Название | Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten |
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Автор произведения | Christian Springer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844240665 |
All das entspricht den praktischen Erfordernissen der Opernbühne und zeigt, was ein Libretto zu leisten hat: Erstens, dem Zuhörer verbal jene Basisinformationen zu vermitteln, die er zum Verständnis des Handlungsablaufs benötigt, und zweitens, der Musik die Vorbedingungen in Form eines Gerüsts zu liefern, anhand dessen sie sich mit all ihren Möglichkeiten entfalten kann. Vereinfachend kann man sagen: Was das Libretto nicht sagt oder nur andeutet, wird von der Musik gesagt. Oder, überspitzt formuliert: Ein gutes Libretto soll gar keine großen literarischen Qualitäten haben, denn sonst bedürfte es der Musik nicht.
Die musicabilità
V
erdi, der in einem Brief an Piave vom 4. September 1846 den Macbeth als „eine der größten menschlichen Schöpfungen“ bezeichnet hat, weiß das und sucht in seinen Libretti keine literarischen Werte. Für ihn ist einzig und allein der dramatische Wert eines Textbuches von Bedeutung sowie dessen musicabilità, die musikalische und theatralische Funktionalität zum Zwecke der Komposition. Schon als Dreißigjähriger wußte er um die Wirkungen auf der Opernbühne Bescheid: „Oft wirken ein zu langes Rezitativ, eine Phrase, ein Satz, die in einem Buch und auch in einem Prosastück wunderschön wären, in einem gesungenen Drama lächerlich.“
Das ist einer der Gründe, weshalb in der Oper auf Macbeths innere Monologe und Reflexionen weitgehend verzichtet wird. Während der Protagonist bei Shakespeare detaillierte Einblicke in seine Gedankenwelt preisgibt und dadurch facettenreicher wird, fehlen dem Opernbesucher vom Text her etliche Informationen, die ihn genauer charakterisieren, was aber durch die Musik kompensiert wird.
Ingesamt folgt Piave an vielen Stellen der Oper getreu der Vorlage Shakespeares. Er zeigt dabei ein gutes Auge für das Wesentliche und eine sichere Hand bei einprägsamen Formulierungen. Allerdings muß er bei der Textgestaltung der Hexenchöre und der Nachtwandelszene ohne sein Wissen Textänderungen durch Andrea Maffei hinnehmen, was dazu führt, daß das Libretto vorerst ohne Namensnennung des Librettisten veröffentlicht wird. Erst 1863 scheint Piaves Name in gedruckter Form auf.
Kürze und Erhabenheit
N
achdem die Entscheidung aus Besetzungsgründen definitiv zugunsten des Macbeth gefallen ist und Lanari der Stoffwahl zugestimmt hat, läßt Verdi die bereits bis zur Hälfte gediehenen Masnadieri, die er im Folgejahr in London fertigstellen will, liegen und schickt seinen Entwurf des Macbeth am 4. September 1846 mit der Anmerkung „Ich lege Dir Kürze und Erhabenheit ans Herz“ zur Ausarbeitung an Piave, der sich sofort an die Arbeit macht. Bereits fünf Wochen später kann Verdi dem Impresario nähere Angaben machen.
Hier hast Du das Exposé zu Macbet, und Du wirst begreifen, worum es geht. Wie Du siehst, benötige ich einen erstklassigen Chor: insbesondere der Frauenchor muß exzellent sein, denn es wird zwei Chöre der Hexen geben, die von größter Wichtigkeit sind. Achte auch auf die Bühnenmaschinerie. Kurzum, die Dinge, auf die bei dieser Oper besonderes Augenmerk zu legen ist, sind: Chor und Maschinerie.
Ich bin überzeugt, daß Du alles übrige mit der Großzügigkeit, die Dich so sehr auszeichnet, auf die Bühne bringen und dabei nicht knausrig sein wirst. Berücksichtige auch, daß ich Ballerinen brauche, die gegen Ende des dritten Aktes einen kleinen graziösen Tanz aufführen müssen. Scheue keine Kosten (ich sage es Dir noch einmal), Du wirst, so hoffe ich, dafür belohnt werden. Außerdem wirst Du täglich tausendmal von mir gesegnet werden, und merke Dir wohl, daß mein Segen fast ebensoviel wert ist wie der eines Papstes.
Scherz beiseite, aber ich bitte Dich aufrichtig es so einzurichten, daß alles klappt und daß ich mir nicht um die anderen Dinge Sorgen zu machen brauche. Wenn Du übrigens möchtest, daß ich Dir Bühnenbildskizzen und die Figurinen für die Kostüme anfertigen lasse, dann werde ich sie anfertigen lassen, aber erst später, denn jetzt muß ich weitermachen mit dem Komponieren und darf keine Zeit verlieren.[302]
Am selben Tag informiert Muzio wie üblich Barezzi.
Für Florenz schreibt der signor Maestro den Macbeth. Die Sänger werden sein: die Löwe und Varesi, nicht Ferri, denn der signor Maestro hat ihn nicht gewollt: Ferri weiß nicht, daß Varesi engagiert worden ist, und er weiß auch nicht, daß er in den neuen Opern [d.h. in den Aufführungen der neuen Oper] nicht singen wird. Man wird das bis zur Fastenzeit [vor ihm] geheimhalten, und dann wird man ihm eröffnen, daß in der neuen Oper Varesi den Macbeth singen wird. Das Engagement Varesis wird in keiner Zeitung veröffentlicht, solange es Ferri noch nicht weiß.[303]
Um die Idealbesetzung für den Macbeth zu engagieren, haben offenbar weder Verdi noch Lanari oder sonstige Beteiligte bedacht, wie sehr man mit solchen kleinlichen Theaterintrigen der Reputation eines Sängers Schaden zufügen kann. Wie immer am Theater ist Geheimhaltung eine Illusion: Es werden keine zwei Monate vergehen, bis Varesi in halb Italien hörbar kundtut, daß er die Hauptrolle in der neuen Oper Verdis singen wird.
Als Varesi nach Rom abreiste, hat er das Convito [Bankettszene, II,5-7] und die Visione [Erscheinungsszene, III,3] mitgenommen und er hat in ganz Mailand ein ungeheures Getöse veranstaltet, indem er sagte, daß dies die schönste und dramatischeste Musik Verdis sei. In Piacenza hat er noch mehr gesagt. In allen Orten, durch die er kam – in Parma, Bologna, Florenz – trompetete er wie ein Irrer vor allen hinaus, daß er die erhabenste Musik Verdis mit sich führe.[304]
Unbeirrt von solchen Episoden arbeitet Verdi an der Komposition des Macbeth und läßt sich dabei – zum Unterschied von den vorhergegangenen Opern – Zeit. Er lehnt es während dieser Arbeit ab, andere Aufträge anzunehmen oder sich wegen künftiger Projekte auch nur Gedanken zu machen, was nochmals zeigt, daß ihm dieses Werk – seine erste Begegnung mit Shakespeare – mehr bedeutet als frühere Arbeiten.
Elf Tage nach der Uraufführung des Macbeth, als Verdi schon im Begriff ist, seine Zelte in Florenz abzubrechen, wird der Komponist, dem opportunistische Servilität und liebedienerische Unterwürfigkeit ein Greuel sind, einen Akt setzen, der nicht nur den Stellenwert seiner neuen Oper unterstreicht, sondern auch seine aufrichtigen Gefühle seinem Schwiegervater gegenüber unter Beweis stellt.
Schon seit langer Zeit hatte ich vor, Ihnen, der mir Vater, Wohltäter und Freund gewesen ist, eine Oper zu widmen. Das war eine Pflicht, der ich schon früher hätte nachkommen müssen, und ich hätte es auch getan, wenn nicht machtvolle Umtände es verhindert hätten. – Hier ist also dieser Macbeth, den ich mehr als meine anderen Opern liebe und den ich deshalb für würdiger erachte, Ihnen gewidmet zu werden. Er kommt von Herzen: und möge er von Herzen angenommen werden; er sei Ihnen Beweis für ewiges Gedenken, Dankbarkeit und Zuneigung, die Ihnen entgegenbringt Ihr Ihnen herzlichst zugetaner G. Verdi[305]
Die Arbeit am Macbeth schreitet zügig voran. Verdis Einflußnahme auf das versifizierte Libretto, an dem er unter Mithilfe Maffeis[306] selbst arbeitet, ist intensiv wie nie zuvor. Im Oktober teilt Lanari Verdi korrekterweise mit, daß Sofia Loewe[307] in schlechter Verfassung ist. Doch es kommt noch schlimmer:
Die Loewe zieht sich von der Bühne zurück. Der signor Maestro bedauert das sehr, weil von den heutigen Sängerinnen kann keine die Lady im Macbeth mit derselben Wirkung wie die Loewe darstellen. An ihrer Stelle wird die Barbieri singen.[308]
Der Ersatz, den Lanari für die Loewe ausgewählt hat, ist Marianna Barbieri Nini, die sogleich wissen möchte, wie ihre Rolle aussieht.
Gesundheitlich geht es mir gut; doch wie ich Dir in meinem letzten Brief schrieb, bin ich ein bißchen müde. Die Barbieri soll ein wenig Geduld haben; denn wenn ihr dieses Genre zusagt, ist sie recht gut bedient. Addio, Addio.
P.S.: Beachte, daß Bancos Geist aus dem Boden auftauchen muß; es muß derselbe Schauspieler sein, der den Banco im 1. Akt gespielt hat; er muß einen aschfarbenen,