesetz[498] in § 223b StGB überführt wurde und schließlich in den heutigen § 225 StGB mündete, der beispielsweise im Rahmen des Quälens auch seelische Schmerzen erfasst.[499] Im preußischen StGB von 1851 erfolgte nach Vorbild des bayerischen StGB im 16. Titel eine Gruppierung der Körperverletzungsdelikte in §§ 187 ff. PrStGB. Nachdem das Delikt der Körperverletzung mit Todesfolge in den Partikulargesetzen der deutschen Länder teils als Tötungsdelikt, teils als Körperverletzungsdelikt aufgefasst worden war, wurde es durch § 194 PrStGB als Körperverletzungsdelikt festgeschrieben.[500] Das RStGB aus dem Jahre 1871 nahm die Entwicklung des PrStGB auf und kodifizierte die teilweise bis heute bestehenden Regelungen im 17. Abschnitt des RStGB in §§ 223 ff. RStGB.
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Diesen Ort bewahrten sich die Körperverletzungsdelikte,