Название | Tatort: Die Bibel |
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Автор произведения | Eckhard Lange |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748592716 |
7. Kidnapping und Aussetzung (1. Mose 37)
Man kann das ruhig einmal aussprechen: Besonderes Glück mit ihren Kindern haben Abrahams Nachkommen nicht gerade gehabt. Brüder sind nun einmal nicht zwangsläufig gute Freunde, das haben schon Esau und Jakob bewiesen. Und Jakobs Brut ist da auch nicht viel besser, zumal die Jungs ja auch unterschiedliche Mütter haben. Aber da ist einer unter ihnen, der wird von allen gemobbt: Joseph, der Jüngste. Er ist das einzige Kind, das Jakobs Lieblingsfrau Rahel bislang zur Welt gebracht hat, und deswegen ist er auch Papas verhätscheltes Lieblingskind.
Nun haben es die Zuletztgeborenen nicht immer leicht. Denen läßt man oft genug so manches durchgehen, was den Älteren seinerzeit strikt verboten war. Das fördert nicht gerade die Geschwisterliebe. Unpädagogisch, wie solche Väter nun einmal sind, zeigt aber auch Jakob seinen anderen Söhnen deutlich, daß sein lieber Joseph doch etwas Besonderes ist. Während sie alle in ihren Arbeitsklamotten herumlaufen, bekommt der Kleine ein hübsches Kleidchen. Bunt und verziert und aus besten Stoffen geschneidert, hat es auf dem Basar sicher ein ebenso hübsches Sümmchen gekostet. Da war es dann endgültig zuende mit der Bruderliebe.
Aber besonderes Mitleid will dennoch nicht aufkommen. Der Junge weiß um seine Sonderrolle, und er läßt das die anderen spüren. Keine Depression wegen ihres Mobbings, sondern auftrumpfende Angeberei macht ihn nicht gerade sympathisch. Und er hat einen besonderen Trick, den Brüdern zu zeigen, daß er der King ist: Er träumt. Das tut jeder, und meist vergessen wir rasch den Unfug, den wir nächtens so zu sehen bekommen. Nicht so unser Joseph. Er träumt nämlich angeblich stets das gleiche, wenn auch in unterschiedlichen Bildern: Er, der Jüngste, würde einmal über alle seine Brüder herrschen, würde also Clan-Chef sein. Wunschträume, verständlich. Doch so etwas sollte man lieber für sich behalten. Joseph aber weiß nichts Besseres, als seine Träume überall herumzuerzählen. Das wird selbst dem Vater zu viel. Und den Brüdern sowieso.
In diese brisante Gemengelage hinein macht Vater Jakob den nächsten, den entscheidenden Fehler. Die Großen sind alle draußen im weitläufigen Weideland und passen auf die umherziehenden Herden auf, der zarte Joseph dagegen durfte zuhause bleiben. Bisher. Plötzlich aber kommt Jakob auf die Idee, der Jüngste sollte doch mal bei den Brüdern nach dem Rechten sehen und Bericht erstatten. Für die aber war der Kleine, der von Nichts eine Ahnung hatte, nun auch noch zum Kontrolleur, zum Spion, zum Spitzel geworden. Dabei war er nicht einmal in der Lage, selbständig den Weg zu finden und die väterliche Herde aufzuspüren. Er mußte sich erst durchfragen.
Dann aber erschien er tatsächlich am Horizont, allein, mitten in der Einöde der Steppe, ohne väterlichen Schutz, aber mit seinem verhaßten Festgewand. Und plötzlich war er da, der Gedanke: Den schnappen wir uns! Der kommt nicht mehr heil nach Hause! Jetzt oder nie!
Sie hätten ihm wohl die Kehle durchgeschnitten, irgendwo in einen Erdspalt geworfen, hätten dem Vater berichtet, ein wildes Tier wäre über Joseph hergefallen, sie hätten nur noch das blutverschmierte Gewand gefunden, das sie jetzt voller Trauer zurückbringen müßten - wäre da nicht Ruben gewesen, der Älteste. Mit einem letzten Rest von Gewissen, einem Anflug von Verantwortung, einem Erschauern vor einem Brudermord macht er einen Vorschlag: Ja, werft ihn dort in die Grube, wo ihn keiner finden wird, hier, mitten in der Einsamkeit am Rande der Wüste. Aber bringt ihn nicht um, werdet nicht zu Mördern, an deren Händen Bruderblut klebt. Wenn er dann stirbt, ist es eben Schicksal.
Die Brüder nicken: eine gute Idee. So wird es leichter sein, vor den Vater zu treten. Keiner kommt auf den Gedanken, daß dieser Tod, gefangen im dunklen Loch, um Hilfe schreiend, bis die Stimme versagt, langsam verdurstend in qualvoll sich dehnenden Stunden und Tagen, weitaus furchtbarer sein wird als ein schnelles Ende - ein Schlag ins Genick mit dem Hirtenstab, ehe er noch weiß, was sie da tun. Aber so geschieht es. Joseph wird in die Tiefe gestürzt. Und dann setzen sich alle ganz in Ruhe hin, nur einen Steinwurf entfernt vom Verließ des Bruders, packen ihr Abendbrot aus, lassen den Schlauch mit gewässertem Wein kreisen, reden über dieses und jenes, und irgendwann wagt sich einer, einen Witz zu erzählen. Und alle lachen.
Totschlag durch Unterlassen - so steht es in unserem Strafgesetzbuch. Und je nach der Beweislage könnte durchaus auch auf Mord befunden werden. Aber diesmal ist unsere Geschichte noch nicht zuende. Ruben soll mit seinem Vorschlag, wenn wir der Bibel Glauben schenken, geplant haben, den Bruder irgendwie dennoch zu retten. Wie auch immer. Nur erst einmal Zeit gewinnen. Er hatte sich zu den Herden begeben. Er muß nachdenken, wie er Joseph unbemerkt befreien könnte. Doch dazu kommt es nicht. Denn jetzt ändert sich die Szenerie.
8. Menschenhandel (1. Mose 37)
Erst ist es nur eine Staubwolke am Horizont, dann hört man auch Stimmen und das Knarzen von Sätteln. Es ist eine Karawane, die da langsam heranzieht, Händler auf dem Weg nach Süden mit ihren hochbeladenen Kamelen. Für die Brüder nichts Besonderes, denn hier verläuft der Handelsweg nach Ägypten. Aber plötzlich kommt Juda, Rubens Bruder, ein Gedanke. Haben ihn die Worte des Bruders doch ein wenig nachdenklich gemacht? Oder ist es schlicht die Gier nach einem unverhofften Gewinn, der ihn diesen Vorschlag machen läßt? Jedenfalls spricht auch er aus, was schon zuvor gesagt wurde: Joseph ist doch unser Bruder, trotz allem, wie können wir ihn dann töten? Zurück können wir nicht mehr, er würde uns verraten. Aber wir können ihn loswerden, ein für alle Mal. Wir verkaufen ihn einfach an diese Händler dort!
Die anderen blicken ihn an, dann nicken sie zustimmend. Kaum war die Karawane herangekommen, zog Juda den zitternden, halbnackten Joseph aus dem Loch heraus und schob ihn nach vorn. "He, Leute, was bietet ihr für den Jungen hier? Jung, kräftig, ganz geschickt! Wir müssen ihn verkaufen, umständehalber. Also - nennt uns ein Angebot." Sie feilschen ein wenig um den Preis, das gehört sich so, und es würde die Kaufleute nur mißtrauisch machen, wenn sie den Sklaven - denn das war er ja wohl - allzu rasch loswerden wollten. Man einigt sich auf zwanzig Silberstücke, ein Handschlag, Juda stößt Joseph voran, einer der Händler fesselt ihm die Hände auf den Rücken, vorsichtshalber, dann wird er an langer Leine an ein Kamel gebunden, das sich gemächlich wieder in Bewegung setzt.
Joseph hat alles schweigend über sich ergehen lassen. Sollte er die Brüder anbetteln? Was würde das nützen? Als Sklave würde er doch wenigstens am Leben bleiben, so ungewiß dieses Schicksal auch sein mag. Die Brüder schauen der Karawane nach, irgendwie doch auch erleichtert. Aber das Schlimmste steht ihnen ja noch bevor: dem Vater die Nachricht zu überbringen - dein Liebling ist tot. Hier sind seine Kleider. Ihn selbst konnten wir nicht mehr finden. Leider.
Inzwischen hatte Ruben offenbar einen Plan gefaßt. Er sah seine Brüder mit den Händlern der Karawane reden - ein günstiger Moment, den Bruder aus seinem tiefen Loch zu befreien. Doch das Verließ ist leer, Joseph verschwunden. Als Ruben entsetzt zu seinen Brüdern zurückkehrt, zieht die Karawane bereits weit in der Ferne ihres Weges. So bleibt ihm nur eins: Das bunte Kleid Josephs mit dem Blut eines geschlachteten Ziegenbocks rot zu färben, die Herden den Knechten anzuvertrauen und den schweren Gang anzutreten, Jakob den Tod des Sohnes zu melden - ganz, wie ursprünglich geplant. Lange Zeit trauert der Vater. Die Söhne gehen ihm aus dem Weg, fühlen sich schuldig an seinem so offen zur Schau getragenen Leid, obwohl sie wissen, daß Joseph lebt. Und zugleich schmerzt es, daß Jakob diesem einen soviel Trauer zukommen läßt, wo er doch nur einen von elf Söhnen verloren hat. Daß Rahel ihr einziges Kind, nach so viel Jahren der Unfruchtbarkeit endlich geboren, beweinen muß, das nimmt niemand zur Kenntnis.
Joseph wurde in die Sklaverei verkauft. Das ist keine Straftat, damals. Menschen, die ihre Schulden nicht erstatten konnten, Kriegsgefangene und Besiegte, ihnen allen drohte das Sklavendasein nach Recht und Ordnung aller antiken Gesellschaften. Und Überfälle auf Nachbarn, wenn es an Arbeitskräften mangelte und Sklaven auf den Äckern