Название | Der Hafen meiner Träume |
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Автор произведения | Eberhard Schiel |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847615163 |
Der nächste Streifen ist einen Zahn schärfer. Mutti sagt, das ist nichts für Dich. Geh da nicht hin. Der ist zu ernst. Am Ende stirbt die blonde Hexe einsam und verlassen im Wald. Ich hab ihn schon gesehen. Das würde ich mir nie wieder anschauen. Man braucht doch jetzt etwas Heiteres, einen Musikfilm oder so. Ja, ja, alles klar. Mutti hat Angst, daß ich wieder wie beim ersten Kinobesuch an ihrer Seite wegen zu heftigen Schluchzens aus dem Saal geführt werden muß. Sie schämt sich für mich, weil ich immer meinen Gefühlen freien Lauf lasse, weine und lache, mal eine heitere, dann wieder eine ernste Miene mache. Mir läuft zum Beispiel im Kino eine Träne aus dem Auge, als der Postmeister Heinrich George seine einzige Tochter Dunja verliert, weil ein vornehmer Herr aus Petersburg sie mit sich nimmt, angeblich aus Liebe. Er will sie heiraten, sagt er zum Vater. Aber das stimmt nicht. Er wollte nur sein Vergnügen. Inzwischen wartet Heinrich George jeden Tag auf Post von ihr, hofft sehnsüchtig auf die entscheidende Nachricht von der bevorstehenden Hochzeit. Aber es kommt kein Brief. Da fährt er in seiner Verzweiflung selbst nach Petersburg. Der Rittmeister Minskij, der die schöne Dunja nur noch als Mätresse betrachtet, organisiert ein Hochzeitsfest, zum Schein natürlich. Heinrich George fährt glücklich nach Hause. Viele Jahre vergehen. Rittmeister Minskij kommt wieder auf die gleiche Poststation, auf der alles seinen Anfang nahm. Er lügt wieder, sagt zu Heinrich George, seine arme Dunja sei als Frau Rittmeisterin gestorben. Mit dieser letzten Lüge hebt sich der Vorhang. Und ich bin sehr traurig.
Fernandel bringt mich wieder zum Lachen. In gewissen Nächten zieht er über die Dächer, turnt auf dem Drahtseil, überwindet schwindeltiefe Schluchten, erwischt die Ganoven, die es auf die Juwelen des Pariser Warenhauses Berthe abgesehen haben. Er ist ein Detektiv des Hauses. Sehr erfolgreich. Aber er merkt es gar nicht, weil er ja nur schlafwandelt. Trotzdem wird Fernandel, im Film Boniface genannt, belohnt, und darf sogar die Vize-Direktorin des Unternehmens heiraten. Ein Glückspilz, dieser Mann mit dem Nußknacker-Gesicht. Ich mag ihn. Das Leben ist für mich eben auch Kino. Die ernsthaften Dinge fasse ich als Spaß auf, und den Spaß als Ernst. Bei mir ist alles umgekehrt. Also, ich gehe nicht in die blonde Hexe, damit Mutti ihre Ruhe hat, ich begrüße Kathrin alias Caterina Valente. Bon jour, Kathrin, Bon jour ihr Melodien, die dieser schöne Tag uns bringt. Bon Jour, Paris. Die Sund-Lichtspiele sind gerappelt voll. Ich sitze auf dem Sperrsitz, schaue immer nur nach oben, bewundere die Stars der Leinwand und wünsche, sie würden mich mit auf Tournee nehmen. Macht doch aus dem Trio ein Quartett, die Caterina Valente, ihren Bruder Silvio Francesco, Peter Alexander und Everado Schilo. Ach, könnte das schön sein. Klingt doch sehr exotisch, und nur wer exotisch klingt, klingt angenehm in den fünfziger Jahren. Also, bitte. Nehmt mich mit auf das Traumschiff der Liebe, ich will auch nur euer Schiffsjunge sein, aber nehmt mich mit, laßt mich nicht hier versauern. Sie verstehen mich nicht. Das Orchester Kurt Edelhagen spielt zu laut.
Wir hören nicht auf ins Kino zu gehen. Überall, wo eine Filmrolle eingelegt wird, sind wir dabei, ob im besagten UT, oder in den Sund-Lichtspielen, und falls mal aus irgendwelchen Gründen, wegen Krankheit oder Ferien, ein Film verpaßt wird, hat man ja immer noch die Kammer-Lichtspiele in der Mühlenstraße. Was auf dem Spielplan steht, ist uns eigentlich egal. Unser Geschmack ist noch ein Gemüsegarten. Mal sieht man sich einen Krimi an, dann einen Liebesfilm, mitunter sogar Märchenfilme. Einen davon, einen tschechischen, habe ich mir in der Turnhalle auf dem Jahnsportplatz angesehen. Und als in den Dänholm-Lichtspielen das Schicksal der Familie der Buddenbrooks gezeigt wird, machen wir uns auf den Weg über den Rügendamm.
Wie im Leben ist das Kino nicht frei von Pannen. Ich sitze mit Peter und Uwe im UT, auf der Leinwand herrscht größte Spannung. Ein Artisten-Trio, zwei Männer und eine Frau, arbeiten am Trapez. Die hübsche Jeannine wird von den Kollegen verehrt. Alexis verliebt sich schließlich in sie. Er nimmt sie in seine kräftigen, fangbereiten Arme, streichelt ihre Schulter, ihr kurzes, schwarzes Haar, der Schlafrock verrutscht, und dann, ja dann wirbelt der Zelluloidstreifen wild umher, macht ein Tänzchen, bis es oben im ersten Rang knackt und stöhnt. Der Film ist gerissen. Ein grobschlächtiger Kerl steht wütend von seinem Sperrsitz auf. Mit dem Rücken zur Leinwand sucht er den Filmvorführer, kann ihn aber nicht finden. So wendet er sich an die Bullaugen, aus denen der Film über unsere Köpfe hinweg auf die Leinwand kommt: Wat is dat mit die da boben, sagt er wütend. Büst all werre besoppen, oder wat? Der Mann ist echt verärgert, weil er etwas sehen will, was er zu Hause nicht zu sehen kriegt, einen Kuss, eine Bettszene, oder so etwas in der Art. Das Gebrüll macht den Filmvorführer nur nervös. Jetzt stehen die Artisten plötzlich auf dem Kopf, obwohl das in ihrer Nummer gar nicht vorgesehen war. Das Publikum feixt, der Kumpel aus der zweiten Reihe stampft mit dem Fuß auf, schiebt seine Nebenleute in die Holzstühle hinein, er rüpelt sich zum Ausgang, von wo er noch einen Fluch zum Filmvorführer ausstößt. Bei diesem Grobian kann auch die dicke Platzanweiserin Irmgard Beier nichts machen. Der Lümmel ist zu stark für sie. Wir haben den Film doch noch irgendwie bis zum Ende gesehen. Ja, manchmal geht auch das Licht plötzlich aus. Dann ruft jemand vom Personal, Stromsperre. Die Seitentür wird geöffnet. Wir stehen 20 Minuten auf dem Innenhof, als gerade die “Stechfliege” wieder zuschlagen will. Eine lockere Unterhaltung über das bisher Gesehene setzt ein, man spricht vom russischen Film, von den großen Schauspielern Sergej Bondartschuk und Michail Ulanow, wartet auf das Ende der Stromsperre und wird schließlich wieder herein gerufen. Wir sind ja so geduldig, bis auf wenige Ausraster.
6. Kapite:l Das neue Radio
Wir haben Ferien, die ganz großen, dicken Ferien im Sommer. Es ist sonnig und warm. Ich liege mit Peter und Uwe am Strand von Altefähr. Wir sprechen über die Musik, über Schlager. Peter erzählt von der Hitparade bei Radio Luxemburg, von Camillo Felgen und Frank, von Freddy Quinn und...Ich halte mir die Ohren zu. Unser alte Kasten bringt das nicht, er hat nur Mittelwelle und Langwelle, und RTL wird auf Kurzwelle im 49 Meterband gesendet, sagt Peter. Erst RTL, und dahinter der RIAS, und da drüber irgendein Störsender oder was von der Polizei. Da hört man immer solche Funkgeräusche. Er macht sie mir vor. Ich kenne weder RTL noch den RIAS. Einmal die Hitparade hören, und dann sterben, denke ich mir. Ich liege Mutti in den Ohren. Wann haben wir endlich ein richtiges Radio, nicht so eins, wo man die ganze Hand in die Kiste stecken muß, um nach dem einzigen Westsender zu suchen, Radio Stockholm. Das versteht man ja doch nicht, was die da sagen, und sie bringen auch meistens nur Volksmusik. Mutti rechnet. Sie schüttelt den Kopf. Ihr geringer Verdienst. Die Firma hat zwar einen langen Namen, Deutsche Versicherungs-Anstalt, aber sie hält ihre Mitarbeiter bei knapper Kasse. Inge überlegt. Sie sagt, auf Teilzahlung. Das geht doch. Wir schaffen uns weiterhin alles auf Teilzahlung an. Die rote Couch mit den zwei Sesseln, den Clubtisch mit den grünen Kacheln. Dazu die passende Stehlampe mit breitem Schirm, Schnüre dran. Einen orientalisch gemusterten Teppich. Jeder, der uns besucht, sagt, bei Euch sieht es aus wie in einer Puppenstube. Wir lassen die Puppen tanzen. Wir feiern die Einweihung des neuen Radios. Inge hat eine Flasche Gamza mitgebracht, Rotwein aus Bulgarien. Ich drehe am Radio, erobere mir einen Sender nach dem anderen, Mittelwelle, Langwelle, Kurzwelle, reise von Ost nach West, nur so zum Spaß. Ich schalte von Langwelle, wo sich der Versuchssender ganz rechts eingenistet hat, auf Kurzwelle. Nun höre ich sie auch, die Pfeiftöne, das Brummen auf dem RIAS, die sonore Stimme von Camillo Felgen. Er wird gleich selbst singen, sagt er. Und