Название | 'I'-Gene |
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Автор произведения | C.-A. Rebaf |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742733757 |
Dort erledigte sie ihre Routine und scrollte dann gezielt durch die Informationsbanken ihres Computers. Sie war sehr streng organisiert. Es gab Freunde, die ihr bescheinigten, dem autistischen Umfeld zugeordnet zu sein; wohl der Grund, warum ihr die Informatik so ans Herz gewachsen war. Sie liebte diese Betätigung, da sie ihren zwanghaften Drang, Ordnung und Struktur zu schaffen, befriedigen konnte. Sie vermied allzu viel menschliche Nähe, weil sie ihr nicht gut tat. Aber sie sehnte sich doch immer danach. Das war der Konflikt ihres Lebens, den sie immer durch ihre hervorragende Arbeit zu kompensieren versuchte. Das spiegelte sich auch in ihren wechselnden Beziehungen zu Männern wieder, die ihr bisheriges Leben durchzogen. Immer dann, wenn sie dachte, bei einem Mann ange-kommen zu sein, wunderte sie sich, dass dieser nicht akzeptieren konnte, dass sie ihre Freiheit - wie sie es nannte - brauchte und die Forderungen der Gegenseite nach mehr und häufiger Nähe und Zweisamkeit schroff ablehnte. Aber sie hatte ja ihre Computerwelt – hier war es ihr besonders wichtig, durch die Herstellung von Verbindungen zwischen den weltweit bestehenden Daten-Clouds, eine neue Informationsqualität zu erzeugen. Die Sehnsucht nach menschlicher Nähe kompensierte sie im übertragenen Sinne dadurch, dass sie Nähe für Datenbanken erzeugte. Dabei spielte es oft keine Rolle, ob die Datenformate kompatibel waren, denn es gab inzwischen ausreichend technische Möglichkeiten diese Kompatibilität zu erzeugen.
Gerade kürzlich war es ihr gelungen, Scans von Aufzeichnungen aus dem British Museum aus tiefster Vergangenheit zu digitalisieren und so der Datenwelt zu eröffnen. Das waren handschriftliche Beschreibungen von Ausgrabungen in Ägypten im 19. Jahrhundert; darunter auch kleinste Notizen. Aber es zeigte sich mit fortschreitender Entwicklung, dass solche Beobachtungen aus der Vergangenheit für die moderne Forschung immer wichtiger wurden. Das Daten-Digging in den Archiven der Museen wurde immer wichtiger und Andromeda lieferte dazu entscheidende Beiträge. Nicht nur Dokumente, die in wissenschaftlichen Archiven zu finden waren, sondern vor allem private oder halb-private Aufzeichnungen, die auf skurrilen Wegen die Öffentlichkeit erreichten, gaben besonders viele Hinweise. Vor allem, wenn man diese dann wie Puzzleteile in die Lücken füllte, die die unvollständige Wissenschaft der Vergangenheit hinterließ. Oft waren das Papiere, die auf einem Speicher, in einem englischen Schloss, in Schrank-koffern gefunden und dann über Ebay zum Verkauf angeboten wurden. Andromeda prüfte da gerade wieder einmal eines dieser unzähligen Angebote. Es war sehr schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen und etwaige raffinierte Fälschungen von Authentischem zu unterscheiden. Das ihr gerade neu angebotene Tagebuch soll von einem Diener geschrieben worden sein, der den berühmten Ägyptologen Carter auf seinen Expeditionen im Land der Pharaonen begleitete. Sein Name war John. Er schrieb eigentlich eher aus Langeweile und weil er es seinem Herrn gleichtun wollte. Der Inhalt war eher bescheiden, die Sätze sehr einfach und es gab massenweise Worte aus dem Cockney, die erst mit viel Mühe ins Hochenglische über-tragen werden mussten. War dies geschafft, dann konnte der Text einer vernünftigen Analyse unterzogen werden. Andromeda hatte eine Software geschrieben, die die Fakten – einzelne Puzzlesteine – aus dem Zusammenhang heraus-zog, vereinzelte und in eine Datenbank einspeiste. Diese verglich sie dann mit denen der wissenschaftlichen Literatur. Es war erstaunlich, wie viele Bestätigungen und logisch sinnvolle Ergänzungen zu den Originalarbeiten, etwa von Newton, Darwin oder Lavoisier, zu Tage kamen. Das gesamte Vorgehen entsprach dem Charakter von Andromeda und erfüllte sie mit ungeheurer Befriedigung, wenn sie wieder eine Puzzle-Fehlstelle gefüllt hatte.
Im Lauf des Vormittags checkte sie ihre E-Mails und war gespannt, ob der eBay-Anbieter ihr eine Probe hatte zukommen lassen, wie sie es gefordert hatte. Sie wollte ja keine Katze im Sack kaufen, zumal sie ja dafür Institutsgelder einsetzte und sich entsprechend rechtfertigen musste. Aber da sie bereits erfolgreiche Zukäufe in der Vergangenheit getätigt hatte, vertraute man ihr zunehmend.
Tatsächlich, sie erhielt einen File mit einem kurzen Aus-schnitt aus dem angebotenen Tagebuch. Mit Mühe entzifferte sie die krakelige Handschrift:
kam der Doktor in das Zelt und mein Herr wies mich an, ihnen beiden Tee zu servieren. Die beiden Herren unterhielten sich zunächst über die Hitze und dann beugte sich der Gast über einen Holzkasten, in dem ein wildes Durcheinander von Knochen und Knöchelchen aufgeschüttet war. „Die haben wir auf dem Boden zusammengefegt“, erläuterte mein Herr. „Das erscheint mir nicht sehr professionell dokumentiert“, schmunzelte der Gast. „Wir können uns mit diesem Kleinkram nicht verzetteln,“ entschuldigte sich mein Herr, „wir wollen doch die Mumie finden und uns nicht mit solchen Details verspielen!“ Der Doktor nahm anscheinend zufällig ein Knöchelchen und sagte, das sieht ja eher aus, als ob es von einem Hund stammt“…
Das war alles, und damit sollte Andromeda jetzt eine Entscheidung treffen. Das Gebot stand bereits auf 15.000 NEuro. Nach dem Zusammenbruch des europäischen Währungssystems, wurde der „Nord-Euro“ eingeführt, wie er ausgeschrieben hieß. Inzwischen eine gängige Weltwährung, die neben dem US$ üblich war. Die südlichen Euro-Staaten hatten weiterhin die 'Ur'-Währung, den Euro, beibehalten, der jährlich gegen den NEuro abgewertet wurde. Kein Wunder, hatte sich sogar die Schweiz dazu durchgerungen, dieser Verbundwährung von Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Deutschland und Russland beizutreten. Die Schweizer Nationalbank war im Gegenzug maßgeblich bei der Formulierung der Statuten beteiligt gewesen, was dem Erfolg dieser Währung sehr gut tat. Einige Professoren aus St.Gallen hatten die alte SNB sehr gut beraten und die russische Komponente wurde darin hervorragend integriert, vor allem wegen der dortigen noch immer hohen Rohstoffvorkommen. Nach anfänglicher Parität mit dem US$ war nach wenigen Jahren der NEuro etwa 3-4 mal mehr wert und nach der Umstellung des Energiemarktes auf diese neue Währung war es üblich, internationalen Geschäfte auf dieser Basis abzuwickeln.
Irgendetwas sagte Andromeda, dass dies wirklich ein authentisches Dokument war. Ihr Bauchgefühl war inzwischen sehr gut entwickelt. Sie gab sich einen Ruck und gab 50.000 NEuro als Höchstgebot ein und war sicher, damit diese Versteigerung zu gewinnen. Die Restlaufzeit war eh nur noch kurz. „Das gibt wieder viel Arbeit“, dachte sie, „aber zumindest schreibt der Diener einigermaßen lesbar und verständlich. Ich sollte mich dennoch absichern, sicher kann Thor mir bei der Entscheidung helfen.“ Sie ergriff ihr Smartphone, rief ihn an und erwischte ihn in der Straßenbahn. Im Gegensatz zu ihr, liebte er den ÖV. „Hey Thor, ich brauche deine Hilfe!“, platzte sie gleich heraus. „Ich habe wieder einmal ein Dokument, das ich für die Datenbank erwerben will und ich bin mir nicht sehr sicher, ob es so viel Geld wert ist. Ich habe 50.000 NEuro geboten“. Thor pfiff ins Telefon. „Liebes, du verdirbst die Preise“, sagte er lachend. „Nenn mich nicht 'Liebes', wir sind nicht verheiratet! Du weißt, ich mag das nicht! Was soll Carol dazu sagen? Darf ich dir den Probetext schicken?“ „Natürlich, am besten gleich – noch habe ich bei der Fahrt zum Institut hier Zeit.“ Sie schickte eine MMS und er überflog den Text.
Plötzlich gab es einen heftigen Knall, die Straßenbahn bremste abrupt voll ab. Er flog aus seinem Sitz und das Smartphone rutschte über den Boden und zerlegte sich in Einzelteile. Als er sich wieder aufgerappelt hatte – außer einigen blauen Flecken, war ihm wohl nichts passiert – sammelt er die Reste des Smartphones ein. Das Display war dunkel. „Scheiße, es ist hoffentlich nicht kaputtgegangen!“ fluchte er leise und schaute, was los war. Es war das Übliche: Eine überlastete Drohne raste in den Stromabnehmer der Bahn und legte die elektrische Versorgung komplett lahm.
Die Errungenschaften der Zukunft hatten auch noch ihre Schwachstellen! Die Medien diskutierten schon, als Schutz gegen herumirrende Drohnen an allen wichtigen Stellen entsprechende Stahlplatten als Abwehr anzubringen. Die alten Straßenbahnwagen der LVB waren jedoch noch nicht aufgerüstet. Thor war klar, dass er hier nicht weiterkam und schlug sich zu Fuß durch. Er hatte Andromeda völlig vergessen. Diese wiederum machte sich Vorwürfe, Thor so angepöbelt zu haben und sie malte sich aus, wie beleidigt er jetzt war und sich nicht mehr meldete. Sie selbst traute sich deswegen auch nicht, ihn zu kontaktieren.
Thor